Economiesuisse ruft nach dem Staat. Ausgerechnet der liberale Wirtschaftsdachverband verlangt nun Subventionen für Atomkraftwerke. Plötzlich regelt der freie Markt nicht mehr alles.
Ausserordentliche Situationen erforderten ausserordentliche Massnahmen, mit dieser Begründung versucht Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder (62) die Kirche wieder zurück ins Dorf zu stellen. Doch der Sündenfall ist eingetreten. Mit dem Ruf nach staatlicher Unterstützung für bestehende AKW hat der Verbandspräsident eine Grenze überschritten, die die Wirtschaft selbst zog. Denn bislang sollte sich der Staat möglichst überall zurückhalten und höchstens beim Steuersenken aktiv werden.
Subventionen für Technologie von gestern
Die Kritik an den Verbandsplänen lässt denn auch nicht lange auf sich warten. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (45) sagte in der «NZZ am Sonntag», die darüber berichtete: «Da haben die Wirtschaftsverbände jahrelang ein Loblied auf den freien Markt gesungen, und jetzt soll es plötzlich der Staat richten?», so der Energiepolitiker.
Und SP-Fraktionschef Roger Nordmann (49) ergänzt gegenüber Blick: «Es ist grotesk! Economiesuisse hat jahrelang Subventionen für erneuerbare Energien verhindert und uns damit in die Situation gebracht, in der wir heute sind.» Die Schweiz hätte aus seiner Sicht längst viel mehr Solar-, Wind- und Wasserstrom haben müssen. «Und ausgerechnet dieser Wirtschaftsverband fordert jetzt Subventionen für eine Technologie von gestern.» Dies, weil die Versorgungssicherheit durch das eigene Verhalten – und den Krieg in der Ukraine – gefährdet sei. «Wohlgemerkt: Auch die Versorgung mit Uran ist gefährdet!», so der Nationalrat.
Alte AKW sind anfällig
Der Energiepolitiker betont: «Was auffällt: Es ist nicht die Strombranche, die jetzt Unterstützung verlangt für ihre alten Atomkraftwerke.» Die Branche sei sich nämlich durchaus bewusst, dass der Bau neuer AKW innert nützlicher Frist unmöglich ist, «und sie weiss, dass alte Atomkraftwerke extrem pannenanfällig sind». In Frankreich sei ein Viertel aller AKW seit Monaten wegen Pannen nicht mehr am Netz. «Es ist die Wirtschaft, die jetzt ihre früheren Fehler mit neuen Fehlern korrigieren will», so das Urteil des Romands.
Verbandspräsident Mäder, früherer Manager des Agrarchemieriesen Syngenta, sitzt heute im Verwaltungsrat der Ems-Chemie von Magdalena Martullo-Blocher (52). Die Unternehmerin und SVP-Nationalrätin hatte im Blick-Interview den Bau neuer Atomkraftwerke gefordert. Die Freisinnigen sind ihr insofern gefolgt, als dass sie nun am vom Volk beschlossenen Verbot für neue AKW rütteln.
Gewinn maximieren
Anders als Mäder warnt Martullo jedoch vor Subventionen. Gegenüber Blick hat die SVP-Politikerin stattdessen die Stromkonzerne in die Verantwortung genommen. Denn diese hätten ja nicht mehr den Auftrag, «die Schweiz mit genügend günstiger Energie zu versorgen». Sie verstünden sich – obwohl sie mehrheitlich im Besitz von Kantonen sind – als private Unternehmen, die in erster Linie ihren Gewinn maximieren.
«Dafür spekulieren sie auch mit Milliardenbeträgen an der europäischen Strombörse – wie Banken, aber ohne Regulierung!», schimpfte die Ems-Unternehmerin. Und: «Bei Fehlspekulationen oder unternehmerischen Fehlern soll dann der Staat einspringen», rüffelt Martullo die Branche.
Verluste verstaatlichen?
Wie der «Tages-Anzeiger» publik machte, hatte das Energieunternehmen Alpiq Ende letzten Jahres beim Bund um Geld gebettelt. «Da war das Geschäft nicht mehr so privat, was? Dann geht es plötzlich um Versorgungssicherheit und der Staat soll zahlen», so Martullo dazu.
Das ist doppelt interessant: Einerseits ruft ihr eigener Verwaltungsrat nach Staatsmillionen, andererseits hat eben erst Energieministerin Simonetta Sommaruga (61) einen Schutzschirm für die Strombranche von bis zu zehn Milliarden Franken für den Fall angekündigt, dass es zu einem Flächenbrand komme und eine Energiefirma nach der anderen wegen der historisch stark schwankenden Preise in Schwierigkeiten gerät.
Alpiq wollte viele Hundert Millionen Franken mehr
Kolportiert wurde, dass Alpiq vor Weihnachten etwa eine Milliarde Franken vom Staat wollte. Doch wie Blick weiss, war es viel, viel mehr Geld. Der Betrag lag einige Hundert Millionen Franken über der kolportierten Milliarde, wie involvierte Quellen versichern. Der Betrag habe die 2-Milliarden-Grenze aber nicht erreicht. Als der Bund aber klarmachte, dass er Transparenz über die Finanzlage und Sicherheiten haben will, bevor er Geld auszahlt, besorgte sich das Unternehmen mehrere Hundert Millionen bei den eigenen Aktionären.
Und auch für künftige Hilfen soll klar sein, dass es diese nur unter strengen Auflagen gibt und erst nachdem ein Energieunternehmen bei der eigenen Eigentümerschaft, also den Kantonen, angeklopft hat. Sommaruga will so just die Kantone in die Pflicht nehmen. Sie ist damit nicht weit weg von Martullo – aber meilenweit entfernt von deren Verwaltungsrat, der die Stromproduzenten fürs Festhalten an den AKW mit Steuergeldern belohnen will. (pt)