Ebola, Pocken, Schweinepest, Covid-19: Die Erreger, mit denen in den 41 Hochsicherheitslabors der Schweiz experimentiert und geforscht wird, haben es in sich. Wenn sie entweichen, drohen Krankheiten, Seuchen und Pandemien.
Im Frühling 2023 verlangte deshalb die Finanzkommission des Nationalrats vom Innendepartement EDI einen Bericht zum Thema «Kontrolle/Zertifizierung der Hochsicherheitslaboratorien in der Schweiz».
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Der Beobachter hat dank dem Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in das Dokument erhalten. Es enthüllt – scheinbar – Bedenkliches. Im Kanton Basel-Landschaft etwa werden die Hochsicherheitslabors nur alle sieben Jahre kontrolliert, in Bern beträgt das Intervall 7,7 Jahre, und in der Waadt klopfen die Inspektoren sogar nur alle 16,5 Jahre an die Labortür. Dabei, so heisst es im Bericht, empfehle die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Kontrollintervalle von einem halben Jahr bis zu maximal drei Jahren. Einzig die Kantone Zürich und Basel-Stadt würden diese Empfehlung einhalten.
Der Bericht alarmierte die Politikerinnen und Politiker im Bundeshaus. Der grüne Solothurner Nationalrat Felix Wettstein reichte im Parlament eine Interpellation zu den Kontrollen ein, und die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats verlangte in einem Postulat vom Bundesrat Vorschläge zur «Stärkung von Aufsicht und Kontrolle über biologische Hochsicherheitslabore». Radio SRF berichtete über diese Vorstösse. Der Ton war gesetzt: Gefährliche Erreger plus lasche Kontrollen, das riecht nach gefährlichem Schlendrian, wenn nicht sogar nach Skandal.
Falsche Zahlen stiften Verwirrung
Nachfrage bei einem Gerügten: Erachtet der Kanton Bern ein durchschnittliches Kontrollintervall von 7,7 Jahren als ausreichend? Die Antwort des Kantonalen Laboratoriums: «Nein, und es ist nicht zutreffend. Das IVI [Institut für Virologie und Immunologie in Mittelhäusern BE; Anm. d. Red.] wurde in den letzten 15 Jahren zehnmal durch den Kanton kontrolliert, das Labor Spiez seit der Eröffnung des Neubaus im Jahr 2012 sechsmal. Zusätzlich findet mit beiden Betrieben ein regelmässiger fachlicher Austausch statt.» Sprich: Bei beiden Labors der höchsten Sicherheitsstufe im Kanton Bern finden alle anderthalb respektive zwei Jahre Inspektionen statt.
Ganz ähnlich tönt es bei der Bau- und Umweltdirektion im Baselbiet: «Die Labors werden mindestens alle drei Jahre kontrolliert.» Und in beiden Kantonen ist man, gelinde gesagt, irritiert, dass man trotz mehrmaligem Nachhaken den Bericht des EDI nicht lesen durfte.
Frage an das Innendepartement: Wie kommt das EDI auf Kontrollintervalle von 7,7 respektive sieben Jahren für Bern und Basel-Landschaft? Die Zahlen im Bericht stützen sich auf die von den Kantonen gemeldeten Kontrollen, schreibt die Mediensprecherin: «Falls die Kantone häufiger inspiziert haben, wie sie selbst sagen, kann dies möglicherweise auf die Art der Meldung (Inspektion von Betrieben vs. Inspektion von Tätigkeiten in denselben Betrieben) oder auf fehlende Meldungen zurückgeführt werden.»
Ein erstes Fazit nach mehrmaligem Nachhaken beim EDI und bei den für die Kontrollen zuständigen Kantonen: Das Problem sind nicht die zu seltenen Kontrollen, sondern die falschen Informationen im Bericht, an dem nicht weniger als vier Bundesstellen mitgearbeitet haben. Denn nicht nur die Zahlen sind falsch, auch eine weitere zentrale Behauptung im Bericht ist schlicht erfunden: Die WHO hat nie Empfehlungen abgegeben, wie oft Hochsicherheitslabors kontrolliert werden sollen.
Das EDI liefert «aktualisierte Zahlen»
Im Verlauf der Recherche schickt die EDI-Mediensprecherin denn auch neue Zahlen, die auf «aktualisierten Angaben der Kantone» beruhen: Im Kanton Zürich wurde demnach jährlich kontrolliert, in Bern und Basel-Stadt durchschnittlich alle 1,2 Jahre, in Genf alle 2,9, im Baselbiet alle fünf und in der Waadt hochgerechnet alle zehn Jahre.
Ein Bericht über einen hochsensiblen Bereich, Fakten, die nicht stimmen, und Zahlen, die plötzlich massiv kleiner werden: Die Verwirrung wird eher grösser als kleiner. Es ist Zeit, einen Fachmann zu fragen.
Dieser muss anonym bleiben, denn er befürchtet Ärger mit seinem Arbeitgeber. Zu seiner Qualifikation nur so viel: Er kennt die Welt der Hochsicherheitslabors aus eigener, jahrelanger Erfahrung, und er weiss, wie diese kontrolliert werden. Die Schweiz, so erklärt er, gehöre in Sachen Biosicherheit zur Weltspitze. Die Kontrollen seien systematisch und gründlich.
Zu den Kontrollen müsse man wissen, dass kantonale Stellen kaum einmal ein ganzes Labor auf einmal inspizieren, sondern in den meisten Fällen nur neue sogenannte Tätigkeiten, sprich: vom Bund kürzlich genehmigte Forschungsarbeiten mit gefährlichen Erregern. «Dort schauen die kantonalen Laboratorien sehr genau hin. Eine Tätigkeit, die seit Jahren problemlos läuft, muss nicht jedes Mal kontrolliert werden.» Dabei würden jeweils auch andere Aspekte unter die Lupe genommen, etwa Personalfragen oder die Weiterbildung. Und selbstverständlich werde alles lückenlos dokumentiert. Zudem stünden Labors und kantonale Behörden «in einem permanenten Austausch».
Luft nach oben
Alles in Butter demnach? Nun, nicht ganz. Es gibt im Bericht des EDI durchaus Punkte, über die sich mit gutem Grund diskutieren lässt. So hält der Bericht etwa fest, dass alle Kontrollen angekündigt erfolgen. Auch gibt es keine einheitlichen Standards für die Inspektionen. Jeder Kanton kontrolliert nach eigenem Protokoll. Und der vielleicht gravierendste Punkt: In den 41 Labors der Schweiz, in denen mit gefährlichen bis hochgefährlichen Erregern hantiert wird, werden die Angestellten nicht überprüft, wie dies zumindest auf Bundesebene bei Tätigkeiten in sensiblen Bereichen üblich ist. Für eine solche Personensicherheitsprüfung bei Hochsicherheitslabors fehlt schlicht die Rechtsgrundlage.
Beim gemeinnützigen Thinktank Pour Demain, der sich unter anderem mit biologischer Sicherheit befasst, sieht man noch weitere Möglichkeiten, die Arbeit mit hochgefährlichen Erregern sicherer zu machen. «Die Schweiz hat das Potenzial, mit weiteren Massnahmen eine Vorreiterrolle zu übernehmen», erklärt der Programmverantwortliche Laurent Bächler.
Neben Personensicherheitsprüfungen und einer obligatorischen Ausbildung in Biosicherheit für alle Angestellten schlägt Pour Demain ein anonymes Meldesystem für Laborunfälle und Beinaheunfälle vor, wie es in Kanada schon exisitert. Auch obligatorische Sicherheitskurse und Personensicherheitsprüfungen sind nichts Neues: in Nuklearanlagen gibt es sie seit Langem. Und schliesslich lanciert der Thinktank auch noch die Idee eines eidgenössischen Biosicherheitsinspektorats. Dieses könnte die Kantone entlasten und die weitere Professionalisierung und Harmonisierung der Kontrollen von Hochsicherheitslaboren gewährleisten – und auch gleich die Zahlen korrekt erfassen.