Kosovos Premierminister Albin Kurti (47) geht es so wie den meisten hochrangigen WEF-Teilnehmenden: Seine Agenda ist proppenvoll. Bevor er am Dienstagnachmittag zu einem Treffen mit der finnischen Premierministerin Sanna Marin (37) eilt, trifft ihn Blick im Kongresszentrum zum Interview. Sein Berater hat dabei kurz vorher noch die Bedingung klargemacht: nur wenige Fragen zu Serbien, bitte. Lieber will der Premier über die Beziehungen Kosovos zur Schweiz sprechen. Aber natürlich ist das Verhältnis zu Serbien das, was angesichts der jüngsten Entwicklungen interessiert.
Blick: Herr Kurti, ist die Gefahr einer Eskalation im Norden Kosovos gebannt?
Albin Kurti: Im Moment ist die Situation ruhig, unsere Polizei ist präsent. Und ich habe kürzlich einen öffentlichen Aufruf gestartet an alle Serben im Kosovo, sich auf Stellen im öffentlichen Dienst, zum Beispiel bei der Polizei, zu bewerben. Dies, nachdem serbische Beamten im Zuge der Spannungen im Norden Kosovos zurückgetreten sind. Es ist nicht meine Absicht, Serben in den Behörden mit Albanern zu ersetzen! Ich will Serben in diesen Positionen.
Auslöser der jüngsten Spannungen war ein Streit um serbische Autonummern. Rückblickend betrachtet: War Ihr Vorpreschen in dieser Sache ein Fehler?
Nein, ich denke, wir haben alles richtig gemacht. Diese alten serbischen Nummernschilder sind ein Vermächtnis des Milosevic-Regimes, das mit extremer Gewalt gegen uns Albaner vorging. Der Streit um die gegenseitige Anerkennung der Nummernschilder ist nur ein Symptom des Kernproblems, dass Kosovo und Serbien einander nicht anerkennen. Wir müssen eine Normalisierung der Beziehungen erreichen.
Ihr Ziel war einst, bis im Frühjahr eine Einigung mit Serbien zu finden. Das scheint inzwischen utopisch.
Ich bin optimistisch, dass der Abschluss eines Abkommens innert weniger Monate machbar ist, wenn der Wille zu einer Einigung da ist – und die Unterstützung des demokratischen Westens, also von EU, Nato, USA und Grossbritannien. Ich habe meinen Willen dazu zum Ausdruck gebracht. Aber es braucht zwei Seiten für ein Abkommen. Um langfristig Frieden, Sicherheit und regionale Stabilität zu haben, muss sich Serbien doppelt distanzieren: von der Milosevic-Vergangenheit und aktuell von Putin. Denn Serbien rückt immer näher an Russland. Putin will den Konflikt mit Kosovo anheizen.
Was könnte die Schweiz zu einer Einigung beitragen?
Die friedensliebende Schweiz versteht uns sehr gut – allein schon, weil viele unserer Bürgerinnen und Bürger hier leben. Und die Schweiz spielt eine wichtige Rolle: Sei es in Sachen Sicherheit und Verteidigung im Kosovo oder im Hinblick auf ein Friedensabkommen.
Am Mittwoch treffen Sie sich mit den Bundesräten Viola Amherd und Guy Parmelin. Was werden Sie konkret vorschlagen?
Wer weiss, vielleicht kommt uns gemeinsam ein Weg in den Sinn, wie sich die Schweiz noch stärker einbringen könnte. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.
Albin Kurti (47) ist seit 2021 Premierminister des Kosovos. Seine Partei Lëvizja Vetëvendosje! («Bewegung Selbstbestimmung!») gilt als progressiv und links. Kurti wurde in Pristina geboren, schloss sich 1997 der kosovarischen Befreiungsarmee UCK an. 1999 wurde er während des Kosovo-Kriegs von der serbischen Polizei verhaftet und eingesperrt. Nach seiner Freilassung gründete er 2005 seine Partei. 2010 nahm sie zum ersten Mal an den Parlamentswahlen teil und wurde auf Anhieb drittstärkste Kraft. Kurti ist mit einer norwegischen Politologin verheiratet, die beiden haben eine Tochter.
Albin Kurti (47) ist seit 2021 Premierminister des Kosovos. Seine Partei Lëvizja Vetëvendosje! («Bewegung Selbstbestimmung!») gilt als progressiv und links. Kurti wurde in Pristina geboren, schloss sich 1997 der kosovarischen Befreiungsarmee UCK an. 1999 wurde er während des Kosovo-Kriegs von der serbischen Polizei verhaftet und eingesperrt. Nach seiner Freilassung gründete er 2005 seine Partei. 2010 nahm sie zum ersten Mal an den Parlamentswahlen teil und wurde auf Anhieb drittstärkste Kraft. Kurti ist mit einer norwegischen Politologin verheiratet, die beiden haben eine Tochter.
In der Schweiz fordert die grösste Partei, die SVP, dass die Schweiz ihre Soldaten aus Kosovo abzieht. Was würde das bedeuten?
Wir sind der Schweiz sehr dankbar für den Beitrag, den die Swisscoy im Kosovo leistet. Wir sähen es nicht gern, wenn sie ihre Soldaten aus dem Kosovo abziehen würde. Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Serbien hat 48 Militärbasen an unserer Grenze errichtet, diese stellen eine Bedrohung für unser Land dar. In deren Nähe wurden Söldner der Gruppe Wagner und die berüchtigte Gang Nachtwölfe gesichtet. Wir brauchen die Schweizer Unterstützung und ich freue mich, wenn die Schweiz ihr Mandat bald bis 2026 verlängert.
Sie fordern eine Aufstockung der Nato-Truppen. Warum?
Ich habe mein Interesse an einer Aufstockung signalisiert – aber natürlich ist es an der Nato, zu entscheiden. Ich denke, der Fakt, dass wir einen grösseren Nachbarn haben, der uns nicht anerkennt und der die Zusammenarbeit mit dem Kreml immer mehr verstärkt, sollte die Nato dazu bewegen, die Präsenz zu erhöhen. Denn das senkt die Wahrscheinlichkeit künftiger Konflikte.
Fürchten Sie sich vor Wladimir Putin?
Ich bin vorsichtig, aber ich habe niemals Angst. Ich bin wachsam. Putin ist besessen von unserem Land. Er freute sich über den ausbleibenden Erfolg westlicher Interventionen im Irak und Afghanistan. Dass sie im Kosovo Erfolg hatten, macht ihn wütend und nervös.
Mit welcher Absicht sind Sie ans WEF gereist?
Mit geht es am WEF vor allem darum, neue Investoren für unser Land zu gewinnen. Kosovo ist ein Rechtsstaat, unsere Wirtschaft wächst, wir haben eine talentierte Jugend, das Durchschnittsalter der Bevölkerung ist gerade mal 31 Jahre. Damit sind wir sehr attraktiv für Investoren.
Werden Sie diesen Werbespot auch beim Treffen mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin machen?
Die Beziehungen zwischen Kosovo und der Schweiz sind hervorragend. Wir sollten schauen, wie wir mehr Handel und Investitionen erreichen können. Im letzten Jahr haben die Schweizer Investitionen im Kosovo im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent zugenommen. Ich freue mich, darauf aufzubauen.
Welche Beziehung haben Sie zur Schweiz?
Ich habe viele Freunde hier. Die Schweiz war ein Zufluchtsort unserer Opposition und ist das Daheim unserer Arbeiterklasse, die mit den Geldüberweisungen in die Heimat für uns enorm wichtig ist. Ich werde nie vergessen, dass die ehemalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey die erste westliche Politikerin war, die die vollständige Unabhängigkeit Kosovos gefordert hat. Sie war eine Vorreiterin.
Die Schweiz ist auch das Daheim einiger hervorragender Fussballspieler mit kosovarischen Wurzeln. Diese sorgten an der WM wieder für eine Kontroverse, als sich Granit Xhaka nach dem Sieg gegen Serbien ein Trikot mit der Aufschrift Jashari überstreifte, dem Namen des ersten Befehlshabers der ehemaligen kosovarischen Befreiungsarmee UCK. Sind solche politischen Statements auf dem Fussballfeld für Sie ok?
Das kommt drauf an. Statements gegen Rassismus finde ich richtig und wichtig. Und wenn jemandem seine Identität ehrt, ist das für mich auch in Ordnung.
Haben Sie eine Botschaft an Xhaka, Shaqiri und Co?
Ich danke ihnen, dass sie so viele junge Talente dazu inspirieren, Fussball zu spielen. Auch im Kosovo.
Kommen wir zurück zur Politik. Sie haben regen Kontakt zum SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. Gibt es etwas, das Sie sich von den Schweizer Sozialdemokraten abschauen möchten?
Cédric ist ein guter Freund von mir. Unsere Parteien gehören der gleichen ideologischen Familie an. Deshalb werden wir am Donnerstag eine Absichts- und Kooperationserklärung für 2023 bis 2025 zwischen unseren beiden Parteien unterzeichnen. Es wird um den politischen Dialog, Entwicklungshilfe, Wirtschaft, Bildung, aber auch Kooperation bei Wahlen gehen. Denn wir haben viele Kosovaren in der Schweiz, die Mitglied in der SP und gleichzeitig in meiner Partei Vetevendësje sind. Wir wollen einander bei Kampagnen helfen.
Die SP wird im Vorfeld der Wahlen 2025 im Kosovo also Werbung machen für Ihre Partei – und Sie umgekehrt dieses Jahr für die SP?
Nun, wir werden sehen, wie die Kooperation dann genau aussieht. Aber die Absicht ist schon, dass wir einander im Wahlkampf unterstützen. Mit dem Ziel, dass wir beide an Stärke gewinnen.