Das meinen Medien in der Schweiz
Kommentatoren gehen hart ins Gericht mit dem Bundesrat

War der Bundesrat während der ersten Corona-Welle im Frühjahr noch für sein Krisenmanagement gelobt worden, hagelt es jetzt Kritik. Die Landesregierung habe die zweite Welle unterschätzt und zu spät reagiert.
Publiziert: 29.10.2020 um 05:15 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2020 um 13:17 Uhr
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Schweizer Medien gehen mit dem Bundesrat hart ins Gericht.
Foto: Pius Koller

War der Bundesrat während der ersten Corona-Welle im Frühjahr noch weitherum für sein gutes Krisenmanagement gelobt worden, so brandet ihm nun eine Welle von Kritik entgegen. Die Landesregierung habe die zweite Welle unterschätzt und zu spät reagiert, heisst es in den Kommentaren der Schweizer Medien vom Donnerstag.

Blick TV

Mit dem Massnahmenpaket des Bundesrates habe die Schweiz eine letzte Chance, die Fallzahlen zu senken und zu verhindern, dass die Spitäler überlastet würden, kommentierte der Chefredaktor des BLICK die jüngste Entwicklung. In den letzten Wochen sei ein totales Versagen der Kantonsregierungen und des Bundesrates feststellbar gewesen. Sie hätten nichts unternommen und die Menschen vertröstet. Dabei sei wohl schon absehbar gewesen, dass die Schweiz sehenden Auges in eine Katastrophe schlittere. Die nun beschlossenen Massnahmen seien das Minimum, das nötig sei. Nur so könne ein zweiter Lockdown hoffentlich noch verhindert werden

«Neue Zürcher Zeitung»

«Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern High Noon», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» in einem Kommentar zu den jüngsten Massnahmen des Bundesrates zur Eindämmung des Coronavirus. Wenn die Schweiz die Corona-Pandemie wieder in den Griff bekommen wolle, dann müssten jetzt alle an einem Strick ziehen: Bevölkerung, Wirtschaft und Politik. Zu lange sei die Wucht der zweiten Welle unterschätzt worden. Und zu lange habe man zugewartet. Das Umdenken müsse im Kopf erfolgen. Das Massnahmenpaket des Bundesrates sei ein Weckruf. Jeder sei aufgefordert, sich so weit einzuschränken, dass er andere und sich selber möglichst wenig der Gefahr einer Ansteckung aussetze.

«Tages-Anzeiger»

Der Bundesrat geht nach Ansicht des «Tages-Anzeigers» bei der Bekämpfung des Coronavirus zu zurückhaltend vor. Verglichen mit dem Ausland und den Massnahmen, die der Kanton Wallis ergriffen habe, gehe die Landesregierung weniger weit. Der Bundesrat gewichte die Wünsche der Wirtschaft höher. Das sei eine riskante Strategie. Das Risiko trügen die Schwächsten. Der Bundesrat sei im Spinnennetz des Föderalismus hängen geblieben. Die exponentiell wachsenden Covid-Zahlen bestätigten aufs Neue, dass Verantwortung nicht teilbar sei. Der Bundesrat sollte jetzt zur ausserordentlichen Lage zurückkehren und das Land wohlbedacht durch den Krisenwinter führen.

CH Media

Die vom Bundesrat beschlossenen Corona-Massnahmen schränken laut dem Chefredaktor der CH Media vor allem die Freizeit und das kulturelle Leben ein. Der Berufsalltag und die Unternehmen seien weniger betroffen. Es sei richtig vom Bundesrat, die Wirtschaft so weit wie möglich weiterlaufen zu lassen und so Arbeitsplätze zu sichern. Der Mensch brauche aber nicht nur Arbeit. Er verkümmere ohne Kultur, Theater, Museen und Kleinkunst. Gleich mehrfach sei in den letzten Wochen und Monate Zeit verspielt worden, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Es sei noch nicht zu spät. Die Schweiz verfüge über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Jeder einzelne Mensch müsse nun seinen Teil dazu beitragen, das Virus zu stoppen.

«Südostschweiz»

Es gelte in der Corona-Pandemie, keine Zeit mehr zu verlieren, kommentiert auch die «Südostschweiz». Die Schweiz habe zu lange zugeschaut, während die Nachbarländer Schliessungen, nächtliche Ausgangssperren und Maskentragpflichten in Aussenräumen längst verfügt hätten. Zwar hätten auch die Nachbarn die Lage nicht im Griff, aber besser als die Schweiz. Im Kanton Graubünden gehe es um viel. Die Wintersaison stehe vor der Tür, mit einer sehr unsicheren Prognose. Nur wenn die Infektionszahlen sänken und Graubünden von der Liste der Risikogebiete gestrichen werde, bestehe Hoffnung. Der Kanton habe es in der Hand, weitere Einschränkungen zu beschliessen. Noch verzichte er darauf. Die Frage sei, wie lange noch.

«20 Minuten»

Der Bundesrat habe ein gutes Massnahmenpaket ausgearbeitet, zitiert die Pendlerzeitung «20 Minuten» den Tessiner Infektiologen Andreas Cerny. Es sei zu begrüssen, dass die Regeln bereits seit Mitternacht in Kraft seien. Die Einschränkungen hätten jedoch bereits deutlich früher beschlossen werden müssen. Es sei wertvolle Zeit verloren gegangen. Die neuen Massnahmen seien wohl der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Bund und Kantonen. Es gebe noch Luft nach oben. Cerny zeigte sich überzeugt, dass die Massnahmen die Infektionskurve beim Coronavirus abflachen werden. Es gelte nun vor allem, die Zahl der Hospitalisationen und die Belegung der Intensivbetten zu senken.

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watson.ch

Hart mit der Landesregierung ins Gericht geht das Online-Newsportal watson.ch. Das Vorgehen des Bundesrates erinnere an das Lied «Dr Alpeflug» von Mani Matter über zwei Freunde im Sportflugzeug. Da versuche der Passagier dem Piloten zu sagen, dass das Benzin ausgehe. Doch der verstehe wegen des Motorenlärms kein Wort. Als der Motor abgestellt habe, hätten beide die Situation erkannt. Mit anderen Worten: Um eine Pandemie zu bewältigen, müsse die Regierung die Menschen an Bord holen. Überzeugt werde die Bevölkerung aber nur durch kompetentes Handeln, vollständige Information, ehrliche Kommunikation und transparente Fehlerkultur. In den letzten Wochen sei das exakte Gegenteil zu beobachten gewesen.

«Le Temps»

Die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» sieht vor allem den Profi-Sport als Verlierer der jüngsten Corona-Massnahmen des Bundes. Die Situation gleiche einem Skifahrer, der nach langer Verletzung zurückkehre und sich die Bänder in der dritten Kurve des zweiten Laufs reisse. Die Beschränkung auf 50 Zuschauerinnen und Zuschauer sei im Sport gleichbedeutend mit einer Schliessung. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Clubs viel Aufwand für ein Schutzkonzept investiert hätten, das effizient sei und hohe Kosten verursacht habe. Das Fazit für die Zukunft könne nur lauten: Nur nichts planen. Doch gerade Planung und Zuverlässigkeit seien im Sport enorm wichtig.

«Tribune de Genève»

Der Bundesrat hätte laut einem Kommentar in der «Tribune de Genève» eine Woche früher auf das sich rasant ausbreitende Coronavirus reagieren können. Die Vernehmlassung bei den Kantonen habe unnötig Zeit verschlungen. Verglichen mit anderen Staaten in Europa stehe die Schweiz schlecht da. Es sei müssig zu fragen, wer daran Schuld sei. Die Schweiz befinde sich mitten in der zweiten Welle. Verglichen mit dem vom Bundesrat im März beschlossenen Massnahmen, seien die jetzigen Beschlüsse weniger einschneidend und bereits in einigen Kantonen in Kraft. Die kommenden Wochen müssten zeigen, ob der Bundesrat hart genug agiert habe oder die Zügel noch stärker selbst hätte in die Hand nehmen müssen.

«Le Courrier»

Der Bundesrat habe im letzten Moment die Kurve gekriegt, kommentiert die Westschweizer Tageszeitung «Le Courrier». Das Pflegepersonal habe unüberhörbar die Alarmglocke geläutet. Das habe den Druck erhöht. Bereits nach der ersten Welle sei die Schweizer Bevölkerung erschöpft gewesen. Das sei verständlich. Die Wirtschaft ihrerseits habe die Probleme lange nicht ernst genug genommen. Offen bleibe, wer die nun beschlossenen Massnahmen des Bundes kontrolliere. Und schliesslich fehlten auch Massnahmen zum Schutz von Beschäftigung und Löhnen im Paket des Bundesrates, kritisiert die Zeitung. (SDA)

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