Die Schweiz setzt mit dem Jahreswechsel einen Teil der OECD-Mindeststeuerreform um. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was ist die Ausgangslage?
Die bisherige Besteuerung von grossen, international tätigen Unternehmensgruppen ist nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) nicht mehr zeitgemäss. Über 140 Staaten, darunter die Schweiz, haben sich im Oktober 2021 für eine weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent bekannt.
Wer ist betroffen?
Ausschliesslich grosse, international tätige Unternehmensgruppen mit einem jährlichen weltweiten Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro unterliegen der neuen Mindestbesteuerung. In der Schweiz zählen wenige hundert inländische sowie wenige tausend ausländische Unternehmensgruppen dazu. Grob 99 Prozent der Unternehmen in der Schweiz sind von der Reform daher nicht direkt betroffen und werden wie bisher besteuert. Besonders betroffen von der Reform sind Kantone mit tiefer Steuerbelastung, in denen viele grosse und profitable Unternehmen angesiedelt sind.
Wie setzt die Schweiz die Reform um?
Eine Übergangsbestimmung in der Verfassung gibt dem Bundesrat Leitplanken vor, wie er die Mindestbesteuerung umzusetzen hat. Die Umsetzung erfolgt mit einer Verordnung, welche die Einführung einer Ergänzungssteuer im Inland regelt. Die Ergänzungssteuer ist eine Bundessteuer. Wie bei der direkten Bundessteuer wird sie von den Kantonen veranlagt. Innerhalb von sechs Jahren muss der Bundesrat dem Parlament zudem ein Bundesgesetz vorlegen, das die Verordnung ablöst.
Gibt es Ausnahmen?
Steuerbelastungen von weniger als 15 Prozent sind weiterhin möglich, wenn das Unternehmen über Substanz verfügt. Der Substanzabzug ermöglicht es, dass Gesellschaften, die über viele Sachanlagen sowie viel Personal verfügen, auf einen Teil des Gewinns weiterhin tiefer als mit 15 Prozent besteuert werden können. Im ersten Jahr beträgt der Substanzabzug 10 Prozent der Lohnsumme plus 8 Prozent der materiellen Sachanlagen. Nach der Übergangsperiode können Gewinne in Höhe von 5 Prozent der Lohnsumme und der Sachanlagen vom Substanzabzug profitieren.
Was sind die finanziellen Folgen für den Bund?
Die finanziellen Auswirkungen der Mindestbesteuerung sind unsicher. Die Einnahmen aus der Ergänzungssteuer werden anfänglich auf grob eine bis zweieinhalb Milliarden Franken geschätzt. Nicht abgebildet in der Schätzung sind mögliche Verhaltensanpassungen der Unternehmen, zum Beispiel in Form geringerer Investitionen, in der Schweiz und steuerpolitische Entscheide der Kantone, zum Beispiel mittels Tarifanpassungen bei der Gewinnsteuer. Der Bundesrat wird 2024 über die konkrete Verwendung der Mittel entscheiden, wobei diese der Gesamtwirtschaft zugutekommen sollen.
Was sind die finanziellen Folgen für die Kantone?
Das OECD/G20-Projekt macht die Schweiz steuerlich weniger attraktiv, vor allem die Tiefsteuerkantone. Damit die Unternehmen in der Schweiz bleiben, soll ein Teil der durch die Ergänzungssteuer eingenommenen Gelder zur Finanzierung von Massnahmen eingesetzt werden, die dem Standort Schweiz zugutekommen. Auch innerhalb der Schweiz wird der Steuerwettbewerb tendenziell eingeschränkt. Hochsteuerkantone werden im Verhältnis zu Tiefsteuerkantonen attraktiver.
Was sagt der Souverän?
In der Schweiz haben Volk und Stände die für die Umsetzung der Reform nötige Verfassungsänderung am 18. Juni 2023 an der Urne mit 78,5 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen.
Was machen die anderen Staaten?
Die grosse Mehrheit der EU-Staaten und weitere wichtige Industriestaaten wollen die Mindestbesteuerung ebenfalls per 2024 umsetzen. In einzelnen EU-Mitgliedstaaten wird es hingegen zu Verspätungen kommen, voraussichtlich in Griechenland, Polen, Spanien, Portugal und Zypern. Es ist denkbar, dass in diesen Ländern eine rückwirkende Einführung erfolgen wird, weil sie sonst ein Vertragsverletzungsverfahren zu gewärtigen haben. Ausserhalb der EU sehen beispielsweise das Vereinigte Königreich, Australien, Kanada, Japan oder Südkorea ebenfalls eine Umsetzung der Mindestbesteuerung per 2024 vor. Singapur und Hongkong liessen hingegen verlauten, dass sie erst im Jahr 2025 Mindestbesteuerungsregeln einführen wollen. Die USA planen nach wie vor keine Übernahme der OECD/G20-Vorgaben. Auch Staaten wie China, Brasilien und Indien haben derzeit keine Pläne, die Mindestbesteuerung umzusetzen.
Warum setzt der Bundesrat die Reform per Anfang 2024 um?
Der Bundesrat argumentiert, dass er mit einer raschen Umsetzung den Abfluss von Steuersubstrat aus der Schweiz ins Ausland verhindere und stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffe. Würde die Schweiz auf die Einführung der Mindestbesteuerung verzichten, würden schweizerische Ableger von Unternehmensgruppen aus diesen Staaten von ihrem Mutterstaat höher besteuert, was zu einem Abfluss von Steuersubstrat ins Ausland führen würde. Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass im Jahr 2024 bis zu 50 Prozent des mit der Ergänzungssteuer erfassten Gewinnsteuersubstrats ins Ausland abgeflossen wären, wenn die Schweiz diese nicht eingeführt hätte.
Was sind die Reaktionen darauf?
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bezeichnet die Einführung der Steuer per Anfang 2024 als «riskant», weil viele Staaten noch nicht dabei sind. Gegenüber Staaten ohne Mindeststeuer sei dies ein Nachteil für die Schweiz und ihre Unternehmen. Gleichzeitig blieben die anderen Standortkosten der Schweiz wie der starke Franken, die hohen Löhne und die Immobilienpreise deutlich teurer als im Ausland. Der Firmenstandort gerate zunehmend unter Druck.
Was steht noch aus?
Über die Einführung weiterer Elemente der Reform wird der Bundesrat bis Ende 2024 entscheiden. So wird die Schweiz noch nicht ab Anfang 2024 von den neuen Besteuerungsrechten Gebrauch machen, wenn eine hierzulande tätige Unternehmensgruppe die Mindestbesteuerung im Ausland nicht erreicht. Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmensgruppen im Ausland können also weiterhin von einer tieferen Besteuerung profitieren, sofern sich diese in Staaten befinden, die die Mindestbesteuerung (noch) nicht umsetzen. Der Verzicht auf die Sicherstellung der Mindestbesteuerung im Ausland schafft jedoch einen Anreiz für schweizerische Unternehmensgruppen, Gewinne und Aktivitäten in tiefbesteuerte ausländische Tochtergesellschaften zu verlagern. Der Bundesrat wird die weitere internationale Entwicklung verfolgen und zu einem späteren Zeitpunkt über die Einführung der internationalen Ergänzungssteuer entscheiden.
Was planen OECD/G20 sonst noch?
Die OECD/G20-Steuerreform umfasst auch noch eine weitere Säule. Diese sieht vor, die weltweit hundert grössten Unternehmen künftig nicht nur im Sitzstaat zu besteuern, sondern auch dort, wo ihre Leistungen konsumiert werden. Betroffen davon sind laut der Bundesverwaltung zwischen drei und fünf Schweizer Unternehmen - darunter die Chemiekonzerne Novartis und Roche sowie der Nahrungsmittelriese Nestlé. Diese erste Säule soll mit einem multilateralen Abkommen umgesetzt werden, wie das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) im Sommer mitteilte. Die Schweiz habe an der Entwicklung und an den Verhandlungen sämtlicher Massnahmen aktiv teilgenommen. (SDA)