Kann jemand ganz offiziell kein Geschlecht haben, also weder Frau noch Mann sein? Mit dieser Frage beschäftigt sich am Donnerstag das höchste Schweizer Gericht. Die Antwort wird politische Signalwirkung haben.
Julian P.* verlangt, dass die Aargauer Behörden den Geschlechtseintrag zu seiner Person aus dem Register löschen. P., der eigentlich anders heisst, wurde mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren und identifiziert sich selbst weder als Frau noch als Mann. Weil es in der Schweiz in einem solchen Fall bis heute nicht möglich ist, den Behörden kein Geschlecht anzugeben, wurde P. nach seiner Geburt als weiblich eingetragen.
Justizdepartement zog Urteil weiter
Inzwischen lebt Julian P. in Berlin, wo er vor vier Jahren eine Namensänderung beantragt hat und im selben Zug die Geschlechtsangabe «weiblich» aus dem Register streichen liess. Bereits seit zehn Jahren ist dies in Deutschland möglich – in der Schweiz bis heute nicht.
Nun möchte Julian P., dass die Schweiz die Streichung des Geschlechtseintrags anerkennt und er auch in der Schweiz weder Frau noch Mann ist. Das Aargauer Obergericht urteilte 2021, dass das möglich ist. Woraufhin das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) den Fall ans Bundesgericht weiterzog.
Erste Person ohne offizielles Geschlecht
Gibt das Gericht Julian P. recht, wäre P. die erste Person in der Schweiz ohne offizielles Geschlecht. «Das Urteil wird wegweisend sein», sagt denn auch Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42), die sich für die Rechte nonbinärer Menschen einsetzt.
Etwas zurückhaltender ist Alecs Recher (47) vom Transgender Network Switzerland. Ein entsprechendes Urteil wäre «ein Schritt in die richtige Richtung». Doch er stellt klar, dass der Entscheid nur für Personen eine unmittelbare Auswirkung haben würde, die im Ausland einen anderen Geschlechtseintrag als «weiblich» oder «männlich» haben und das von der Schweiz übernehmen lassen möchten.
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In der Politik tut sich was
Auch Thomas Geiser (70), emeritierter Professor für Privatrecht der Uni St. Gallen, betont: «Ein solcher Entscheid würde in keiner Weise bedeuten, dass jemand, der in der Schweiz lebt, verlangen kann, dass kein Geschlecht eingetragen wird.»
Klar ist aber, dass das Urteil einen Stein ins Rollen bringen – oder dem bereits rollenden Stein noch einen Schupf geben könnte. Denn in Bundesbern tut sich was. Die Rechtskommission des Nationalrats verlangt vom Bundesrat, dass er prüft, wie man die Situation nicht binärer Personen in der Schweiz verbessern kann. Arslan sagt: «Inzwischen ist in der Politik angekommen, dass man Lösungen für diese Menschen finden muss.»
*Name geändert