Zehn Jahre alt ist der Raser-Artikel. Aufgeschreckt von furchtbaren Unfällen wollten Bundesrat und Parlament Temporowdys ausbremsen. Seitdem kassiert ein Raser – jemand, der mit Vorsatz mindestens 40 km/h zu schnell fährt und das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht – im Minimum eine bedingte Haftstrafe und muss seinen Fahrausweis für mindestens 24 Monate abgeben.
Schon bald könnte das der Vergangenheit angehören. Denn National- und Ständerat haben beschlossen, den Raser-Artikel abzuschwächen: Künftig sollen Raser auch mit einer Geldstrafe davonkommen und den Fahrausweis nur noch für mindestens 12 Monate abgeben müssen.
Für Verkehrs- und Strafrechtsexperten ist der Entscheid unverständlich, für Raser-Opfer und deren Angehörige blanker Hohn. Und auch die Bevölkerung trägt die Aufweichung nicht mit.
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In trockenen Tüchern ist das Geschäft noch nicht: Weil es noch minimale Differenzen gibt (die allerdings nichts mit dem Raser-Artikel zu tun haben), findet die Schlussabstimmung erst in der Herbstsession statt. Bis zum 30. September haben Nationalräte und Ständerätinnen also Zeit, nochmals darüber nachzudenken, ob sie ausgerechnet Verkehrsrowdys schonen wollen.
Blick gibt ihnen für die Sommerferien darum einen Überblick, worum es hier wirklich geht. Die besten Argumente auf einer Seite. Zum Ausschneiden und an den Kühlschrank oder ins Arbeitszimmer hängen.
So leidet eine Angehörige
«Meine Tochter ging gesund aus dem Haus und kam im Sarg retour. Wieso soll man Leute schützen, die mit 100 km/h durchs Dorf fahren?»
Brigitte W.* (57) denkt noch heute täglich an ihre Tochter Lorena (†21), die am 8. November 2008 in Schönenwerd SO zu Tode kam. Sie wurde Opfer von drei Rasern, die sich ein Rennen lieferten.
So warnen Experten: Es ist nie ein Versehen
Der ehemalige Zürcher Staatsanwalt Jürg Boll (69) geht mit dem Parlament hart ins Gericht. Dieses führe Beispiele ins Feld, die nicht unter die Raser-Strafnorm fallen würden: Wer mal aus Versehen zu schnell fahre, weil er aus nachvollziehbaren Gründen eine Tempobeschränkung übersehe, sei gar nicht davon betroffen. Ebenso wenig der, der wegen eines Notfalls zu stark aufs Gas drücke.
«Aus Versehen brettert keiner mit Tempo 100 durch die Stadt», sagt Boll. «Und aus Irrtum fährt keiner ausserorts mit 140, sondern nimmt ein hohes Risiko in Kauf.» Es gebe keinen Grund, die Strafe für «vorsätzliche Hochrisikofahrer» zu mildern.
Das sagt das Opfer
«Zurzeit sitze ich im Rollstuhl. Ich warte auf eine Operation, damit ich meine Prothese wieder mehr oder weniger schmerzfrei an meinen Stumpf montieren und einigermassen herumgehen kann.»
Andrea Kolb (51) verlor ihr rechtes Bein durch einen Raser-Unfall. Eine 19-jährige Raserin fuhr sie am 24. August 2016 um, als sie mit ihrem Hund in Mammern TG spazieren ging.
Das meint das Volk: Keine Gnade für Raser
Das Parlament politisiert am Volk vorbei. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Sotomo im Auftrag von Blick in der Deutschschweiz und in der Romandie durchgeführt hat. Demnach finden es 62 Prozent der Stimmberechtigten falsch, Raser nur mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Auch die Verkürzung der Mindestdauer für den obligatorischen Fahrausweisentzug lehnen 66 Prozent ab.
62 Prozent würden sogar eine Durchsetzungs-Initiative, die den heute geltenden Raser-Artikel wieder in Kraft setzt, unterstützen. Die Stiftung Roadcross, die sich für mehr Sicherheit im Strassenverkehr einsetzt und auch Unfallopfer berät, hat zumindest angekündigt, eine solche Initiative zu prüfen.
Denn dass mit dem Raser-Artikel auch «Unschuldige» bestraft werden, die aus Versehen oder wegen eines dringenden Notfalls schnell fahren: Das glaubt nur ein Drittel der Befragten. Wie Ex-Staatsanwalt Boll ist die grosse Mehrheit überzeugt: Wer rast, tut das mutwillig.
Das ist der Schrecken
Das können Sie tun
In der Herbstsession, genauer gesagt am 30. September, entscheiden Sie in der Schlussabstimmung, ob der Raser-Artikel wirklich entschärft wird. Stimmen Sie mit Nein.