Es war eine Sensation: Nach intensivem Wahlkampf eroberte SP-Mann Simon Stocker (43) im vergangenen November im zweiten Wahlgang den zweiten Ständeratssitz in Schaffhausen – und warf «Abzocker-Scheck» Thomas Minder (63) aus dem Parlament. Stocker übt das Amt seither normal aus – aufgrund einer Wahlbeschwerde jedoch gewissermassen «unter Vorbehalt».
In der Beschwerde geht es darum, ob Stocker überhaupt die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllte. Wie die «Weltwoche» wenige Tage nach seiner Wahl berichtete, lebte Stocker zum Zeitpunkt der Wahl mit seiner Familie hauptsächlich in der Stadt Zürich. In Schaffhausen habe er lediglich eine kleine Wohnung gemietet, um sich dort anzumelden und so für den Ständerat kandidieren zu können.
Kind in Zürcher Kita?
Stocker wies die Vorwürfe rasch zurück und behauptete, der Lebensmittelpunkt der Familie befinde sich in Schaffhausen. Die Wohnung in Zürich benötige man, damit seine Frau zu ihrer Arbeitsstelle im Kanton Aargau pendeln könne.
Vonseiten des Beschwerdeführers wiederum hiess es, Stockers Kind besuche in Zürich eine Kita. Frau und Kind hätten ihren Wohnsitz in Zürich. Vor diesem Hintergrund erscheine es unwahrscheinlich, dass Stocker tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt in Schaffhausen habe.
Der Schaffhauser Regierungsrat wies die Beschwerde bereits nach wenigen Tagen ab. Er stützte sich dabei hauptsächlich auf Stockers Anmeldung im Einwohnerregister der Stadt Schaffhausen. Der Entscheid wurde noch vor Ende 2023 ans Obergericht weitergezogen.
Wurde die Beschwerde-Frist verpasst?
Da vergleichbare Fälle rar sind, stellt sich nur schon die Frage, welche Regeln eigentlich gelten und wie sie anzuwenden sind. Eine etablierte Praxis zur Ermittlung des tatsächlichen Wohnsitzes gibt es beispielsweise im Steuerrecht – ob und wie deren Regeln im vorliegenden Fall allenfalls herangezogen werden können, ist indes völlig offen.
Bei der Wahlbeschwerde gegen Stocker stellt sich zudem vor der Klärung von inhaltlichen Aspekten die Frage, ob sie überhaupt rechtzeitig eingereicht wurde. Die dreitägige Frist nach Publikation des Wahlresultats wurde nämlich verpasst. Stattdessen beruft sich der Beschwerdeführer auf eine Ausnahmeregelung, die auch eine spätere Einreichung ermöglicht, nämlich drei Tage «nach Entdeckung des Beschwerdegrundes».
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe erst aus dem «Weltwoche»-Artikel von Stockers Wohnsitzproblematik erfahren. Mit der Befragung am Dienstag, die öffentlich ist, will das Schaffhauser Obergericht unter anderem diesem Punkt nachgehen.
Im Wahlkampf kein Thema
Dass Stocker nach seinem Rücktritt aus dem Schaffhauser Stadtrat zunächst nach Zürich zog, war in Schaffhausen bekannt. Sein tatsächlicher Wohnsitz während des Wahlkampfs im Jahr 2023 war in der Öffentlichkeit kein grosses Thema.
Ein Entscheid des Schaffhauser Obergerichts ist am Dienstag noch nicht zu erwarten. Wie Obergerichtspräsidentin Annette Dolge gegenüber den «Schaffhauser Nachrichten» sagte, rechnet sie jedoch mit einem Urteil noch vor den Sommerferien. Der Entscheid kann danach noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.