Es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) meldete am Montagmorgen 552 neue Corona-Fälle, deutlich weniger als in den Tagen zuvor. Es sieht ganz danach aus, als würde der drastische Lockdown, den der Bundesrat am 16. März verhängt hatte, erste Erfolge zeigen.
Gleichzeitig erhöhen Politik und Wirtschaft den Druck, nun die Massnahmen zu lockern und zur Normalität zurückzukehren. Am Mittwoch wird der Bundesrat mit den Wirtschaftsverbänden über mögliche Ausstiegsszenarien diskutieren.
Normalität gibt es erst mit einer Impfung
Eines ist schon klar: Normalität – ein Leben wie vor der Corona-Krise – wird es erst mit einem Impfstoff geben. Wann dieser vorliegt, steht in den Sternen. Es könnte bis nächsten Frühling dauern.
Doch so lange kann der Lockdown nicht funktionieren – weder Wirtschaft noch Gesellschaft würden das durchstehen. Wie andere Staaten arbeitet auch der Bundesrat an einer Strategie, mit welcher der Lockdown gelockert werden kann. Ab wann das möglich ist, hängt von der Entwicklung der Pandemie ab.
Vorbereitungsphase: Die Zahlen müssen runter!
Zuerst nämlich muss die Zahl der täglichen Neuansteckungen weiter sinken. Fixe Zahlen will kaum jemand nennen. Der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé (42), Mitglied der eingesetzten Corona-Taskforce, sagt: Erst wenn die Neuansteckungen auf eine tiefe dreistellige oder noch besser eine zweistellige Zahl gesunken seien, wäre eine Lockerung zu verantworten.
Deutsche Epidemiologen haben für Deutschland mal die Zahl 200 genannt. Denn nur dann kann man die Ansteckungsketten in jedem einzelnen Fall genau verfolgen und die Ausbreitung eindämmen. Ausserdem muss die Anzahl Neuansteckungen so tief sein, dass die Spitäler nicht überfordert wären, wenn es plötzlich doch mehr schwerwiegende Fälle gibt. Doch wenn all das eintrifft: Wie könnte die Lockerung überhaupt aussehen?
BLICK hat mit Experten gesprochen, um diese Frage zu beantworten. Von 0 auf 100 geht es nicht – da sind sich alle einig. Die Rückkehr zur Normalität muss schrittweise erfolgen. Orientiert sich der Bundesrat auch beim Rückzug aus dem Lockdown an der Vermeidung von Anteckungsherden, wäre folgendes Szenario in fünf Phasen denkbar:
- Zuerst könnten Schulen wieder geöffnet werden, wenn auch reduziert. So könnte man die Klassengrösse halbieren und – unter grösstmöglicher Wahrung der Hygieneregeln – die Kinder jeweils in der gleichen Zusammensetzung zwei Tage pro Woche unterrichten. Erstens würde den Kindern dann nicht so viel Schulstoff fehlen, zweitens würden die Eltern entlastet. Im Kanton St. Gallen wird bereits überlegt, zumindest lernschwache Kinder in Kleingruppen zu unterrichten. Kinder spielen zudem bei der Weiterverbreitung des Virus eine weniger wichtige Rolle als bei einer Grippeepidemie, wie eine neue Studie aus England zeigt.
- Baumärkte und Gartencenter öffnen ihre Türen, aber auch das nur sehr reduziert. Um die Hygieneregeln des Bundes einzuhalten, müssen sie die Kundenströme kanalisieren. Denkbar wäre, dass sich Kunden anmelden müssen und ein bestimmtes Zeitfenster zugewiesen erhalten, in dem sie den Baumarkt betreten dürfen. Mit der generellen Aufforderung, zu Hause zu bleiben, liesse sich das vereinbaren. Denn immerhin würden die Leute dann ihre Gärten und Balkone verschönern.
- Mit bestimmten Begleitmassnahmen sollte es auch möglich sein, das Homeoffice-Regime schrittweise zu lockern. So dass die Arbeitnehmer – analog zu den Schulkindern – abwechslungsweise im Büro arbeiten.
- Auch die Verwaltungen würden wieder öffnen.
- Der öffentliche Verkehr bietet zunehmend mehr Verbindungen an, um die Pendler zu transportieren, ohne dass es zu überfüllten Zügen und Bussen kommt.
- Der Aufruf, möglichst zu Hause zu bleiben, wird zurückgenommen. Wenn sich die Innenstädte wieder füllen, können weitere Geschäfte ihre Türen öffnen: Modeboutiquen, Bücherläden, Spielwarengeschäfte, Kaufhäuser. Wahrscheinlich würde auch hier die Kundenzahl beschränkt wie derzeit in den Lebensmittelgeschäften. Eine Öffnung macht zudem erst Sinn, wenn sich die Menschen in der Öffentlichkeit wieder sicherer fühlen. Kommt der Wiedereröffnungs-Befehl des Bundesrats zu früh, droht neues Ungemach: Dann müssten die Läden zwar ihre Mitarbeiter wieder einsetzen, hätten aber zu wenig Umsatz, weil Kunden fehlen. Das könnte zu Entlassungen führen.
- Bleibt die Lage stabil, könnten auch Restaurants wieder öffnen. Gemäss Casimir Platzer (58), Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse, wäre vorstellbar, dass zunächst eine zugelassene Anzahl Personen pro Quadratmeter definiert würde, so dass die Abstandsregeln eingehalten werden können. Auch beim Service liessen sich Möglichkeiten finden, Ansteckungen zu verhindern. Eine Einlasskontrolle, um die Anwesenheit von Risikogruppen auszuschliessen, kommt für ihn nicht in Frage. «Gastgeber können sicher nicht Polizei spielen.» Klar ist für ihn auch: Ein Schutzmasken-Obligatorium wäre für Restaurants ein Problem. «Mit Schutzmasken lässt sich schlecht essen und trinken.»
- Auch Hotels, Kinos und Theater könnten in dieser Phase wohl wieder öffnen – ebenfalls mit Beschränkungen.
- In einem nächsten Schritt dürften wohl jene Dienstleister wieder öffnen, die einen sehr engen Kundenkontakt haben: Coiffeure, Masseure, Kosmetiksalons und Nagelstudios.
- Vermutlich werden auch Bars so lange zuwarten müssen. Gastrosuisse-Chef Platzer geht davon aus, «dass Speiserestaurants früher öffnen dürfen als Bars oder Clubs. Denn dort ist das Social Distancing nur schwer umzusetzen.»
- Vielleicht ist es in dieser Phase sogar möglich, ins europäische Ausland zu fahren – wenn auch die anderen Staaten bei der Corona-Bekämpfung Erfolg haben und bereit sind, ihre Grenzen zu öffnen.
- Fussballmatches, Konzerte im Hallenstadion, Messen – solche Events werden wohl die letzten sein, die der Bundesrat wieder zulässt. Grossveranstaltungen dieser Art wurden schliesslich auch zuerst verboten. Experten gehen davon aus, dass in diesem Jahr kein Event dieser Art mehr stattfindet.
- Auch Flüge ans andere Ende der Welt werden sicher noch länger nicht möglich sein.
Wann beginnt die Rückkehr zur Normalität? Das weiss derzeit niemand. Bis am 16. April will der Bundesrat sagen können, wie es weitergehen soll. Nimmt man die Andeutungen von Gesundheitsminister Alain Berset (47) ernst, wird sicher nicht vor Ende April mit Lockerungen begonnen. Und auch dann nur, wenn sich der Hoffnung machende Trend bei den Neuansteckungen fortsetzt.
Bei den Corona-Experten in Bern geht die Angst um: Ist der Lockdown erst einmal gelockert, darf es auf keinen Fall zu einer zweiten Viruswelle kommen.
Damit dass nicht passiert, könnten verschiedene Begleitmassnahmen angeordnet werden. «Jeder, der auch nur leichte Symptome hat, muss einen Test machen können, bevor er wieder arbeiten geht», fordert Epidemiologe Marcel Salathé (42) in der «NZZ». Doch dafür braucht es genügend Corona-Tests. Zu Beginn der Krise waren diese in der Schweiz Mangelware. Jetzt hat sich die Situation gebessert. Dass genügend Tests vorhanden sind, dürfte eine Voraussetzung für eine Lockerung sein.
Antikörpertests zeigen, ob jemand bereits infiziert war und nun immun ist. Das ist bei Corona umso wichtiger, weil viele Menschen keine oder nur schwache Symptome aufweisen. Mit Immunitätszertifikaten könnten geheilte Personen wieder eine Art normales Leben führen: arbeiten, ausgehen, Familienmitglieder treffen. Allerdings: Bei den meisten Tests kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie auch bei Antikörpern gegen andere Coronaviren anschlagen.
Hilfe dank Handy
Mit einer App soll die Ansteckungskette genauer verfolgt werden können. Möglichst viele Menschen sollen sich registrieren. Sobald jemand Symptome verspürt, meldet er sich in der App, isoliert sich selbst und wird zum Test aufgeboten. Ist der positiv, werden per App alle gewarnt, die dieser Person in den letzten zwei Wochen zu nahe gekommen sind. Sie sollten sich dann ebenfalls testen lassen und isolieren. Die Daten sind verschlüsselt und anonymisiert. Ähnliche Apps – die mit der Bluetooth-Technologie funktionieren – wurden in Asien eingesetzt, ab Donnerstag kommt in Österreich erstmals eine solche Corona-App des Roten Kreuzes zum Einsatz.
Universitäten und Tech-Firmen, darunter die ETH Zürich und die Uni Lausanne, entwickeln ein europaweit einheitliches Protokoll für eine solche App. Teil davon ist der Zürcher Softwareentwickler Ubique, der auch die SBB-App programmiert hat. Technisch sei man sehr weit, bestätigt Matthias Egger (63), Präsident der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes. Es braucht aber noch Abklärungen des Bundes, unter anderem zum Thema Datenschutz. Die Nutzung der App sollte gemäss Egger freiwillig sein.
Kommt die Maskenpflicht?
Beinahe mantraartig wiederholt Daniel Koch (64) vom Bundesamt für Gesundheit an fast jeder Medienkonferenz: «Es ist nicht nachgewiesen, dass Gesichtsmasken einen zusätzlichen Schutz bringen.» Doch die Wissenschaft ist sich uneinig. Das deutsche Robert Koch-Institut empfiehlt das vorsorgliche Tragen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit.
Für eine Maskenpflicht nach dem Lockdown bräuchte es bis zu vier Millionen Schutzmasken pro Tag, schreibt der «Tages-Anzeiger» und bezieht sich auf eine ETH-Studie. So viele gibt es in der Schweiz noch nicht. Wenn die Schweiz weiterhin genügend Masken aus dem Ausland einkaufen kann, könnte eine Tragepflicht, zumindest für einzelne Personengruppen, zum Thema werden. Tobias Bruggmann, Lorenz Keller
Bei den Corona-Experten in Bern geht die Angst um: Ist der Lockdown erst einmal gelockert, darf es auf keinen Fall zu einer zweiten Viruswelle kommen.
Damit dass nicht passiert, könnten verschiedene Begleitmassnahmen angeordnet werden. «Jeder, der auch nur leichte Symptome hat, muss einen Test machen können, bevor er wieder arbeiten geht», fordert Epidemiologe Marcel Salathé (42) in der «NZZ». Doch dafür braucht es genügend Corona-Tests. Zu Beginn der Krise waren diese in der Schweiz Mangelware. Jetzt hat sich die Situation gebessert. Dass genügend Tests vorhanden sind, dürfte eine Voraussetzung für eine Lockerung sein.
Antikörpertests zeigen, ob jemand bereits infiziert war und nun immun ist. Das ist bei Corona umso wichtiger, weil viele Menschen keine oder nur schwache Symptome aufweisen. Mit Immunitätszertifikaten könnten geheilte Personen wieder eine Art normales Leben führen: arbeiten, ausgehen, Familienmitglieder treffen. Allerdings: Bei den meisten Tests kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie auch bei Antikörpern gegen andere Coronaviren anschlagen.
Hilfe dank Handy
Mit einer App soll die Ansteckungskette genauer verfolgt werden können. Möglichst viele Menschen sollen sich registrieren. Sobald jemand Symptome verspürt, meldet er sich in der App, isoliert sich selbst und wird zum Test aufgeboten. Ist der positiv, werden per App alle gewarnt, die dieser Person in den letzten zwei Wochen zu nahe gekommen sind. Sie sollten sich dann ebenfalls testen lassen und isolieren. Die Daten sind verschlüsselt und anonymisiert. Ähnliche Apps – die mit der Bluetooth-Technologie funktionieren – wurden in Asien eingesetzt, ab Donnerstag kommt in Österreich erstmals eine solche Corona-App des Roten Kreuzes zum Einsatz.
Universitäten und Tech-Firmen, darunter die ETH Zürich und die Uni Lausanne, entwickeln ein europaweit einheitliches Protokoll für eine solche App. Teil davon ist der Zürcher Softwareentwickler Ubique, der auch die SBB-App programmiert hat. Technisch sei man sehr weit, bestätigt Matthias Egger (63), Präsident der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes. Es braucht aber noch Abklärungen des Bundes, unter anderem zum Thema Datenschutz. Die Nutzung der App sollte gemäss Egger freiwillig sein.
Kommt die Maskenpflicht?
Beinahe mantraartig wiederholt Daniel Koch (64) vom Bundesamt für Gesundheit an fast jeder Medienkonferenz: «Es ist nicht nachgewiesen, dass Gesichtsmasken einen zusätzlichen Schutz bringen.» Doch die Wissenschaft ist sich uneinig. Das deutsche Robert Koch-Institut empfiehlt das vorsorgliche Tragen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit.
Für eine Maskenpflicht nach dem Lockdown bräuchte es bis zu vier Millionen Schutzmasken pro Tag, schreibt der «Tages-Anzeiger» und bezieht sich auf eine ETH-Studie. So viele gibt es in der Schweiz noch nicht. Wenn die Schweiz weiterhin genügend Masken aus dem Ausland einkaufen kann, könnte eine Tragepflicht, zumindest für einzelne Personengruppen, zum Thema werden. Tobias Bruggmann, Lorenz Keller