Sie ist nicht einmal einen Zentimeter dick und doch das gewichtigste Dokument der Schweiz. Die Bundesverfassung wird am Dienstag 175 Jahre alt. National- und Ständerat begehen den Geburtstag mit einem 90-minütigen Festakt und einem neuen Giebel an der Bundeshausfassade.
Allerdings stellt sich die Frage, ob da wirklich die Richtigen feiern: Während die Bundesverfassung und die Rechte, die diese den Menschen im Land gibt, von der Bevölkerung nach wie vor hochgeschätzt werden, kommen die Politiker «in Bern oben» im 175. Jahr der modernen Schweizer Demokratie deutlich schlechter weg.
Mehr als die Hälfte traut der Politik nichts zu
Eine grosse Minderheit der Bevölkerung liest der Politik in einer jüngst veröffentlichten Umfrage die Leviten. Gemäss dem Demokratie-Monitor, den das Forschungsinstitut Gfs Bern im Auftrag der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft erstellt hat, verneinen 47 Prozent, dass Bundesrat und Parlament gute Arbeit leisten – nämlich sich um die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. 41 Prozent sind unzufrieden mit den Resultaten, die die Politiker erbringen, etwa beim Ausgleich zwischen Arm und Reich (hier sind es sogar 67 Prozent) oder der Schweizer Antwort auf den Ukraine-Krieg (52 Prozent).
Noch beunruhigender für «die in Bern oben» sollte ein weiteres Ergebnis sein: Ganze 56 Prozent bezweifeln, dass die Politiker nur schon die Fähigkeit haben, die grossen Probleme unserer Zeit – Gesundheitskosten, Renten, Versorgungssicherheit und Klimawandel – zu lösen.
Wo sind Internet und Klimawandel?
Die Gründe für diesen Frust mögen vielfältig sein. Die im Demokratie-Monitor Befragten beklagen den massiven Einfluss von Lobbys, Polarisierung und fehlende Kompromissbereitschaft. Ergebnis all dieser Entwicklungen ist ein Reformstau, den mittlerweile jeder im Land bemerkt und den, wie die Umfrage zeigt, viele beklagen.
Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone,
in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,
im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,
im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen
geben sich folgende Verfassung…
Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone,
in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,
im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,
im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen
geben sich folgende Verfassung…
Hier setzt eine Gruppe um den «Demokratie-Aktivisten» Daniel Graf an. Er plant eine Volksinitiative für eine Totalrevision der Bundesverfassung, es wäre die dritte. Das «Betriebssystem» der Schweiz brauche ein «Update», ist er überzeugt und illustriert das mit einer Anekdote: Gemeinsam mit seinem Sohn habe er im Index nach Begriffen gesucht, die in der Bundesverfassung vorkommen – von A wie Adoption über B wie Backmehl bis hin zu Z wie Zweitwohnungen. Das Wort Internet kommt nicht vor! Alles redet über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – nur die Bundesverfassung schweigt dazu. Auch Kino wird erwähnt, Klimawandel nicht.
Ein Update gegen den Reformstau
Graf stellt fest, dass Bundesrat und Parlament es nicht schaffen, die tiefgreifenden Umwälzungen der letzten 30 Jahre anzugehen. Eine neue, zeitgemässe Verfassung könnte nach seiner Meinung wichtige Impulse geben und den Reformstau auflösen. «Man muss die Schweiz ja nicht neu erfinden», sagt er. «Aber wir sollten prüfen, was von dem, was in der Verfassung steht, wir weiterhin wollen, ob etwas gestrichen werden kann und auch, was darin fehlt.»
In einem ersten Schritt muss Graf nun 100'000 Unterschriften sammeln. Dann kann die Frage, ob das Betriebssystem der Eidgenossenschaft ein Update braucht, das Volk beantworten. Denkt man an den Reformstau, ist das keine allzu schlechte Idee. Das Meisterwerk von 1848 nämlich war nicht nur der Startschuss für unsere Volksrechte, sondern, etwa mit der Grundsteinlegung für ETH und SBB, auch Treiber von Innovation und Grundlage für den wirtschaftlichen Wohlstand des Landes.