Das Verteidigungsdepartement (VBS) war in der Corona-Krise gefordert: Tausende Armeeangehörige und Zivilschützer leisteten einen Sondereinsatz und die Armeeapotheke beschaffte Hunderte Millionen von Masken und anderes Schutzmaterial.
Doch hinter den Kulissen war auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) aktiv und lieferte regelmässig Lagebeurteilungen. Dies zeigen die internen Protokolle des Corona-Ausschusses im VBS, der zwischen März und Juni tagte. BLICK hat die – teils geschwärzten – Dokumente gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten.
Gleich nach dem Lockdown Mitte März trifft sich der Ausschuss zu den ersten Sitzungen. Schon da berichtet der NDB-Vertreter über «vermehrte Angriffe im Cyberbereich im Ausland im Zusammenhang mit dem Coronavirus», die Präventivarbeit gegen Cyberkriminalität sei bereits am Laufen. Cyberangriffe auf Gesundheitseinrichtungen seien keine bekannt, meldet der NDB – um wenig später über «gezielte Angriffe auf den Gesundheitssektor» zu informieren.
Cyberattacken bleiben ein Thema: Der Geheimdienst meldet dem Ausschuss im März Phishing-Versuche im Namen des Bundesamts für Gesundheit oder im April, dass pro Tag in der Schweiz «20 bis 30 Domains mit Bezug zu Corona registriert werden» und warnt vor weltweit steigenden Cyberaktivitäten im Zusammenhang mit Corona. Am 1. Mai meldet der NDB kurz: «Die Cyberkriminalität hat sich erhöht.»
Deutlich mehr Cyber-Meldungen
Gegenüber BLICK verweist der NDB auf das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCSC). Da sieht man die Sache etwas differenzierter: «Die Meldungen aus der Öffentlichkeit bezüglich Cyber-Kriminalität haben im Frühjahr 2020 deutlich zugenommen», so Manuela Sonderegger. Bis zu knapp 400 Meldungen gab es pro Woche. «Das NCSC geht jedoch nicht von einer tatsächlichen Zunahme der Kriminalität im Cyberraum während des Lockdown aus.» Vielmehr sei der Anstieg von Meldungen primär auf die erhöhte Sensibilität der Meldenden sowie die besondere Arbeitssituation im Homeoffice zurückzuführen.
Eine Besonderheit sei aber, dass die Cyberkriminellen Covid-19 «rasch aufgegriffen und ihre Angriffe auf diese besondere Situation hin angepasst haben», verweist Sonderegger auf Malware-Mails, für welche der Name des BAG missbraucht wurde. «Mittlerweile hat sich die Situation etwas entspannt.»
Bekannt sind dem NCSC auch gezielte Angriffe auf das Gesundheitswesen wie Spitäler und Forschungseinrichtungen im Ausland. Von erfolgreichen Angriffen auf das Gesundheitswesen in der Schweiz habe man aber keine Kenntnis, gibt Sonderegger Entwarnung.
Repatriierung von Dschihadisten
Auch die internationale Bedrohungslage ist in den VBS-Protokollen wiederholt ein Thema. So warnt der NDB, dass das Virus «in instabilen Regionen der Welt für Unsicherheit sorgen kann». Ende März äusserte der Geheimdienst die Befürchtung, dass die Repatriierung von Schweizer Dschihadisten durch «Druck durch Dritte» ein Thema werden könnte, da sich das Virus im Nordostens Syriens ausbreite.
Gegenüber BLICK ergänzt NDB-Sprecherin Lea Rappo, dass die Terrorbedrohung in der Schweiz zwar seit 2015 erhöht sei. Aber: «Nach Beurteilung des NDB führt die Pandemie kurzfristig zu keiner unmittelbaren Verschärfung der Terrorbedrohungslage in Europa.» Die längerfristigen Konsequenzen der Pandemie seien noch kaum abzuschätzen.
Was die Angst vor einer Dschihadisten-Rückkehr betrifft, nimm das Aussendepartement Stellung: Eine aktive Rückführung könne nur für Minderjährige geprüft werden, so EDA-Sprecherin Elisa Raggi. Dem EDA seien diesbezüglich aber keine direkten Druckversuche Dritter auf die Schweiz bekannt. Zudem hätten die bisherigen Kontakte «noch zu keinem Ergebnis geführt, da die Mütter die Rückführung der Kinder ohne sie ablehnen.»
Ausländische Geheimdienste klopfen an
Auch die innenpolitische Bedrohungslage kommt im VBS-Ausschuss aufs Tapet. Ausländische Geheimdienste klopfen an und wollen wissen, wie sich die Corona-Pandemie auf die Schweiz auswirkt. «Der NDB hat schon mehrere Anfragen von Partnerdiensten zu Corona erhalten», heisst es dazu im April. «Es sind Fragen zur Beurteilung der Auswirkungen der Pandemie, der Einschätzung von Beeinflussungsoperationen sowie Fragen, ob es Corona-bedingt mehr Drohungen gegen Minister und andere Entscheidungsträger gebe.»
Im Zeitraum von Anfang April bis Mitte Mai beantwortet der NDB «über ein Dutzend Anfragen» von Partnerdiensten im Zusammenhang mit Covid-19, so NDB-Sprecherin Rappo. Was Corona-bedingte Drohungen betrifft, verweist der NDB ans Bundesamt für Polizei. «Wer sich in der Corona-Frage exponiert, kann unter Umständen mehr Drohungen erhalten – das gilt für Bundesräte, Politiker und Behörden», so Fedpol-Sprecher Florian Näf. «Wir beurteilen die Lage laufend und können für die Betroffenen zusätzliche Schutzmassnahmen ergreifen.»