Viola Amherd (62) verkauft es als Erfolg. «Wir haben dieses Wochenende wichtige Arbeit geleistet», bilanzierte die Bundespräsidentin am Sonntagnachmittag in der zum Medienzentrum umfunktionierten Tennishalle des Bürgenstock-Resorts.
In der Halle nebenan waren am Wochenende Vertreter von 93 Staaten zusammengekommen, um sich über einen Weg zum Frieden in der Ukraine zu verständigen. Es ist der grösste und hochrangigste Gipfel, den die Schweiz je organisiert hat.
Nur 80 von 93 Staaten unterstützen Schlusserklärung
So beeindruckend die Dimensionen der Friedenskonferenz, so bescheiden wirken die Ergebnisse. Die teilnehmenden Staaten haben eine gemeinsame Stellungnahme verabschiedet, in der sie sich für den «fruchtbaren Meinungsaustausch» loben und das Ziel eines «umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedens», der auf dem Völkerrecht basiert, festschreiben. Was genau man darunter versteht, hat niemand gewagt zu präzisieren. Weiter halten sie fest, dass die Sicherheit der ukrainischen Atomkraftwerke gewährleistet sein muss, dass Angriffe auf Schiffe nicht akzeptabel seien, und fordern den Austausch der Kriegsgefangenen und die Rückgabe verschleppter ukrainischer Kinder.
Es sind allgemein gehaltene, unumstrittene Forderungen. Dennoch unterstützen nicht alle Teilnehmer die Schlusserklärung. 13 Länder wollten sie nicht unterzeichnen – darunter die wichtigen Brics-Staaten Indien, Brasilien und Südafrika sowie Mexiko, Indonesien und die arabischen Staaten Saudi-Arabien, Bahrain und die Emirate. Wobei Brasilien lediglich einen Beobachter in die Schweiz geschickt hatte. China hat gar nicht erst teilgenommen. Damit fehlen ausgerechnet jene Staaten, deren Support weltpolitisch Gewicht gehabt hätte.
Und jetzt?
Auch bleibt ziemlich schwammig, wie es nach dem Gipfel weitergeht. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) gab bekannt, dass man sich darauf geeinigt habe, die Arbeit auf Ebene von Ministern oder nationalen Sicherheitsberatern fortzuführen. Mehrere solcher Treffen fanden bereits statt. Irgendwann soll es dann eine zweite Friedenskonferenz geben. Einige Länder hätten bereits Interesse an der Durchführung gezeigt, so Selenski. Welche das sind, behielt er für sich. Laut Aussenminister Ignazio Cassis (63) ist nicht ausgeschlossen, dass eine Folgekonferenz noch vor den US-Präsidentschaftswahlen im November stattfindet.
Die Schweiz wolle sich auch bei den nächsten Schritten «aktiv einbringen», betonte Amherd. In den kommenden Tagen will Cassis Kontakt mit Russland aufnehmen, das man nicht zum Gipfel eingeladen hatte, aber irgendwann auch am Verhandlungstisch sitzen muss.
Ambühl spricht von «bestmöglichem Ergebnis»
Der Friedensgipfel, eine grosse Enttäuschung?
Ex Staatsekretär und ETH-Konfliktforscher Michael Ambühl (72) sieht das nuancierter. Er unterscheidet zwischen der Schweizer Leistung und dem Resultat für den Friedensprozess. Für die Schweizer Diplomatie sei die Konferenz ein «klarer Erfolg». Man habe das «realistischerweise bestmögliche Ergebnis» erzielt. «Es ist der Beginn eines Prozesses. Ein Referenzpunkt für zukünftige Bemühungen», so Ambühl. Die Schweiz habe sich für weitere Schritte Richtung Frieden positionieren können. «Die Ausgangslage dazu ist im Rahmen der gegebenen Umstände gut.»
Sicher wäre es schön gewesen, hätte man schon jetzt einen nächsten Gipfel ankündigen können, räumt er ein. Aber ohne Russland miteinzubeziehen, sei das schwierig. Und dass russlandfreundliche Brics-Staaten nicht unterzeichneten, sei zwar bedauerlich, aber wenig überraschend.
Er gibt Amherd recht, die sagte: «Wir haben erreicht, was unter den Vorzeichen zu erreichen war.» Die Bundespräsidentin hatte die Erwartungen, taktisch klug, von Beginn weg klein gehalten. So kann man nicht scheitern. Aber rasch vorwärts kommt man auch nicht.