Der Wiederaufbau in der Ukraine, Nothilfe nach Katastrophen oder Friedensvermittlung in Lateinamerika: 11,27 Milliarden Franken will der Bundesrat in den nächsten vier Jahren für die Entwicklungshilfe ausgeben. Am Mittwoch hat die Regierung ihre neue Strategie für die internationale Zusammenarbeit verabschiedet. Nebst dem Budget bleiben auch die Ziele weitgehend dieselben wie bisher: Man wolle die Armut bekämpfen und nachhaltige Entwicklung fördern, sagte Aussenminister Ignazio Cassis (63).
Angesichts all der Krisen und Kriege auf der Welt ist die Hilfe der Schweiz enorm gefragt. «Wir müssen uns um die dringendsten Probleme kümmern, uns bleibt keine andere Wahl», so Cassis. Der Idealfall sei, dass man Länder so stärke, dass sie nicht mehr auf Entwicklungshilfe angewiesen sind. Doch davon sei man derzeit «leider weit entfernt».
Linke üben Kritik
Winkt die Schweiz den Vorschlag des Bundesrats durch, wird die Schweiz in den nächsten Jahren schätzungsweise 0,36 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens für die internationale Zusammenarbeit einsetzen, also des gesamten Einkommens, das Schweizerinnen und Schweizer erwirtschaften. 2023 lag die Quote bei 0,43 Prozent. Die 11,27 Milliarden Franken sind etwas weniger als ursprünglich vom Bundesrat vorgesehen – das liegt aber lediglich daran, dass man einen Budgetposten fürs Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) auf dessen Wunsch streicht.
Linke Parteien und Organisationen hatten die sinkende Entwicklungshilfe-Quote bereits vergangenes Jahr heftig kritisiert. Aus ihrer Sicht muss der Bund das Budget unbedingt erhöhen. Alliance Sud, eine Allianz mehrerer Hilfswerke, wirft dem Bund vor, die öffentlichen Stellungnahmen zur Entwicklungshilfe-Strategie komplett ignoriert zu haben. Eine Quote von 0,36 Prozent entspreche gerade einmal der Hälfte des von der Uno angestrebten Ziels und sei «absolut inakzeptabel und einem reichen Land wie der Schweiz unwürdig».
Mehr Geld für humanitäre Hilfe
Cassis stellt sich auf den Standpunkt, dass es wegen der klammen Bundesfinanzen keinen Spielraum für eine Erhöhung gibt. Man könne zufrieden sein, dass es keine Kürzung gebe, sagte er.
Der Bundesrat schlägt dem Parlament aber vor, das Geld anders zu verteilen. Cassis will künftig einen Viertel des Entwicklungshilfe-Budgets für humanitäre Hilfe aufwenden, derzeit ist es ein Fünftel. Denn die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, hat sich innert der vergangenen vier Jahre schätzungsweise fast verdreifacht. 1,5 Milliarden sollen zudem für den Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt werden.
Hierhin sollen die Schweizer Hilfsgelder fliessen:
Entwicklungszusammenarbeit
4,2 Milliarden Franken – 62 Prozent des gesamten Budgets – ist für die Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen, also für längerfristige Projekte in Staaten, um die Armut zu verringern und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Knapp jeder vierte Franken davon fliesst in Länder Europas, Afrikas und dem Mittleren Osten, fast gleich viel nach Subsahara-Afrika. 21 Prozent der Gelder sind für asiatische Länder vorgesehen.
Humanitäre Hilfe
2,4 Milliarden Franken will der Bund für die humanitäre Hilfe ausgeben, also beispielsweise für den Aufbau einer Gesundheits- oder Trinkwasserversorgung oder das Verteilen von Lebensmitteln und Medikamenten. Auch der Wiederaufbau der Ukraine gehört zur Nothilfe.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verwaltet 14 Prozent der Entwicklungshilfe-Gelder. Es unterstützt zum Beispiel Berufsbildungsprogramme im Ausland oder berät ausländische Zentralbanken.
Friedensförderung und Menschenrechte
Ein relativer kleiner Teil, knapp 270 Millionen Franken, will der Bund in die Förderung von Frieden, Demokratie und die Durchsetzung der Menschenrechte investieren. So vermittelt sie beispielsweise in Friedensverhandlungen.
Frage zur Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock
Zuletzt äussert sich Cassis auf Nachfrage noch zur Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock, die am 15. und 16. Juni stattfindet. «Der Rücklauf ist erfreulich», sagt Cassis in Bezug auf die Anmeldungen. Im Moment sei man auf Kurs, doch man hoffe auf weitere Fortschritte. Die Frage, welche Länder man gerne mit am Tisch hätte, die sich noch nicht angemeldet haben, beantwortet Cassis nicht.
Budget bleibt gleich
Angesprochen aufs Budget, sagt Cassis, dass man angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes zufrieden damit sein könne. Das Budget bleibe mehr oder weniger dasselbe wie in den vergangenen Jahren.
Die 11,27 Milliarden Franken sind zwar etwas weniger, als der Bundesrat vor einem Jahr vorgeschlagen hatte (11,45 Milliarden). Das liegt aber an kleineren Änderungen, bei denen es nicht um Kürzungen bei Entwicklungsprojekten handelt.
Nach diesen Kriterien verteilt der Bund das Geld
Cassis erklärt, nach welchen Kriterien Entwicklungshilfe gesprochen wird. Das erste Kriterium seien die Bedürfnisse vor Ort. «Und wer hat die grösseren Bedürfnisse als die Bevölkerung, die in einem Krieg leidet?» Zweitens spielten die Interessen der Schweiz eine Rolle. Nicht zuletzt sei ein Kriterium, wie viel die Schweiz tun kann.
Man müsse genügend flexibel sein, rasch auf neue Krisen zu reagieren. Das sei die grosse Herausforderung.
Was ist mit Rückübernahme-Abkommen?
Ein Journalist will wissen, ob im Rahmen der neuen Strategie auch Gelder vorgesehen sind, um Abkommen mit Drittstaaten zu schliessen, damit diese abgewiesene Asylsuchende übernehmen. Dies steht derzeit politisch zur Diskussion.
Deza-Chefin Danzi sagt, es gehe vor allem darum, Länder zu unterstützen, die viele Geflüchtete aufnehmen. Man habe kein Geld speziell für solche Rückübernahmeabkommen vorgesehen. Cassis ergänzt, dass die internationale Zusammenarbeit dazu beitragen müsse, dass es weniger Migration gebe. Das sei ein Ziel. Zum Beispiel gebe es Projekte, die Jobs schaffen für Menschen, damit sie nicht aus wirtschaftlicher Not das Land verlassen.
«Wir können nicht überall sein»
Zuletzt kommt Simon Geissbühler zu Wort. Er sagt, das Engagement der Schweiz für Menschenrechte und Frieden sei im Interesse der Schweiz. Geissbühler ist Leiter der Abteilung Frieden und Menschenrechte im Aussendepartement (EDA). «Unser Ansatz ist realistisch und flexibel. Wir können nicht überall sein, sondern müssen Schwerpunkte setzen und dort arbeiten, wo wir eine Wirkung entfalten können.» Man konzentriere sich deshalb auf maximal 20 Länder. Man werde sich künftig noch mehr auf europäische Staaten fokussieren.
Wirtschafts-Hilfe neu auch für Marokko
Dominique Paravicini ist Leiter des Bereichs Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit beim Seco. Entwicklungspolitik sei auch ein Teil der Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz, führt er aus.
Er und seine Kollegen hätten mit eigenen Augen gesehen, wie schwierig die Situation in der Ukraine sei. Das Seco habe seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine die Hilfe für das Land vervierfacht.
Marokko werde neu ein Schwerpunktland des Seco. Aus Kolumbien steige man derweil aus.
«Wir werden versuchen müssen, noch effizienter zu arbeiten»
Die Flexibilität der Schweiz werde auf allen Ebenen getestet werden, sagt Danzi mit Blick auf die Zukunft. Sie spricht dabei insbesondere den Krieg im Nahen Osten und die Situation im Sudan an. Diese Krisenherde lägen nicht weit weg, gibt Danzi zu bedenken.
Man merke es, dass es finanziell eng werde angesichts all der Krisen. Man müsse versuchen, noch effizienter zu arbeiten.
Mehr Geld für humanitäre Hilfe
Deza-Chefin Patricia Danzi ergreift nun das Wort. Es sei eine grosse Herausforderung, auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren, ohne die Prioritäten der Schweiz und ihrer Partner ausser acht zu lassen.
Sehr gern hätte man heute mitgeteilt, dass man sich aus einigen Ländern zurückzieht. Doch das sei nicht möglich, Grund dafür sei der Krieg in der Ukraine.
Neu an der Strategie sei, dass man flexibler sei. Dies sei unbedingt nötig angesichts der Herausforderungen. Man habe zudem den Betrag für die humanitäre Hilfe erhöht. Was gleich bleibe, sei plus/minus das Gesamtbudget und die Ziele des Bundes: Leben retten und den Zugang zur Grundversorgung sicherstellen, zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen, die Umwelt schützen und den Klimawandel bekämpfen, Frieden und Menschenrechte fördern und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken.
1,5 Milliarden für die Ukraine
1,5 Milliarden des Budgets sind für den Wiederaufbau der Ukraine vorgesehen – 13 Prozent der Gesamtsumme. Weitere Schwerpunktregionen sind Subsahara-Afrika, Nordafrika und der Mittlere Osten, Asien sowie Osteuropa.
Der Aussenminister zeigt sich besorgt über die aktuelle Lage in einigen Teilen der Welt und die multiplen Krisen. «Weniger als 8 Prozent der Weltbevölkerung lebt heute in einer vollwertigen liberalen Demokratie wie der unseren, während fast 40 Prozent unter einem autoritären Regime lebt», führt Cassis aus.
11,27 Milliarden Franken vorgesehen
Aussenminister Ignazio Cassis kommt gleich auf den Punkt. Der Bundesrat schlage dem Parlament 11,27 Milliarden Franken für die Entwicklungshilfe für die Jahre 2025 bis 2028 vor. Das Geld ist vorgesehen für die humanitäre Hilfe, die Entwicklungszusammenarbeit und die Förderung von Frieden.
«Wir müssen uns um die dringendsten Probleme kümmern, uns bleibt keine andere Wahl», so Cassis. Im Idealfall wolle man Länder so stärken, dass sie dereinst nicht mehr auf Entwicklungshilfe angewiesen sind. «Dafür sind wir leider weit entfernt.»