Sonntagsblick: Frau Sommaruga, das Volk hat Nein gesagt zum CO2-Gesetz. Eine bittere Niederlage für Sie als Umweltministerin.
Simonetta Sommaruga: Ich war sehr enttäuscht vom Abstimmungsergebnis, so wie viele andere auch. Aber ich bin eine Kämpfernatur – vermutlich ist das mit ein Grund, warum mich das Boxen so fasziniert.
Wie bitte?
Ja, denn auch beim Boxen braucht man Ausdauer, ein gutes Stehvermögen ...
... und muss immer wieder mal einstecken.
Genau. Und oft braucht es – wie in der Politik – eine zweite Runde.
In der ersten Runde argumentierten die Gegner, das Gesetz sei «teuer, nutzlos, ungerecht». Die Befürworter hatten dem – ausser hehren Parolen zum Klimaschutz – wenig entgegenzusetzen.
Der Bundesrat macht keine Kampagne, sondern informiert über eine Vorlage. Wir müssen die Gründe für das Nein erst noch analysieren. Aber was man wohl sagen kann, ist, dass das Gesetz überladen war: Es ging ums Autofahren, ums Heizen, ums Fliegen. Das bot viel Angriffsfläche und hat die Nein-Stimmen kumuliert. Zugleich hat die Pandemie Ängste ausgelöst: um den Arbeitsplatz oder die eigene Zukunft. In diesem Kontext hat die Kostendiskussion der Nein-Kampagne wohl viele Menschen verunsichert.
Nach dem Nein sind Sie persönlich in die Kritik geraten: Es sei ein Fehler gewesen, das CO2-Gesetz zeitgleich mit den beiden Agrar-Initiativen zur Abstimmung zu bringen.
Da muss ich klar widersprechen. Der Juni war der einzig mögliche Abstimmungstermin, weil gewisse Elemente im bestehenden CO2-Gesetz befristet sind. Bei einem späteren Datum hätte das Gesetz – und die dazugehörige Verordnung – nicht mehr rechtzeitig in Kraft treten können und es wäre eine Gesetzeslücke entstanden. Der Gesamtbundesrat hätte die beiden Agrar-Initiativen im März bringen können, das hat er aber abgelehnt.
Nach dem grünen Wahlsieg von 2019 schickte nun eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die erste Klimavorlage, über die wir seither abstimmten, bachab. Ist das der Anfang vom Ende der grünen Welle?
Ich bin überzeugt, dass der Umweltschutz für die Bevölkerung wichtig bleibt. Und was man auch sehen muss: Kohle, Gas und Öl gehen ihrem Ende entgegen. Das führt zu einem Umbau der Wirtschaft – so oder so.
Sie hatten im Abstimmungskampf stets betont, die Mehrheit der Bevölkerung profitiere unter dem Strich vom neuen CO2-Gesetz. Diese Botschaft kam offenbar nicht an.
Es ist so: Wenn die Leute das Gefühl haben, sie würden mit einem Gesetz bestraft, kann man keine Abstimmung gewinnen. Aber ich glaube, es bringt nichts, weiter über die Gründe für das Nein zu spekulieren. Wir müssen nach vorne schauen: Wir brauchen Antworten, denen auch jene Teile der Bevölkerung zustimmen können, die jetzt Nein gesagt haben.
Wie das?
Indem wir die Möglichkeit schaffen, dass die Bevölkerung klimafreundlich leben kann, ohne dass sie sich bestraft fühlt.
Klingt gut, aber was heisst das konkret?
Wenn jemand seine Heizung auswechseln muss, soll man beispielsweise die Möglichkeit haben, sein Haus an ein Fernwärmenetz anzuschliessen. Da müssen wir ansetzen, ebenso wie bei der Elektromobilität oder den Nachtzügen. Es braucht mehr Ladestationen für Elektroautos. Und wenn wir das Angebot an Nachtzügen ausbauen, hat man eine echte Alternative zum Kurzstreckenflug.
Das klingt fast so, als ob Innovation und neue Technologien das Klimaproblem in Luft auflösen werden …
Wir brauchen neue Technologien, das ist unbestritten. Aber der Fortschritt kommt nicht von alleine. Deshalb braucht die Wirtschaft klare Signale, wo es hingeht.
«Klare Signale» heisst: mehr Steuergelder?
Nein, es geht um Planungssicherheit. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ein Unternehmer heute einen Wasserstofflastwagen kauft, zahlt er keine Schwerverkehrsabgaben. Doch damit sich die Investition für ihn lohnt, muss er frühzeitig wissen, wie lange dies noch so bleibt. Hier muss die Politik nun sagen, wo die Reise hingeht.
Kann die Schweiz nach dem Nein zum CO2-Gesetz ihre Klimaziele – eine Halbierung der Emissionen bis 2030, netto null bis 2050 – noch erreichen?
Ohne zusätzliche Massnahmen werden wir es nicht schaffen, die Emissionen bis 2030 zu halbieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jene Teile des Gesetzes, die unbestritten waren, schnell umsetzen können. Ich werde der Umweltkommission des Nationalrats bereits morgen Montag konkrete Vorschläge machen, damit die bestehenden Massnahmen, die für die Wirtschaft wichtig sind, Ende Jahr nicht auslaufen.
Sie haben selber gesagt, das abgelehnte CO2-Gesetz sei «überladen» gewesen. Braucht es bei einem neuen Gesetz eine Aufsplittung in einzelne Teile?
Wir müssen jetzt einen zweiten Anlauf nehmen, so wie das in unserem Land immer wieder geschieht nach einer Abstimmung. Und dann müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Das ist sicher eine der Lehren, die wir aus dem letzten Abstimmungssonntag ziehen müssen.
Wird die umstrittene Flugticketabgabe Teil des neuen Gesetzes sein? Oder der Klimafonds?
Es ist zu früh, um dazu etwas zu sagen. Erst mal müssen wir schauen, wo wir mit allen Akteuren eine gemeinsame Basis finden: Wir müssen gemeinsam – Sieger und Verlierer – frisch und neu denken.