SonntagsBlick: Dänemark hat bereits zum zweiten Mal alle Massnahmen aufgehoben. Wie lange dauert es dieses Mal, bis wieder neue Massnahmen in Kraft treten müssen?
Wir sind heute viel besser dran als letztes Jahr. Das Virus ist milder, und wir haben eine massive Booster-Abdeckung bei den Erwachsenen. Wir können die Omikron-Welle sehr gut meistern und haben bald Herdenimmunität. Die dreifache Impfung plus eine milde Infektion bieten grossen Schutz – auch dann, wenn das Virus wiederkommen sollte. Vielleicht war Omikron nicht die letzte Welle, aber bei der nächsten werden wir sicher noch einmal besser dastehen.
War das frühe Lockern der Massnahmen letzten Herbst ein Fehler?
Es war ein vielschichtiger Entscheid, alles zu lockern – der Druck war sehr gross. Und wir hatten das Problem, dass die Impfungen leider nicht so lange Schutz gewähren wie erhofft. Diese Information war aber erst im Herbst wirklich bekannt. Zum Glück konnten wir schnell Booster verabreichen und somit gut reagieren. Und die aktuelle Omikron-Welle erscheint wie die Schweinegrippe-Pandemie von 2009: viele Ansteckungen, aber sehr wenige Tote.
Ist Omikron das Licht am Ende des Tunnels?
Es kommt auf das Land drauf an. In Skandinavien haben wir sehr hohe Impfquoten, wir können aufatmen. In Ländern, wo weniger Leute geimpft sind, wäre ich besorgter. Auf den Intensivstationen sind noch immer fast nur Ungeimpfte. Es läuft alles auf die Impfquote hinaus: Sind bei den über 50-Jährigen etwa 90 Prozent geimpft, macht Lockern Sinn. Auf der anderen Seite sehen wir in Ländern mit tiefer Impfquote, zum Beispiel in Bulgarien, was passiert, wenn man die Pandemie nicht kontrolliert. Fast ein Prozent der Bevölkerung ist dort an Covid gestorben.
Dänemark hat auch die Maskenpflicht ganz aufgehoben. Wäre die nicht wenigstens im öffentlichen Verkehr noch sinnvoll?
Es schadet nicht, Masken zu tragen. Wir haben gelernt, dass Masken und Handhygiene sehr wirksam sind. Aber ich habe meinen Booster vor noch nicht allzu langer Zeit erhalten. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn ich mich mit Omikron anstecke. Ich hätte dann wenigstens eine sehr starke Immunität. Aber klar: Ungeimpfte Erwachsene sind noch immer gefährdet. Und es ist keine gute Idee, sich absichtlich zu infizieren.
Was ist mit Long Covid?
Da ist noch nicht alles bekannt, ja. Aber das jetzige Virus attackiert vor allem die oberen Atemwege. Schwere Lungenentzündungen und Folgeschäden wie noch 2020 sind weniger wahrscheinlich. Wenn man weiterhin besorgt über die Unsicherheit ist, was ist dann die Option? Warten und riskieren, dass die nächste Variante wieder schwerere Krankheitsverläufe mit sich bringt?
Müssen die Menschen noch besorgt sein wegen Covid?
Ich habe vergangene Pandemien untersucht. Pandemien enden mit Herdenimmunität. Und da sind wir auf gutem Weg. Wir konnten viele Menschen impfen. Zusätzlich zur natürlichen Infektion haben nun wohl fast alle Menschen dieser Welt Kontakt mit dem Virus oder der Impfung gehabt und einen guten Schutz vor einem schweren Verlauf. Wenn Sie die globalen Daten anschauen: In der aktuellen Pandemie hat die Schwere und die Sterblichkeit mit jeder Welle abgenommen. Das deutet auf das Ende der pandemischen Phase hin.
Was können wir von vergangenen Pandemien lernen? Sars-CoV-2 scheint sehr hartnäckig zu sein.
Wir sehen bereits, dass andere Coronaviren endemisch sind. Sie verursachen eine klassische Erkältung. Zudem wissen wir, dass auch pandemische Grippeviren zur saisonalen Grippe übergehen können. Selbst wenn wir in Zukunft Mutationen haben, die die Impfung umgehen: Bei Grippeviren sehen wir das fast jedes Jahr. Ich bin optimistisch, dass diese Pandemie bald enden wird, dass wir gerade unseren letzten Pandemiewinter erleben. Wir werden in Zukunft vielleicht regelmässige Infektionen haben, irgendwo zwischen einer Erkältung und einer Grippe. Und unser Immunsystem wird aber flexibel und fit bleiben.
Lone Simonsen (62) ist Professorin für Epidemiologie an der Universitiät Roskilde in Dänemark sowie Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften.
Lone Simonsen (62) ist Professorin für Epidemiologie an der Universitiät Roskilde in Dänemark sowie Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften.
Braucht es eine vierte Impfung für gewisse Personen?
Ich denke, wir werden sicher einen guten Sommer haben. Das Coronavirus ist stark saisonal. Wahrscheinlich hat bereits im Frühling die grosse Mehrheit der Bevölkerung eine Immunität. Und im Oktober müssen wir vielleicht einen weiteren Booster für gewisse Personen mit erhöhtem Risiko verabreichen. Wie bei der Grippe auch. Aber ich glaube kaum, dass wir dann wieder Massentests, Schliessungen oder flächendeckende Maskenpflicht erleben werden.
Wie gross ist das Risiko, dass Covid nochmals in Tieren zirkuliert und dann in veränderter Form wieder auf den Menschen überspringt?
Theoretisch ist alles möglich. Aber ich würde wieder mit der wachsenden Immunität, auch auf Zellebene, argumentieren. Das Virus wird nicht für immer in dieser Form bei uns bleiben. Schauen Sie auf historische Pandemien: Sie enden mit Herdenimmunität und ebben ab. Die Spanische Grippe dauerte zwei, die Pandemie von 1889 drei Jahre. Heute bewegen wir uns in diesem Bereich. Ich bin sicher, dass die Pandemie bald vorbei sein wird.
Was können wir aus den letzten zwei Jahren für die Zukunft lernen?
Krankheit X wird sicher kommen. Es werden weitere Pandemien kommen, vielleicht alle zwanzig Jahre. Und alle 100 Jahre eine schlimme. Ich hoffe, dass wir dann besser aufgestellt sind, keine Engpässe beim Testen und genug Schutzmaterial haben. Und mit den mRNA-Impfstoffen haben wir einen grossen Vorteil: Wir werden schneller effektive Impfungen haben.
Wie sieht Ihr Leben nun aus, ohne Massnahmen? Wie 2019?
Ja, eigentlich schon. Es finden wieder grosse Konzerte statt, da ist mir aber noch ein bisschen unwohl (lacht). Und es ist normal, dass die Menschen teils noch besorgt sind. Aber wir haben bereits gesehen, dass die Pandemie ihren Schrecken verloren hat.