Ausgerechnet
Partyvolk im Bundeshaus will mehr Macht

Parlamentarier wollen den Bundesrat entmachten, um die Demokratie zu retten. Während der Sondersession hätten sie die Chance gehabt. Stattdessen gab es eine Party und viel Interessenvertretung.
Publiziert: 23.05.2020 um 11:02 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2020 um 19:19 Uhr
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Während der Krise soll das Parlament mehr Macht bekommen.
Foto: Keystone
Tobias Bruggmann, Sermîn Faki

Lange standen sie geschlossen hinter dem Bundesrat. Doch als die Fallzahlen sanken, sind Parlamentier wieder aus ihrem Corona-Schlaf erwacht. Und jetzt wollen sie mehr. Mehr Macht.

Um die Demokratie zu retten, müsse das Parlament auch in Krisenzeiten grösseren Einfluss haben. Die Ideen dafür sind vielfältig: So soll das Parlament der Notlage zustimmen müssen. Eine Rechtsdelegation die Notgesetze überprüfen. Oder das Parlament müsse während der Notlage künftig ständig tagen. Diese und weitere Vorschläge machten gestandene Parlamentarier wie Ständeratspräsident Hans Stöckli (68, SP) und SVP-Nationalrat Alfred Heer (58) kürzlich in der «Sonntags-Zeitung».

Abnicken und Tschüss

Nur zur Erinnerung: Die, die jetzt die Demokratie retten wollen, hatten sich erst einmal selbst aus dem Spiel genommen. Nicht der Bundesrat, sondern das Parlament brach Anfang März die laufende Session ab. Und dass es zu einer ausserordentlichen Session zusammenkommen solle, forderte auch zuerst die Landesregierung.

Anfang Mai war es endlich so weit – für 3,1 Millionen Franken wurde das Berner Messegelände Bernexpo angemietet, um die Allmacht des Bundesrats zu beenden. Und wie nutzten die Volksvertreter diese Chance? Denkbar schlecht.

Im Wesentlichen nickten National- und Ständerat alle jede Corona-Massnahmen ab, die der Bundesrat zuvor beschlossen hatte. Für ein paar Branchen – Tourismus, Medien, die Kitas – gab es noch ausserplanmässig Geld. Dort, wo das Parlament selbst hätte eine Lösung finden können – beispielsweise bei den Geschäftsmieten – fand es keinen Kompromiss.

Wein und Kalbfleisch

Dass sie untätig gewesen seien, kann man den Parlamentariern allerdings nicht vorwerfen. Denn immerhin haben sie Vorstösse geschrieben. Viele Vorstösse. Rund 300 sind während der drei Sessionstage eingegangen! Im Schnitt hat somit jeder Parlamentarier etwas mehr als eine Idee eingebracht, wie die Demokratie in der Corona-Krise zu retten sei.

Zum Beispiel mit mehr Geld für Schweizer Wein. Das fordert der Walliser CVP-Nationalrat Philipp Matthias Bregy (41). Das kommt im Wallis immer gut an. Sein SVP-Kollege aus Schwyz, Landwirt Marcel Dettling (39), hingegen ist überzeugt, dass der Demokratie mehr geholfen wäre, wenn die Kalbfleischproduzenten noch einen Corona-Batzen erhielten. Die Bauern-Lobby wird es ihm verdanken. SP-Nationalrat Fabian Molina (29) dachte sogar über den nationalen Tellerrand hinaus: Der Co-Präsident des Hilfswerks Swissaid forderte Schuldenerleichterungen für arme Länder. So was wird von einem Vertreter einer Nichtregierungsorganisation erwartet.

Alte Forderungen aus der Mottenkiste

Die Krise, so zeigt sich, nutzen die Politiker vor allem, um Klientelpolitik zu betreiben und parteipolitischen Ziele zu verfolgen. Die SP will die Folgen der Corona-Pandemie durch eine Solidaritätsabgabe von Superreichen abfedern. Ein altes Anliegen, für die Corona-Krise neu aufgewärmt. Die Grünen wollen der serbelnden Wirtschaft mit einem Impulsprogramm aufhelfen. Selbstverständlich mit grünem Anstrich.

Die FDP holt derweil ein hoch umstrittenes Steuerprivileg für Firmen aus der Mottenkiste, die SVP ihren Traum von einem Staatsfonds. Zudem freut sich die SVP über die Grenzkontrollen, die wegen Corona wieder eingeführt wurden. Quasi über Nacht wurde ein lange gehegter Wunsch Wirklichkeit. – Jetzt gilt es natürlich, die Kontrollen an der Grenze so lange wie möglich zu verteidigen.

Angesichts der Liste von Lobby-Vorstössen kommen Zweifel auf, ob das Parlament wirklich der bessere Krisenmanager ist als der Bundesrat. Vor allem aber haben zahlreiche «Volksvertreter» mit einer Aktion demonstriert, dass sie mehr Rechte zu haben glauben als Otto Normalbürger: Auch während des Lockdowns liessen sie sich das feuchtfröhliches Zusammensein nicht nehmen. Nach einer 14-Stunden-Sitzung trafen sich mindestens 50 von ihnen auf ein kühles Bier oder einen Schluck Wein. Wohlgemerkt, für alle in der Schweiz waren Restaurantbesuche und grössere Menschenansammlungen verboten.

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