BLICK: Immer mehr Firmen setzen auch langfristig auf Homeoffice. Was könnte es für die Stadtentwicklung bedeuten, wenn weniger Menschen ins Büro pendeln?
Regula Iseli: So einiges! Wichtig ist vor allem die Frage der Arbeitsplätze – und ob das eigene Zuhause dafür der beste Ort ist. Ich persönlich bin froh, wieder im Büro zu sein und sozialen Austausch zu haben. Eine echte Alternative sind aber Co-Working-Räume: Dabei mietet man einen Arbeitsplatz in einem Büro oder Raum, in dem alle anderen vielleicht in ganz anderen Branchen arbeiten. So kann man das Defizit des sozialen Treffpunkts durch den Arbeitsort aufheben. Co-Working-Räume müssen nicht unbedingt an Zentrumslagen sein, man müsste sie auch in der Nähe des eigenen Wohnorts einrichten – das ist eine riesige Chance.
Inwiefern?
Es gibt einen neuen Bewegungsradius. Man pendelt dann vielleicht nicht mehr die ganze Distanz bis in die Innenstadt, sondern nur die halbe. Gerade für städtische Randgebiete kann das eine enorme Aufwertung bedeuten. Vor Corona waren manche Agglomerationen tagsüber ja wie leer gefegt – weil alle in der Stadt arbeiteten. Wenn mehr Menschen dort nicht nur schlafen, sondern auch arbeiten, würde das die Vororte beleben. Allerdings müsste man da endlich gute öffentliche Räume schaffen.
Und was passiert mit leer stehenden Bürotürmen?
Die können umgewandelt werden! Auch Gewerberäume können als Wohnraum genutzt werden, das ist verschiedentlich schon geschehen. Das sind natürlich nicht Standardwohnungen, sondern zum Beispiel Cluster-Wohnformen: mit einem privaten und einem gemeinsam genutzten Teil.
Bräuchten Menschen, die zu Hause arbeiten, nicht konsequenterweise grössere Wohnungen?
Natürlich waren Leute mit Einfamilienhaus und Garten während des Lockdowns privilegierter. Ich persönlich bin wie gesagt nicht begeistert vom Homeoffice. Nur die Familie gibt als soziales Umfeld langfristig nicht so viel her. Mich überzeugt das Modell der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich: dass man innerhalb der Siedlung einen Arbeitsraum dazumieten oder teilen kann. Der Wohnort bleibt der gleiche, der Arbeitsweg verringert sich enorm. Diese Angebote wären für die künftige Stadtplanung wichtig.
Auch der Verkehr würde zurückgehen ...
Genau. Es muss ein Ziel sein, den motorisierten Verkehr zu reduzieren und stattdessen mehr Platz für Velos und Fussgänger zu schaffen.
Ist Co-Working auch auf dem Land machbar?
Auf jeden Fall! Mich hat überrascht, was im Lockdown alles möglich war. Viele haben ja ihren Arbeitsort während dieser Zeit in die Berge oder in die Ferienwohnung verschoben. Gerade für Berggebiete wäre eine solche Entwicklung wünschenswert. Schliesslich ist gerade dort die Infrastruktur oft nur schlecht ausgelastet.
Arbeiten auf der Alp, pendeln nur bis zum Nachbarn ... Wie realistisch ist das alles?
Ein bisschen Wunschdenken ist natürlich dabei. Aber nicht nur! Ich bin überzeugt, dass die Corona-Krise und die Erfahrungen in der Arbeitswelt eine Entwicklung anstossen können. Die Frage, was aus den Städten werden soll, beschäftigt viele Menschen. Diskutiert wird etwa, ob es an der Zeit wäre, die Innenstädte zu entdichten – schliesslich wird nach wie vor ein Hygieneabstand empfohlen.
Und wäre es das?
Nein. Ich persönlich glaube, dass wir gut mit den Formen von Stadt leben können, die wir haben – aber wir müssen uns besser organisieren und mehr in die öffentlichen Freiräume investieren.
Regula Iseli (58) ist Architektin und Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Städtebaugeschichte und Stadtplanung. Seit 2014 ist sie Co-Leiterin des ZHAW-Instituts Urban Landscape.