«Ende Juni kam plötzlich wieder Geld»
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Er will keine Corona-Hilfe:«Ende Juni kam plötzlich wieder Geld»

Er wollte keine Corona-Hilfsgelder mehr
AHV-Kasse stiftet Fahrlehrer zur Abzocke an

Der Bundesrat hat den Erwerbsersatz für Selbständige bis September verlängert. Wer das Geld nicht mehr braucht, muss das von sich aus seiner AHV-Ausgleichskasse melden. Doch viele von ihnen raten dazu, weiterhin die hohle Hand zu machen.
Publiziert: 21.08.2020 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2020 um 21:39 Uhr
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Fahrlehrer Hans Elmiger kann wieder voll arbeiten. Trotzdem bekommt er noch Unterstützung von der AHV-Ausgleichskasse.
Foto: STEFAN BOHRER
Ladina Triaca

Seit dem 11. Mai empfängt Hans Elmiger* wieder Fahrschüler. Im Auto gilt Maskenpflicht, und nach jeder Fahrstunde muss er das Lenkrad, die Kupplung und das Armaturenbrett desinfizieren. «Aber sonst läuft alles wie vor Corona», sagt der Fahrlehrer. Sein Lohn: wieder wie zu normalen Zeiten.

Umso mehr staunte der Basler, als Ende Juli plötzlich Geld auf seinem Konto landete. Die AHV-Ausgleichskasse hatte ihm für die Monate Mai, Juni und Juli einen Corona-Erwerbsersatz überwiesen – obwohl er in dieser Zeit voll arbeitete.

Unverhoffter Geldsegen

Der Grund für den Geldsegen: Der Bundesrat hatte beschlossen, den Corona-Erwerbsersatz für direkt und indirekt von der Krise betroffene Selbständige bis Mitte September zu verlängern – und zudem rückwirkend Gelder auszubezahlen.

Selbständige wie Elmiger, die seit der Aufhebung des Lockdowns keine Einbussen mehr haben, müssen das von sich aus bei ihrer AHV-Ausgleichskasse melden. Nur: Wie BLICK-Recherchen zeigen, machen das die wenigsten. Viele wissen schlicht nicht, dass sie am Zug wären.

Kassen wimmeln Selbständige ab

Elmiger aber meldete sich bei seiner Kasse. «Ich habe angerufen und gesagt, dass ich keine Unterstützung mehr brauche», erzählt er. Und was macht die Kasse? «Man hat mir am Telefon gesagt, der Bundesrat habe die Verlängerung angeordnet, ich solle das Geld ruhig weiterhin beziehen.»

Und Elmiger ist nicht allein. Bei BLICK melden sich zahlreiche Selbständige, denen es ähnlich erging. So schildert eine Papeterie-Besitzerin, dass ihr die Kasse mitteilte, sie könne das Geld schon ablehnen, wenn sie denn unbedingt wolle. Und der Bruder einer Aargauer Podologin erzählt: «Man hat meiner Schwester tatsächlich gesagt, sie habe das zugute.» Obwohl sie gegenüber ihrer Kasse mehrmals betonte hatte, wieder normal arbeiten zu können.

Einzelfall-Prüfung nicht möglich

Beim Bund ist man sich des Problems bewusst. «Wir haben ebenfalls von solchen Fällen gehört», bestätigt Rolf Camenzind vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). «Wir haben die Kassen deshalb darauf hingewiesen, dass sie die Selbständigen anweisen sollen, auf das Geld zu verzichten – sofern sie es nicht mehr nötig haben.» Die betroffenen Selbständigen müssten den Verzicht anschliessend schriftlich – per Mail oder Brief – bei der Kasse einreichen.

Und was, wenn das Geld schon auf dem Konto liegt? «Wir empfehlen den Selbständigen, das Geld – in Absprache mit ihrer Kasse – zurückzubezahlen», sagt Camenzind. Der Bund zähle hier auf die Ehrlichkeit der Bürger. Und: «Im Moment können wir gar nicht überprüfen, ob jemand unrechtmässig Geld bezieht.» Das sei frühestens in einem Jahr möglich, wenn die Kassen die Steuererklärungen aus dem Corona-Jahr 2020 mit denjenigen aus dem Vorjahr vergleichen könnten.

«Kassen können Geld zurückfordern»

Und auch dann sei es unmöglich, jeden Einzelfall zu prüfen. «Dafür bräuchten wir viel mehr Personal», so Camenzind. Allerdings würden die Kassen ein Augenmerk auf Selbständige richten, bei denen die Beträge auf den Steuererklärungen auffällig seien. Die Kassen haben fünf Jahre Zeit, das Geld zurückzufordern.

Manche von Elmigers Fahrlehrer-Kollegen haben den überschüssigen Erwerbsersatz bereits auf ein separates Konto verlegt – für den Fall, dass die Kasse plötzlich anklopft. Elmiger selber wählte einen anderen Weg: «Ich habe meiner Kasse bereits geschrieben, dass ich auf das Geld verzichte.»

*Name durch die Redaktion geändert

Das älteste Sozialwerk der Schweiz

Die Erwerbsersatzordnung (EO) hat ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg. Viele Familien verarmten, weil die Väter Militärdienst leisteten und ihre Familie nicht mehr ernähren konnten.

Die Armut der Arbeiterfamilien war einer der Auslöser für den Landesstreik 1918. Um zu verhindern, dass sich ein solcher wiederholt, wurde 1940 die EO geschaffen. Sie entschädigt Soldaten für einen Teil des Erwerbsausfalls. Seit 2004 werden auch Mütter nach der Geburt eines Kindes für einen Teil des Erwerbsausfalls kompensiert.

In der aktuellen Krise wird die Erwerbsersatzordnung für die Unterstützung der Selbständigen eingesetzt. Das Taggeld wird durch die AHV-Ausgleichskassen jeweils am Ende des Monats ausbezahlt. Es beträgt 80 Prozent des Einkommens – höchstens aber 196 Franken pro Tag.

Der Bundesrat hat den Erwerbsersatz für Selbständige am 17. März eingeführt und Anfang Juli bis zum 16. September verlängert.

Der Landesstreik 1918 war einer der Auslöser für die Schaffung der Erwerbsersatzordnung.

Die Erwerbsersatzordnung (EO) hat ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg. Viele Familien verarmten, weil die Väter Militärdienst leisteten und ihre Familie nicht mehr ernähren konnten.

Die Armut der Arbeiterfamilien war einer der Auslöser für den Landesstreik 1918. Um zu verhindern, dass sich ein solcher wiederholt, wurde 1940 die EO geschaffen. Sie entschädigt Soldaten für einen Teil des Erwerbsausfalls. Seit 2004 werden auch Mütter nach der Geburt eines Kindes für einen Teil des Erwerbsausfalls kompensiert.

In der aktuellen Krise wird die Erwerbsersatzordnung für die Unterstützung der Selbständigen eingesetzt. Das Taggeld wird durch die AHV-Ausgleichskassen jeweils am Ende des Monats ausbezahlt. Es beträgt 80 Prozent des Einkommens – höchstens aber 196 Franken pro Tag.

Der Bundesrat hat den Erwerbsersatz für Selbständige am 17. März eingeführt und Anfang Juli bis zum 16. September verlängert.

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