Alt Bundesrat Christoph Blocher kam am Samstag mit dem Schrecken davon: Ein offenbar verwirrter 81-jähriger Mann hatte ihn nach einer Podiumsveranstaltung in Zürich angegriffen. Die Sicherheitsleute griffen sofort ein. Blocher blieb unverletzt.
Die Tathintergründe sind noch unklar, doch die Attacke gegen Blocher ist kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Tätlichkeiten gegen Politiker. Erst kürzlich traf es SVP-Nationalrat Erich Hess (BE): Ein Mann schüttete sein Bier über ihn aus. Oder 2011 wurde der damalige SVP-Nationalrat Hans Fehr (ZH) auf dem Weg zur Albisgüetlitagung verprügelt.
Über 1000 Drohungs-Meldungen
Dass Anfeindungen gerade gegen Bundespolitiker zunehmen, belegen die neusten Zahlen des Bundesamts für Polizei (Fedpol): «Insgesamt verzeichnete Fedpol bei den Drohungen im letzten Jahr 1063 Meldungen, darunter fallen Briefe, E-Mails und Telefonate. Die Zahl ist deutlich höher als in den vergangenen Jahren – im Vorjahr waren es 202 Meldungen», erklärt Fedpol-Sprecherin Anne-Florence Débois gegenüber BLICK.
Dies sei einerseits auf die zunehmende Sensibilisierung der geschützten Personen zurückzuführen. Andererseits seien im Jahr 2015 die Meldungen neu anders erfasst worden. «Diese werden nun nach Drohungsart differenziert und registriert. Bis anhin deklinierte man die eingegangenen Meldungen generell als Drohungen, obwohl nicht alle eine explizite Drohung aufwiesen.»
Körperliche Attacken seien letztes Jahr aber keine gemeldet worden. Auch würden die Fälle nicht nach Parteizugehörigkeit aufgeschlüsselt.
Je mehr Alkohol, umso tiefer die Hemmschwelle
SP-Nationalrat Cédric Wermuth (AG) bestätigt die Tendenz: «Seit ich im Nationalrat bin, haben die Anfeindungen und Bedrohungen massiv zugenommen.» Für viele ist der Sozi ein rotes Tuch. Das bekommt er vor allem verbal zu spüren. «Es gibt gewisse Reizthemen wie etwa Islam oder Asyl, da bekomme ich nach öffentlichen Äusserungen kiloweise Post.»
Aber auch Handgreiflichkeiten hat er schon erlebt. «Einmal packte mich auf offener Strasse ein älterer Herr am Kragen – ich konnte die Situation zum Glück beruhigen.»
Regelmässig bedrohliche Situationen erlebe er im Ausgang. «Je mehr Alkohol fliesst, umso rascher sinkt die Hemmschwelle. Beschimpfungen und Pöbeleien bis hin zu direkten Gewaltandrohungen gibt es immer wieder», so Wermuth.
Zu einer physischen Attacke sei es im Ausgang aber noch nie gekommen. Dafür sieht Wermuth einen Grund: «Gewalt gegen Politiker wird in der Schweiz nicht akzeptiert. Die Leute um mich herum haben jeweils mit viel Zivilcourage reagiert und sich auch schon schützend vor mich gestellt.» Wenn er gemerkt habe, dass es brenzlig werde, habe er auch schon einen Club verlassen.
«Blocher politisch schlagen, nicht physisch»
Einschüchtern lasse er sich von den Anfeindungen aber nicht. «Ich teile verbal hart aus und kann auch hart einstecken. Konkrete Drohungen melde ich aber der Kantonspolizei und dem Bundessicherheitsdienst – vor allem, seit ich selber Familie habe.»
Zum Fall Blocher sagt er klar: «Gewalt gegen Personen ist inakzeptabel – egal gegen wen. Einen Blocher muss man politisch schlagen, nicht physisch!»
IMAGE-ERROR (Image)Auch FDP-Nationalrat Kurt Fluri (SO) stellt klar: «Für körperliche Angriffe gibt es keinen Rechtfertigungsgrund und solche dürfen nicht geduldet werden!»
Auch wegen SVP «sind Beschimpfungen üblich geworden»
Er selbst sei noch nie konkret bedroht worden, weder verbal noch physisch, sagt Fluri. «Bisher habe ich jedenfalls noch nie die Polizei einschalten müssen.» Auch jetzt nicht, nachdem er als Architekt des «Inländervorrangs light» zum regelrechten SVP-Feindbild geworden ist? «Nein, ich habe mit allem gerechnet. Mehr als der Vorwurf, ich sei ein Landesverräter, ist aber nicht gekommen. Und solche Beschimpfungen hat es schon immer gegeben.»
Jedenfalls seit er seit 2003 im Nationalrat sitze, habe sich da nichts gross geändert. «Man muss wohl in die 1990er Jahre zurückschauen, um einen gemässigteren Umgangston zu finden», sagt Fluri. Mit dem Aufstieg der SVP sei der politische Diskurs härter geworden. «Die SVP hat mit ihrer totalitären Art und ihrer gröberen Wortwahl dazu beigetragen, dass Beschimpfungen üblich geworden sind.»