Als Vater der Pflege-Initiative will Rudolf Joder (71) nicht gelten. Obwohl er all die Vorstösse zum Thema hervorhebt, die er in seiner langen Karriere als SVP-Nationalrat eingereicht hat. Und obwohl er gerne betont, dass er es war, der 2015 am Pflegekongress in Montreux VD zur Initiative aufrief.
Doch Joder hält fest: «Diese Ehre gebührt vielmehr meiner Frau.» Jenny Joder (70), diplomierte Pflegefachfrau, arbeitete 35 Jahre lang im Beruf, wie ihr Ehemann erzählt. «Ich bin häufig spätabends beim Spital herumgewandert, weil ich sie abholen wollte und sie Überstunden schieben musste», erinnert er sich. «Durch sie habe ich alles aus nächster Nähe mitbekommen: die Belastung durch die Arbeitszeiten; den Druck, auf einer Nachtwache allein für Dutzende Patienten zuständig zu sein, weil es an Personal fehlt.»
Jahrelange Unzufriedenheit
Die Unzufriedenheit des Pflegepersonals war schon lange vor der Corona-Krise gross, der Fachkräftemangel ist seit Jahren ein Problem. Nach dem Scheitern von Joders Vorstössen im Parlament und seinem Aufruf reichte der Berufsverband der Pflegenden (SBK) die Pflege-Initiative ein, die nun am 28. November zur Abstimmung kommt.
Für den Fall eines Ja hat Joder schon einen Umsetzungsvorschlag in der Schublade, den er für den SBK gemeinsam mit dem Zürcher Staatsrechtprofessor Andreas Kley (62) erarbeitete. «Die Initiative könnte schnell umgesetzt werden», ist sich der Jurist sicher. «Einiges könnte der Bundesrat ohne langwierige Parlamentsarbeit per Verordnung beschliessen – wenn er denn wollte», sagt er.
So könnte die Landesregierung etwa via Normalarbeitsvertrag die Arbeitsbedingungen verbessern oder Regelungen für eine maximale Anzahl Patienten pro Pflegekraft festlegen. Auch liegen detaillierte Vorschläge auf dem Tisch, um via Bundesgesetz die Ausbildung zu fördern und die Pflegenden länger im Beruf zu halten.
Mit mehr Personal wird Geld eingespart
«Mit höheren Löhnen ist das Problem nicht gelöst», ist Joder überzeugt. Vielmehr solle Geld an die Pflegekosten der Institutionen fliessen, damit diese mehr diplomiertes Personal einstellen können. Das rechne sich, so Joder. Denn bessere Behandlungen senkten die Gesundheitskosten – was wiederum mehr Geld spare, als für die Löhne ausgegeben werden muss.
Vom indirekten Gegenvorschlag, den Bundesrat und Parlament wollen, hält Joder nichts. Die millionenschwere Ausbildungsoffensive darin sei viel zu unverbindlich und zu abhängig von den Kantonen. Ob und wann die Auszubildenden dereinst konkrete Unterstützung erhalten, stehe in den Sternen. Da scheint wieder der frühere SVP-Scharfmacher durch, der in seiner Politkarriere kein Blatt vor den Mund nahm: «Das ist eine absolute Mogelpackung!»
SVP-Urgestein
Vor sechs Jahren ist Joder aus dem Parlament ausgeschieden. Unfreiwillig, da eine Amtszeitbeschränkung der SVP ihn zum Abgang zwang. In der Berner SVP ist Joder ein Urgestein. Er war in Belp Gemeindepräsident, sass im Kantonsparlament und präsidierte die Kantonalpartei. Alleingänge waren bei ihm keine Seltenheit, oft auch zum Unmut seiner Partei.
Auf seine politische Heimat angesprochen, wirkt Joder heute kurz angebunden: «Ich bin in der Partei nicht mehr aktiv.» Dass sich die SVP im Parlament gegen die Initiative gestellt hat, löst bei ihm bestenfalls ein Schulterzucken aus. «Es macht in der SVP niemand ernsthafte Pflegepolitik», sagt er. «Ich glaube, ihnen ist die Dringlichkeit der Lage nicht bewusst.»