Für den doppelstöckigen Tourbus war der Stotz hoch zum Hof einfach zu viel. Markus Ritter (54) muss Stefanie Heinzmann (32), Baschi (35) und Danitsa (26) darum kurzerhand im Altstätter Städtchen abholen und mit dem Zug zu sich nach Hause lotsen.
Mit über einer Stunde Verspätung treffen sie am Warmesberg ein – wo in der Küche des Bauernpräsidenten und seiner Frau bereits weitere Landwirtschaftsvertreterinnen und -vertreter aus der Ostschweiz sowie Rapper Stress (44) und Musiker Kunz (36) warten, die separat angereist waren.
Keine Zeit fürs Znüni
Fünf Musikstars am Tisch mit sechs Bäuerinnen und Bauern: Es ist eine spezielle Runde, die sich am Freitagmorgen im St. Galler Rheintal zum Znüni trifft. Zusammengebracht hat sie die Impfwoche. Bevor die Künstler am Abend in St. Gallen das vierte ihrer Impf-Konzerte spielen, sollen sie mit den Bauern ins Gespräch kommen – eine der Bevölkerungsgruppen, die am impfkritischsten ist. So sieht es das Programm vor, das die PR-Agentur im Auftrag des Bundes zusammengestellt hat.
Auf die Frage, was er vom Treffen erwarte, sagt Stress im Vorfeld: «Rösti.» Doch Rösti gibt es nicht. Und für die Brötli, Gipfeli und den Kuchen, den Ritters Ehefrau Heidi vorbereitet hat, hat man wegen der Verspätung keine Zeit. Die Künstler scheinen zwar ernsthaft interessiert am Austausch mit den Bauern. Doch es ist eine Diskussion unter Gleichgesinnten. Ohne Kontroverse – und ohne Publikum. Man fragt sich: Was bringt das?
Zu spät kamen nicht nur die Künstler
Ein Gedanke, der in den vergangenen Tagen hin und wieder aufgekommen ist. Impf-Konzerte wurden wegen einer Sabotage-Aktion von Impfgegnern zum Publikums-Flop, in manch einem Impfbus auf dem Land wartete das Personal tagelang praktisch vergebens auf Impfwillige. Einige Aktionen wie das Impfdorf am Zürcher Hauptbahnhof waren zwar eine gute Idee, sie kamen aber – wie die Künstler zum «Buureznüni» – zu spät.
An den Zahlen jedenfalls lässt sich nicht rütteln: In den ersten drei Tagen liessen sich schweizweit 14'749 Personen ein erstes Mal impfen. Das ist zwar etwas mehr als in der Vorwoche. Im Vergleich zu vor zwei Wochen ist die Zahl der Erstimpfungen gesunken.
Appenzeller Kantonsarzt mit vernichtendem Zwischenfazit
In Appenzell Innerrhoden – weiterhin der Kanton mit der tiefsten Impfrate schweizweit – liessen sich bis am Freitagmittag 20 Personen zum ersten Mal impfen. «Das ist etwa doppelt so viel wie in den Wochen vor der Impfkampagne», stellt der stellvertretende Kantonsarzt Markus Schmidli fest. Für die Zunahme liefert er zwei Interpretationen mit: «Wenn Sie es positiv sehen wollen, dann schreiben Sie von einem Erfolg mit einer Steigerung um 100 Prozent. Wenn Sie realistisch sind, dann: ‹Nüt verdopplet git wieder Nüt›.» Er stelle fest: Die ganze Übung habe, wie erwartet, «ausser Aufwand nichts gebracht».
Nicht ganz so vernichtend, aber ebenfalls kritisch fällt das Urteil von Felix Murbach (55) aus. Der Marketingexperte findet die Impfwoche eine «brillante Idee». Doch: «Bei der Umsetzung haperte es teilweise.» Auf Social Media zum Beispiel sei die Kampagne praktisch nicht sichtbar gewesen. Unglücklich sei zudem, dass die Impfwoche mit dem Start der Booster-Impfungen in einigen Kantonen zusammenfiel. «Das führte bei vielen zu Verwirrung, worum es in dieser Woche eigentlich geht.»
Stars sehen es anders
Die Künstlerinnen und Künstler ziehen indes ein durchwegs positives Zwischenfazit. Hat sich die Tour gelohnt? «Absolut», sagt Stress. Man dürfe nicht meinen, dass sich der Erfolg der Impfwoche bereits in diesen Tagen zeige. «Die Leute brauchen Zeit.»
Das sieht auch Markus Ritter so. Er habe vom Marketing gelernt, dass man eine Botschaft siebenmal wiederholen müsse, bis die Menschen handelten, erzählt er der prominenten Runde am Küchentisch, die interessiert zuhört. Was er anschliessend sagt, klingt wie ein Schlachtruf: «Jetzt hilft nur eins: Botschaft senden, Botschaft senden, Botschaft senden. So haben wir Erfolg!»