BLICK erklärt das Anti-Terror-Gesetz
Werden unbescholtene Bürger unter Terror-Verdacht gestellt?

Am 13. Juni stimmt die Schweiz über das Anti-Terror-Gesetz ab. Worum geht es? Und weshalb sorgt es sogar international für Kritik? BLICK liefert die Antworten auf die drängendsten Fragen.
Publiziert: 06.05.2021 um 10:35 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2021 um 17:28 Uhr
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Unter dem Eindruck islamistischer Anschläge hat der Bundesrat 2015 eine nationale Strategie zur Terrorismusbekämpfung geschaffen. Das Anti-Terror-Gesetz ist ein Teil davon.
Foto: Keystone

Plötzlich hatte der Terror auch die Schweiz erreicht. Im vergangenen September erstach ein Islamist einen Mann in Morges VD. Im November griff eine mutmassliche IS-Anhängerin in Lugano TI mehrere Menschen an. Die Attacken sorgten für Angst und Schrecken. Doch: Wie weit soll der Staat gehen können, um seine Bevölkerung zu schützen? Wie weit sollen dafür die Grundrechte einzelner beschränkt werden können?

Am 13. Juni entscheidet die Stimmbevölkerung über das «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terroristen», kurz Anti-Terror-Gesetz. Es ist ein Entscheid zwischen Menschenleben und Menschenrechten. BLICK liefert den Überblick.

Worum geht es genau?


Das Anti-Terror-Gesetz soll den Kampf gegen die islamistische Gefahr erleichtern, aber auch gegen Links- und Rechtsextremisten. Um gegen sogenannte Gefährder vorgehen zu können, soll die Polizei mehr Möglichkeiten erhalten – auch ohne Strafverfahren. Als Gefährder gilt eine Person, wenn konkrete und aktuelle Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass sie in Zukunft eine terroristische Aktivität ausüben wird.

Damit würde die Schweiz neue Pfade beschreiten: Erstmals könnten die Behörden scharfe Massnahmen verhängen, sobald sie «konkrete und aktuelle Anhaltspunkte» haben. Gewalt, die Androhung von Gewalt oder Straftaten sind nicht mehr vorausgesetzt – ein Verdacht der Polizei reicht aus.

Zu den möglichen polizeilichen Massnahmen gehören Kontaktverbote, elektronische Überwachung, Standortverfolgung über Mobiltelefone, das Verbot, das Land zu verlassen, sowie Meldepflichten und Hausarrest.

Eine Überprüfung der Massnahme durch ein Gericht ist einzig für den Hausarrest vorgesehen, der für Personen über 15 Jahre verhängt werden kann. Die weiteren Polizeimassnahmen können bereits gegen Kinder ab 12 Jahren angewendet werden.

Warum wurde das Gesetz geschaffen?


Das Anti-Terror-Gesetz ist Teil der Gesamtstrategie des Bundesrats im Kampf gegen den Terrorismus. Entstanden ist diese 2015 unter dem Eindruck der dschihadistischen Bedrohung auch in Europa. Grundpfeiler der Strategie sind der Nationale Aktionsplan zur Verhinderung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) sowie die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus.

Dritter Pfeiler wäre das Anti-Terror-Gesetz. Terrorismus auf Schweizer Boden soll damit möglichst verhindert werden. Gleiches gilt für den Export und die Unterstützung terroristischer Aktivitäten von der Schweiz aus. Mit dem Gesetz will der Bundesrat rund um FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) die dafür nötigen Instrumente schaffen.

Was sagen Bundesrat und Parlament?


Für den Bundesrat und eine bürgerliche Mehrheit im Parlament ist klar: Sie wollen die Schweiz besser gegen die Terrorgefahr schützen können. Das Gesetz ging in der Herbstsession 2020 denn auch glatt durchs Parlament.

Dass sich die Politik mit polizeilichen Präventivmassnahmen auf ein heikles Terrain begibt, war auch dem Parlament bewusst. SP, Grüne und GLP waren daher gegen die Vorlage. Für die bürgerliche Allianz aus Mitte, FDP und SVP überwogen aber die Vorteile.

Zu reden gab damals besonders der Fakt, dass auch Minderjährige von den Massnahmen betroffen sind. Links-Grün hatte eine Anhebung der Altersgrenze gefordert. Es bestehe die Gefahr, dass Kinder stigmatisiert und kriminalisiert würden.

Die bürgerliche Mehrheit verwies jedoch auf Erfahrungen aus dem Ausland, wonach vielfach Minderjährige in terroristische Attentate involviert seien. Justizministerin Keller-Sutter versicherte, das Kindswohl werde in jedem Fall berücksichtigt.

Warum stimmt nun auch noch das Volk über das Gesetz ab?


Gleich zwei Komitees haben das Referendum gegen das Gesetz ergriffen – aus rechtsstaatlichen Erwägungen. Das Gesetz beschränke die Grund- und Menschenrechte.

Das eine Referendum stammt vom Verein «Freunde der Verfassung». Im Komitee «Nein zur Präventivstrafe» vertreten sind die Jungen Grünliberalen, die Juso und die Jungen Grünen. Weiter gehören die Piratenpartei, der Chaos Computer Club und die Gruppierung Parat dem Komitee an. Unter den Unterstützern sind die Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz, die Digitale Gesellschaft und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee.

Zuerst drohte das Referendum zu scheitern. Dann aber erhielten die Gegner Hilfe, etwa von der SP. Im Januar konnten sie gemeinsam 141'264 Unterschriften einreichen, wovon 76'926 als gültig erklärt wurden.

Was sagen die Gegner?


Die Gegner befürchten, dass aufgrund der «schwammigen Formulierung» des Gesetzes praktisch jeder bisher unbescholtene Bürger zu einem terroristischen Gefährder gemacht werden könnte. Die Grundrechte jedes Einzelnen würden schwer eingeschränkt. Sie sehen die Vorlage als Frontalangriff auf den Rechtsstaat.

Die Massnahmen gingen über die Prävention hinaus. Sie seien eine Bestrafung, ohne dass eine Straftat begangen oder eine Verurteilung ausgesprochen worden sei. Es bestehe zudem das Risiko, dass bestimmte Personengruppen wegen ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt würden.

Die präventiven Massnahmen würden zudem zu einer Umkehr der Beweislast führen. Eine betroffene Person müsse beweisen, dass von ihr keine Gefahr ausgehe. Dies sei schlicht unmöglich. Es werde somit allein den Behörden überlassen, ob die Anwendung der Massnahme verhältnismässig sei.

Besonders stossend sei, dass polizeiliche Massnahmen auch gegen Kinder ab zwölf Jahren angewendet werden können. Das Gesetz verstosse deshalb gegen die Uno-Kinderrechtskonvention. Auf dem Altar des Kampfes gegen den Terrorismus werde so die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte geopfert, ohne dass das Volk mehr Sicherheit erhalte.

Warum sorgt das Gesetz sogar international für Kritik?


Auch Uno-Experten warnen davor, dass das Gesetz gegen Menschenrechte verstosse. Zu den Kritikern zählt etwa die Uno-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, Fionnuala Ni Aolain (53). Mit diesen Gesetzen werde die Schweiz für autoritäre Regimes zum Vorbild – um Oppositionelle verfolgen zu können.

Diese Kritik teilten diverse Menschenrechtsgruppen, allen voran Amnesty International, aber auch die Menschenrechtsbeauftragten des Europarates oder das Netzwerk Kinderrechte Schweiz sowie über 60 Rechtsprofessorinnen von allen Schweizer Universitäten.

Um als Terrorist oder Terroristin zu gelten, müsste man neu weder einen Terrorakt planen noch ausführen. Ein entsprechender Verdacht der Polizei reiche aus, um Massnahmen wie Hausarrest, Ausreiseverbote, Meldepflicht oder Fussfesseln anzuordnen. Solche Gesetze kenne man aus Diktaturen. Die Schweiz würde zum Präzedenzfall für eine Aufweichung der Menschenrechte.

Wie argumentieren die Befürworter?


Der Bundesrat und das Bundesamt für Polizei argumentieren, dass es seit den Anschlägen in Paris von 2015 in Europa zu mehreren Dutzend weiteren Attentaten gekommen sei. Laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) bleibt die Terrorbedrohung auch in der Schweiz erhöht. Die Polizei habe heute allerdings nur beschränkte Möglichkeiten, um präventiv gegen terroristische Gefahren vorzugehen. Mit dem Gesetz werde diese Lücke nun geschlossen.

«Wir versuchen, solche Täter möglichst im Vorfeld zu erkennen und so Anschläge zu verhindern», hatte Mark Burkhard (56) gegenüber BLICK erklärt. Der Präsident der kantonalen Polizeikommandanten versteht, dass es rechtsstaatlich umstritten ist, Massnahmen gegen Personen zu ergreifen, die vielleicht noch gar keine Tat begangen haben. Doch: «In einem solchen Umfeld braucht es Massnahmen, mit denen man die Bewegungsfreiheit von gefährlichen Personen einschränken kann. Wird ein Gefährder erkannt, muss der Staat auch Mittel haben, um gegen diesen vorgehen zu können.»

Für die Gesetzesvorlage hat sich ein Komitee von SVP, FDP und der Mitte gebildet.

Warum hat das Parlament weitere Verschärfungen abgelehnt?


Tatsächlich ging das Gesetz der SVP zu wenig weit: Eine Präventivhaft für Gefährder wurde im Laufe der Beratungen vom Parlament aus dem Gesetz gekippt. Mit einer parlamentarischen Initiative wollte die Partei dies auf der Zielgeraden doch noch ermöglichen. Anfang März schmetterte der Ständerat den Antrag jedoch ab. Dieser Schritt gehe zu weit, der Rechtsstaat würde damit ausgehebelt.

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