Die Rentenreform 2020 sorgt bei Politikern für erhitzte Gemüter, das Stimmvolk hingegen behält ruhig Blut. Zumindest, was die Stimmbeteiligung betrifft. Sechs Tage vor dem entscheidenden Urnengang zeichnet sich für die Mammutvorlage eine bloss durchschnittliche Stimmbeteiligung ab.
Das zeigt eine BLICK-Umfrage in verschiedenen Gemeinden. In der Stadt St. Gallen etwa liegt der briefliche Rücklauf der Abstimmungscouverts bei aktuell 27 Prozent. Die Verantwortlichen rechnen mit einer Stimmbeteiligung von 43 bis 46 Prozent am Sonntag.
«Persönlich hätte ich erwartet, dass die Abstimmungsvorlage mehr Leute hinter dem Ofen hervorlockt», sagt Einwohneramts-Leiter Stephan Wenger. Es könne aber auch sein, dass angesichts der Komplexität der Vorlage noch viele Stimmbürger unentschlossen seien und in den letzten Tagen doch noch abstimmen würden. Unter dem Strich erwartet Wenger eine «eher durchschnittliche Stimmbeteiligung».
Vergleichbar mit Energiestrategie
Auch in der Stadt Zürich zeichnet sich eine mässige Stimmbeteiligung ab. «Bis heute verzeichnen wir einen Rücklauf von knapp 22 Prozent, das ist eher tief bis durchschnittlich», sagt Kommunikationschefin Christina Stücheli. Die Werte sind etwa ähnlich wie bei der Abstimmung über die Energiestrategie vom letzten Mai. Aber tiefer als bei der Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III, bei welcher zum gleichen Zeitpunkt gut 26 Prozent abgestimmt hatten.
In Basel muss man sich ebenso wenig gegen einen Rekordansturm wappnen. Aktuell beträgt der Rücklauf 27,8 Prozent. Bei der Energiestrategie waren es zum gleichen Zeitpunkt 25,7 und bei der USR III 28,5 Prozent. Unter dem Strich rechnet die Staatskanzlei mit etwa 45 Prozent Stimmbeteiligung oder leicht darüber.
Bern rechnet mit 45 bis 50 Prozent
Auch in der Stadt Luzern liegt der Rücklauf der Stimmcouverts aktuell bei knapp 22 Prozent. Ähnlich wie einst bei der Energiestrategie, die in der Stadt Luzern schliesslich für eine Stimmbeteiligung von 47,3 Prozent sorgte – schweizweit lag die Stimmbeteiligung damals bei knapp 43 Prozent.
In der Stadt Bern lag der Rücklauf letzten Freitag bei gut 22 Prozent. Etwas höher als bei der Energiestrategie, aber tiefer als bei der USR III. «Wenn sich die Stimmabgabe ähnlich entwickelt wie bei den vorangehenden Abstimmungen, werden wir in der Stadt Bern eine Beteiligung zwischen 45 und 50 Prozent haben», so Stadtschreiber Jürg Wichtermann.
Auch in der Westschweiz sieht es im Moment nicht nach einer Rekordbeteiligung aus. Der Kanton Genf verzeichnete heute Morgen eine Rücklaufquote von 21 Prozent.
Bestätigt sich die Entwicklung bis zum Abstimmungssonntag, dürfte sich die Stimmbeteiligung schweizweit zwischen 40 und 50 Prozent bewegen – im Schnitt also.
Tiefe Beteiligung hilft der Regierung
Doch wem hilft das? «Je tiefer die Beteiligung, umso eher setzt sich die Regierungsseite durch», sagt Politologe Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern. «Dies auch deshalb, weil dann eher ältere und regierungsfreundliche Stimmbürger zur Urne gehen.»
Auf der sicheren Seite kann sich das Ja-Lager deshalb aber noch lange nicht wiegen. «Die Verunsicherung ist gross, gerade weil es viele gegensätzliche Frontlinien gibt», so Golder. So seien die Arbeitgeber in der Westschweiz für die Reform, in der Deutschschweiz dagegen. Oder die Bauern kämpften für die Reform, die SVP dagegen.
«Es gibt keine einheitlichen Lager, an denen man sich orientieren kann», so Golder. Das könne dazu führen, dass Unentschlossene gar nicht abstimmen, was eher dem Ja-Lager helfe. Oder dass aus Frust über die komplexe Vorlage doch Nein gestimmt werde.
Dass dabei eigentlich über zwei vollständig aneinandergeknüpfte Vorlagen abgestimmt werde, mache die Sache nicht einfacher. «Ich befürchte immer noch einen hohen Anteil jener, die nicht zweimal Ja oder zweimal Nein zu den Vorlagen stimmen: Das wäre unlogisch.»
Welcher Effekt sich einstellen wird, ist offen. Doch eines ist für Golder klar: «Das Rennen wird eng.»
Alle Informationen zu den Abstimmungen am 24. September finden Sie hier.