Vor den Kameras achten sie peinlich genau auf die Vorgaben des Bundes: Um die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, wurde die Corona-Session aus dem Bundeshaus in die Messehallen der Bernexpo verlegt.
Dort sitzt jeder Parlamentarier zwei Meter vom nächsten entfernt. Der provisorische Nationalratssaal ist deshalb 5200 Quadratmeter gross.
Die Rednerpulte – es gibt extra drei Stück – werden nach jedem Votum penibel desinfiziert. Über den Mikrofonen hängen Plastiksäckli. So zeigt man dem Volk, das die Session genau verfolgt: Wir verhalten uns vorbildlich, um dem Coronavirus keine Chance zu geben.
Um 22.30 Uhr war Schluss mit Distanz
Doch sind die Kameras abgeschaltet, die Journalisten und Fotografen auf dem Heimweg, nehmen es die Parlamentarier nicht mehr ganz so genau. Etwa am späten Dienstagabend. Da hatten die Volksvertreter genug vom Distanzhalten. Nach der 14-Stunden-Sitzung hatten viele Lust auf ein kühles Bier oder einen Schluck Wein – und versammelten sich im Henris, dem Restaurant im Messekomplex, das für die Verpflegung der Politiker geöffnet wurde.
Mindestens 50 Parlamentarier verschiedener Fraktionen trafen sich nach 22.30 Uhr in der Beiz, andere Quellen sprechen gar von 100. Dass sie sich jeweils nur zu Fünfer-Gruppen zusammenfanden und dabei die zwei Meter Abstand immer einhielten, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Spätestens nach zwei, drei Gläsern Wein dürften sich die kontaktfreudigen Politiker näher gekommen sein. Nur schon, um sich im Stimmengewirr besser zu verstehen.
Das Volk kassiert Bussen
Solch feuchtfröhliches Beisammensein mag man den Politikern gönnen, nachdem sie sich stundenlang über Milliardenhilfen für die Wirtschaft gebeugt haben. Dem Volk, das sie vertreten, sind solche Freuden allerdings nicht vergönnt – auch wenn diese ähnlich lange und strenge Arbeitstage hatten.
Wie BLICK berichtet hat, wurden während des Lockdowns selbst Privatpartys aufgelöst. Hat die Polizei dort kontrolliert, ob der Zwei-Meter-Abstand eingehalten oder allenfalls kurz unterschritten wurde? Kaum. Sie wurden gebüsst!
Anders an der Corona-Session, die von besonders vielen Polizisten bewacht wurde. Die Damen und Herren Politiker zu büssen, kam den Ordnungshütern aber nicht in den Sinn. Gegen 23.30 Uhr spedierten sie die Parlamentarier allerdings hinaus.
Damit das Parlament tagen konnte (wie es unbedingt wollte), muss der Steuerzahler 3,4 Millionen Franken berappen. So viel kostet die Corona-Session. Verändert an den Notrechtsentscheiden des Bundesrats hat das Parlament nicht viel, sondern vor allem dessen Corona-Hilfen abgenickt – und dann nach Feierabend die Corona-Regeln missachtet, an die sich die Bevölkerung grösstenteils vorbildlich hielt. Da hätte man die Session auch im Bundeshaus abhalten können – für deutlich weniger Steuergeld.
Was sagt die höchste Schweizerin dazu? Konfrontiert mit den BLICK-Recherchen erklärt Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (49, FDP) ausweichend, Ständeratspräsident Hans Stöckli (68, SP) und sie täten alles, damit alle die Vorschriften einhielten. «Das Verhalten ausserhalb der Ratskammern liegt jedoch in der eigenen Verantwortung der Parlamentarier.»