Diplomat Thomas Greminger erzählt, was hinter den Kulissen der Ukraine-Friedenskonferenz abgeht
«Dass Amherd tiefstapelt, ist vernünftig»

Er weiss, wie man erfolgreich zwischen verfeindeten Parteien vermittelt. Im Interview mit Blick schätzt der erfahrene Diplomat Thomas Greminger ein, was die Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock bringen kann. Und erzählt, wie solche Gespräche konkret ablaufen.
Publiziert: 14.06.2024 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 14.06.2024 um 14:05 Uhr
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Thomas Greminger war von 2017 bis 2020 Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Foto: keystone-sda.ch
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Stacheldraht, Checkpoints und eine Armada von Polizisten: Der Bürgenstock ist dieses Wochenende eine Hochsicherheitszone. Regierungschefs, Ministerinnen und Präsidenten von rund 90 Staaten und Organisationen treffen sich im Luxushotel hoch über dem Vierwaldstättersee, um über einen Weg zum Frieden in der Ukraine zu diskutieren.

Wer alles kommt, behält der Bund bis zuletzt für sich. Auch das exakte Programm wird nicht kommuniziert. Man ist so vorsichtig, dass der Küchenchef nicht einmal wagt zu verraten, welches Menü er den Konferenzteilnehmenden auftischt.

Einer, der weiss, wie solche hochrangigen Treffen ablaufen, ist Thomas Greminger (63). Der ehemalige Generalsekretär der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat einst selbst zwischen Russland und der Ukraine verhandelt. Im Interview gibt er einen Einblick in eine Welt, die den meisten verschlossen bleibt.

Blick: Herr Greminger, was wäre das Schlimmste, das am Wochenende auf dem Bürgenstock passieren könnte?
Thomas Greminger:
Am gravierendsten wäre, wenn die Integrität der Konferenz gefährdet ist. Das heisst: Wenn es rund um die Konferenz zu einem tragischen Unfall oder Anschlag kommen würde, der die Veranstaltung überschattet.

Was die Verhandlungen selbst betrifft, sehen Sie keine Gefahren?
Natürlich kann es auch im Konferenzverlauf Pannen geben. Heikel wäre, wenn die Schlusserklärung von einem oder mehreren Staaten infrage gestellt wird – und man sich schlimmstenfalls auf keine Formulierung einigen kann. Auch darf die Veranstaltung nicht als Mobilisierung gegen Russland rüberkommen. Aber ich muss klarstellen: Es sind keine Verhandlungen, die auf dem Bürgenstock geführt werden. Es ist eine Dialogplattform. Da muss man die Erwartungen herunterschrauben. An echten Friedensverhandlungen nehmen nicht fast 100 Staaten teil.

Schon seit Wochen laufen hinter den Kulissen intensive Vorverhandlungen. Kommen die Staatschefs also nur noch auf den Bürgenstock, um eine bereits fertig formulierte Erklärung zu unterzeichnen?
Im Idealfall ist tatsächlich schon fast alles vorverhandelt. Je ranghöher die Teilnehmer einer Konferenz, desto mehr ist vorbereitet. Wobei immer das Risiko besteht, dass ein Staat im letzten Moment noch mit einer neuen Idee kommt oder sagt, dass er mit einem Punkt nicht einverstanden ist. Man könnte also sagen, die Minister kommen einfach noch, um abzunicken, was ihre Diplomaten vorher verhandelt haben. Aber man kann es auch so sehen: Die Minister haben dadurch Zeit, über Wichtigeres zu sprechen.

Worüber denn?
Häufig kommen Regierungschefs oder Minister an solche Konferenzen, weil sie mit Amtskollegen über etwas ganz anderes sprechen wollen, als es in den Verhandlungen eigentlich geht. Man nutzt die Gelegenheit, sich persönlich zu sehen. Für uns Diplomaten ist das manchmal recht frustrierend. Bei der Bürgenstock-Konferenz gehe ich aber davon aus, dass das anders ist. Der Krieg in der Ukraine ist zu wichtig, um anderes zu besprechen.

Der Diplomat, der schon mit Russland und der Hamas verhandelte

Thomas Greminger (63) kennt sich aus mit Krieg – und mit Frieden. Der Diplomat stieg nach einer Karriere beim Aussendepartement bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein, wo er von 2017 bis 2020 als Generalsekretär tätig war. Heute ist er Exekutivdirektor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Greminger hat schon mit der Hamas verhandelt und vermittelte nach der russischen Annexion der Krim zwischen der Ukraine und Russland.

Thomas Greminger (63) kennt sich aus mit Krieg – und mit Frieden. Der Diplomat stieg nach einer Karriere beim Aussendepartement bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein, wo er von 2017 bis 2020 als Generalsekretär tätig war. Heute ist er Exekutivdirektor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Greminger hat schon mit der Hamas verhandelt und vermittelte nach der russischen Annexion der Krim zwischen der Ukraine und Russland.

Bundespräsidentin Viola Amherd hält die Erwartungen an den Gipfel bewusst tief. Ziel sei es, bei den Themen nukleare Sicherheit, freie Schifffahrt und Ernährungssicherheit sowie in humanitären Fragen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Geht es wirklich nicht um mehr?
Dass Bundespräsidentin Amherd tiefstapelt, ist vernünftig. Aber natürlich wird das Ziel sein, mehr zu erreichen. Die grosse Frage ist: Wie geht es nach dem Bürgenstock weiter? Wie gelingt es, dass die Konferenz wirklich zu einem Anstoss für Friedensverhandlungen wird? Wie kann man jetzt Russland an Bord holen? Das sind die wirklich wichtigen Fragen, auf die man Antworten finden muss.

Findet man diese Antworten am Verhandlungstisch – oder viel eher in Gesprächen unter vier Augen, in der Kaffeepause oder bei einer Zigarette auf dem Balkon?
Die offiziellen Erklärungen werden im Plenum verlesen. Die grossen Fragen aber werden abseits des Verhandlungstischs besprochen. Die Schweiz wird im Gespräch versuchen, herauszufinden, welches weitere Vorgehen realistisch ist. Das passiert im Rahmen von kurzen bilateralen Treffen unmittelbar vor oder während der Konferenz oder in informellen Momenten, wie beim Warten auf das sogenannte Familienfoto oder beim Lunch.

Wie der Bürgenstock-Gipfel abläuft

Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ist eng getaktet. Weniger als 24 Stunden dauert der Gipfel auf dem Aussichtsberg. Los geht es erst am Samstagnachmittag mit einer Begrüssungszeremonie um 16.30 Uhr. Bereits am frühen Nachmittag werden Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) aber vor die Medien treten.

Am Sonntagmittag ist die Konferenz dann bereits wieder vorbei. Stand jetzt soll die abschliessende Medienkonferenz um 14.30 Uhr stattfinden. Dazwischen finden mehrere Plenarsitzungen statt. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, teilen sich die Delegationen zwischendurch auf, um in kleinerer Runde über die drei Themenbereiche nukleare Sicherheit, Freiheit der Schifffahrt und Lebensmittelsicherheit sowie über Humanitäres zu sprechen. Die Verhandlungen im Plenum wird Aussenminister Ignazio Cassis (63) leiten.

Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ist eng getaktet. Weniger als 24 Stunden dauert der Gipfel auf dem Aussichtsberg. Los geht es erst am Samstagnachmittag mit einer Begrüssungszeremonie um 16.30 Uhr. Bereits am frühen Nachmittag werden Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) aber vor die Medien treten.

Am Sonntagmittag ist die Konferenz dann bereits wieder vorbei. Stand jetzt soll die abschliessende Medienkonferenz um 14.30 Uhr stattfinden. Dazwischen finden mehrere Plenarsitzungen statt. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, teilen sich die Delegationen zwischendurch auf, um in kleinerer Runde über die drei Themenbereiche nukleare Sicherheit, Freiheit der Schifffahrt und Lebensmittelsicherheit sowie über Humanitäres zu sprechen. Die Verhandlungen im Plenum wird Aussenminister Ignazio Cassis (63) leiten.

Sie waren selbst schon an Verhandlungen dabei, haben hochrangige Gesprächsrunden vorbereitet. Welche bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?
Das waren die Verhandlungen 2014 über die OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine. Unter grossen Druck habe ich mit 57 Staaten verhandelt, mit dem Ziel, dass internationale Beobachter ins Land dürfen. Immer wieder waren die Gespräche blockiert, wir mussten sie mehrmals gegen oben eskalieren lassen. Der damalige Bundespräsident Didier Burkhalter musste Wladimir Putin anrufen, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den ukrainischen Premierminister. Bis schliesslich eine Einigung stand. Das waren die spannendsten drei Wochen in meinem Leben.

Bei der Bürgenstock-Konferenz ist Russland nicht eingeladen. Können Sie das nachvollziehen?
Als langjähriger Diplomat habe ich schon einige Fragezeichen. Ja, es war von Anfang an klar, dass Russland nicht kommen wird. Ich gehe davon aus, dass die Ukraine dagegen war, Russland trotzdem eine Einladung auszusprechen. Klar ist, dass sich die Schweiz mit einer Einladung Russlands weniger angreifbar gemacht hätte.

Der Gipfel soll erst der Anstoss zum Frieden sein. Wie realistisch ist es, dass die Schweiz auch bei späteren Friedensverhandlungen eine Rolle spielt?
Das hängt nun davon ab, wie der weitere Prozess gestaltet wird. Aus meiner Sicht ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz zwischen der Ukraine und Russland in einer gewissen Weise vermitteln kann, wenn sie sich gegenüber den Parteien geschickt positioniert.

Obwohl Russland die Schweiz auf die Liste der «unfreundlichen Staaten» gesetzt hat und als nicht mehr neutral betrachtet?
Man muss unterscheiden zwischen dem offiziellen Narrativ, das verbreitet wird – und dem, was russische Entscheidungsträger wirklich denken. Da gibt es, je nach Gesprächspartner, eine ziemliche Diskrepanz. Ich war vor sechs Wochen in Moskau, um an einer Konferenz von Rüstungskontrollexperten teilzunehmen. Ich konnte am Rand mit vielen hochrangigen Personen reden und hatte den Eindruck, dass die Wahrnehmung unseres Landes deutlich weniger negativ ausfällt, als das offiziell den Anschein macht.

Welche Erwartungen haben Sie unter dem Strich also an das bevorstehende Wochenende?
Ich glaube nicht, dass es zu einem historischen Durchbruch kommen wird. Dafür sind beide Konfliktparteien schlicht nicht bereit. Und dessen ist sich die Schweiz auch bewusst. Wie viel die Konferenz wirklich bringt, das wird man möglicherweise erst mit einer gewissen zeitlichen Distanz, vielleicht in einigen Monaten oder in einem Jahr, beurteilen können.

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