Hat sich Ignazio Cassis (61) vom russischen Aussenminister Sergej Lawrow (72) instrumentalisieren lassen, als er lächelnd für ein gemeinsames Foto posierte? Oder hatte der Bundespräsident gar keine Chance, den Handshake am Rande der Uno-Vollversammlung in New York zu verhindern?
Diplomaten stellen klar: Handshakes gehören bei der Uno dazu. Und dennoch kritisieren sie den Aussenminister. Cassis hätte wissen müssen, dass er dabei nicht lächeln darf, sondern ernst gucken muss. «Dafür bezahlen wir Cassis als Bundespräsident», sagt ein früherer Schweizer Spitzendiplomat.
«Das Bild ist unglücklich»
«Bilder von solchen Treffen kann man nicht verhindern», sagt eine weitere Person aus Botschaftskreisen. Man müsse daher immer an die Kameras denken. Denn die Macht der Bilder sei gross – wie beispielsweise schon Ex-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (77, SP) 2008 bei ihrem Besuch im Iran erfahren musste, als die für das Tragen eines Kopftuches kritisiert worden war.
Und die Russen seien bekannt dafür, solche Bilder zu arrangieren, sagt ein Experte. Das Aussendepartement (EDA) habe hier keine gute Falle gemacht. «Cassis' Entourage hätte bei der Planung des Treffens alles unternehmen müssen, damit es kein Bild vom Händeschütteln gibt.» Ob man die Aufnahme tatsächlich hätte verhindern können, sei offen. Klar sei einfach: «Das Bild ist unglücklich. Es ist aber auch kein Weltuntergang.»
Das russische Bild bleibt hängen
Ein anderer Alt-Diplomat geht hingegen davon aus, dass Cassis' Leute hätten Bescheid wissen müssen über das veröffentlichte Foto: «Solche Sachen werden im Protokoll vorgängig abgemacht.»
Oftmals würden beide Seiten verschiedene Bilder veröffentlichen, so der Alt-Diplomat. Solche, die die eigenen Politiker in einem guten Licht dastehen liessen. Die Aufnahme, die das EDA veröffentlichte – ein ernster Cassis an einem Tisch Lawrow gegenüber –, hätte für sich allein eine ganz andere Wirkung gehabt. Jetzt aber bleibe der Handshake, den die russische Seite publik machte, hängen.
Burkart verteidigt seinen Bundesrat
Im Bundeshaus sind die Meinungen jedenfalls gemacht: «Ich begrüsse, dass die Schweiz mit allen Kriegsparteien das Gespräch sucht», wird Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) deutlich. «Aber es ist für mich unverständlich, dass man sich mit einem gemeinsamen Bild von der russischen Propagandamaschinerie missbrauchen lässt», stellt er klar. «Das zeigt wieder einmal, dass im Aussendepartement das nötige Fingerspitzengefühl fehlt.» Auch GLP-Präsident Jürg Grossen (53) spricht von einem «Fauxpas».
In Bern kommen Sorgen darüber auf, ob die Crew des Aussendepartements für die kommenden zwei Jahre gewappnet ist, wenn unser Land als Mitglied im Uno-Sicherheitsrat im Fokus der Weltöffentlichkeit steht.
Glücklich über den Auftritt wirkt selbst Cassis' Parteipräsident Thierry Burkart (47) nicht. Dennoch stellt er sich schützend vor seinen Bundesrat. «Wollen wir unsere guten Dienste anbieten? Dann muss man mit Aussenminister Lawrow sprechen, und dann gehört ein Handshake dazu», sagt der FDP-Chef. «Ein Foto davon ist unglücklich, lässt sich aber manchmal nicht verhindern.»