Crypto-Skandal: CIA-Schnüffelei mit Schweizer Hilfe
Was wusste unsere Regierung?

Es war ein riesiger Geheimdienstcoup: Mithilfe der Schweizer Firma Crypto AG hörten Amerikaner und Deutsche die verschlüsselte Kommunikation von über 100 Staaten ab. Offen bleibt vorerst, ob auch die Schweizer Regierung Bescheid wusste. Eine PUK könnte dies klären.
Publiziert: 12.02.2020 um 21:40 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2020 um 13:29 Uhr
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Der US-Geheimdienst CIA ...
Foto: AFP
Lea Hartmann, Fabienne Kinzelmann und Ruedi Studer

Geheime Deals, manipulierte Verschlüsselungsmaschinen und Mitarbeiter, die um ihr Leben fürchteten: Es ist ein wahrer Spionage-Thriller, der sich in den vergangenen Jahrzehnten abspielte – und die neutrale Schweiz war mittendrin.

In einer beschaulichen Gemeinde am Zugersee, zwischen Fussballplatz und Tankstelle, liegt die Firma, über welche die USA und Deutschland die Welt aushorchten. 1970 übernahmen die US-Geheimdienste CIA und NSA sowie der deutsche Nachrichtendienst BND die Crypto AG in Steinhausen.

Mit Chiffriermaschinen, in die sie eine Hintertür gebaut hatten, spionierten sie Dutzende Staaten aus. Das hat die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens in Zusammenarbeit mit ZDF und «Washington Post» aufgedeckt. Die Recherchen belegen erstmals, was bereits seit den 1990er-Jahren vermutet worden war.

Den guten Ruf der neutralen Schweiz ausgenutzt

Man könnte das Ganze als Krimi aus Zeiten des Kalten Kriegs abtun, als ein Stück Geschichte, bei dem höchstens Historiker noch Herzklopfen bekommen. Wären da nicht die Fragen, deren fehlende Antworten den Fall noch heute so brisant machen: Welche Rolle spielt der Schweizer Geheimdienst? Hatte er Kenntnis davon, dass ausländische Geheimdienste den guten Ruf der Schweiz als neutralen Staat ausnutzten, um über eine hier ansässige Firma Freund und Feind auszuschnüffeln? Und: Was wusste der Bundesrat?

Für Historiker Philipp Sarasin (63) ist klar: «Irgendwelche Leute in der Schweiz werden das gewusst haben. In der Firma und in den Geheimdiensten.» Die grosse Frage sei, ob die Schweizer Regierung etwas wusste. «Das wäre neutralitätspolitisch ein enormes Ding.»

Wusste Kaspar Villiger Bescheid?

Laut den Dokumenten, die dem Recherchekollektiv vorliegen, wusste mindestens ein damaliger Bundesrat Bescheid: der ehemalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger (79). Er sass dem Eidgenössischen Militärdepartement von 1989 bis 1995 vor – dann, als die Verhaftung des mittlerweile verstorbenen Crypto-Mitarbeiters Hans Bühler fast dafür sorgte, dass alles aufflog.

Der ehemalige FDP-Bundesrat soll 1994 gewusst haben, dass die Crypto unter anderem der CIA gehörte – «und fühlte sich moralisch verpflichtet, dies offenzulegen», heisst es im CIA-Papier. Doch Villiger habe nichts unternommen.

Villiger bestreitet gegenüber der «Rundschau» die Vorwürfe. Auf BLICK-Anfrage schreibt der frühere FDP-Bundesrat: «Ich war in diese nachrichtendienstliche Operation nicht eingeweiht.» Und weiter: «Handlangerdienste für Drittstaaten, die den Ruf der Schweiz als verlässlich neutrales Land beschädigen können, hätte ich niemals gedeckt und auf jeden Fall im Bundesrat zur Sprache gebracht.»

Allerdings schliesst Villiger nicht aus, dass der Schweizer Geheimdienst über die Operation im Bild war. «Ich muss davon ausgehen, dass ich während meiner Amtszeit nicht hinreichend informiert worden bin», schreibt der alt Bundesrat.

Schweizer Geheimdienst schloss die Augen

Darauf lassen auch die CIA-Unterlagen schliessen, auf die sich die «Rundschau» beruft. «Hohe Beamte» der damaligen Bundespolizei (Bupo) hätten von der Rolle Deutschlands und der USA bei der Crypto AG gewusst. Mehr noch: Sie sollen auch dazu beigetragen haben, «diese Beziehung zu schützen».

Bis jetzt bleibt die Schweiz verschont

SVP-Bundesrat Guy Parmelin (60) blieb kurz angebunden. Eigentlich wollte der Wirtschaftsminister am Mittwoch einzig seine Agrar-Reform vorstellen. Ganz aber kam er dann doch nicht um die Spionage-Affäre herum, die die Schweiz in Atem hält. Auf die Frage eines Journalisten, ob er als ehemaliger Verteidigungsminister Kenntnis davon hatte, meinte er nur: «Nein».

Ansonsten hält sich die Landesregierung vorerst bedeckt. Zum Vorwurf, die offizielle Schweiz habe die Spionage-Aktionen von CIA und deutschem Nachrichtendienst geduldet oder gar gedeckt, will sich der Bundesrat erst nach Vorliegen des offiziellen Untersuchungsberichts im Juni äussern. Die Regierung habe in ihrer aktuellen Zusammensetzung erst im vergangenen Jahr davon erfahren.

Klar ist zumindest, dass die Affäre für die Schweiz bis jetzt noch keine diplomatischen Folgen hat. Bis am Mittwoch habe der Bundesrat noch keine Reaktionen von anderen Staaten erhalten, erklärte Bundesratssprecher André Simonazzi (52) vor den Medien.

SVP-Bundesrat Guy Parmelin will als ehemaliger Verteidigungsminister nichts von der Spionage-Affäre gewusst haben.

SVP-Bundesrat Guy Parmelin (60) blieb kurz angebunden. Eigentlich wollte der Wirtschaftsminister am Mittwoch einzig seine Agrar-Reform vorstellen. Ganz aber kam er dann doch nicht um die Spionage-Affäre herum, die die Schweiz in Atem hält. Auf die Frage eines Journalisten, ob er als ehemaliger Verteidigungsminister Kenntnis davon hatte, meinte er nur: «Nein».

Ansonsten hält sich die Landesregierung vorerst bedeckt. Zum Vorwurf, die offizielle Schweiz habe die Spionage-Aktionen von CIA und deutschem Nachrichtendienst geduldet oder gar gedeckt, will sich der Bundesrat erst nach Vorliegen des offiziellen Untersuchungsberichts im Juni äussern. Die Regierung habe in ihrer aktuellen Zusammensetzung erst im vergangenen Jahr davon erfahren.

Klar ist zumindest, dass die Affäre für die Schweiz bis jetzt noch keine diplomatischen Folgen hat. Bis am Mittwoch habe der Bundesrat noch keine Reaktionen von anderen Staaten erhalten, erklärte Bundesratssprecher André Simonazzi (52) vor den Medien.

Die Bundespolizei hatte in den 90er-Jahren eine Untersuchung wegen der Verdachtsmomente eröffnet. Wirklich etwas finden wollten die Beamten laut «Rundschau» aber nicht. Mitarbeiter des Nachrichtendiensts hätten dafür gesorgt, dass die Spezialisten der Schweizer Armee bei der Untersuchung der Chiffriergeräte keine Lunte rochen.

Der ehemalige Crypto-Mitarbeiter Bruno von Ah sagt gegenüber SRF zudem: «Ich habe dem von der Bupo gesagt, dass es ein mögliches Hintertürchen gibt.» Die Behörde habe den Verdacht aber nicht weiterverfolgt.

CIA des Mords verdächtigt

Was wirklich lief, blieb damit im Dunkeln. Sogar vor Mord sollen die US-Geheimdienste laut Nachrichtendienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom (67) nicht zurückgeschreckt haben, um die Machenschaften nicht auffliegen zu lassen. So war der Sohn des Firmengründers Boris Hagelin bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. «Selbst der Vizepräsident des BND ging davon aus, dass er nicht Opfer eines Unfalls, sondern Opfer eines nachrichtendienstlichen Mords wurde», sagt Schmidt-Eenboom gegenüber der «Rundschau».

Jahrzehnte danach soll nun endlich die Wahrheit ans Licht kommen. Aufgeschreckt durch die Recherchen hat der Bundesrat den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) mit einer Untersuchung betraut.

Der Politik reicht das nicht. Die SP beantragt im Parlament die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Auch Grüne, FDP und SVP sprachen sich dafür aus. Es wäre erst das fünfte Mal, dass auf Bundesebene eine PUK eingesetzt wird.

Darum geht es bei Crypto-Leaks
  • Die Schweizer Firma Crypto AG aus Steinhausen ZG war jahrzehntelang Weltmarktführer in der Herstellung von Verschlüsselungstechnik. Diese wurde in über 100 Länder verkauft, die damit heikle Kommunikationen schützen wollten.
  • Was lange vermutet wurde, ist jetzt dank Recherchen von SRF und internationalen Medien bewiesen: Der deutsche Geheimdienst NDB und die CIA hatten von Anfang an die Hände im Spiel. Seit 1970 sogar als Eigentümer der Crypto AG – via eine Tarnfirma im Fürstentum Liechtenstein.
  • Was die Abnehmer der Crypto-Technologien nicht wussten: Die Geheimdienste bauten Hintertüren ein, mit denen CIA und BND die vermeintlich sichere Kommunikation mitlesen konnten.
  • Als Anfang der 90er-Jahre der Crypto-Mitarbeiter Hans Bühler im Iran wegen Spionage verhaftet wurde, drohte das Konstrukt aufzufliegen. Die Bundesbehörden ermittelten – wie gut, ist eine andere Frage. Die Ermittlungen führten zu nichts.
  • Im Januar 2020 hat der Bundesrat den Ex-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) eingesetzt, die Affäre aufzuarbeiten. Immer mehr Politikern reicht das nicht.
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  • Im Januar 2020 hat der Bundesrat den Ex-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66) eingesetzt, die Affäre aufzuarbeiten. Immer mehr Politikern reicht das nicht.
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