Die Schweizer Aussenpolitik ist in Myanmar tragisch gescheitert. Wie das geschah – und was der damals federführende Bundesrat Didier Burkhalter heute sagt.
In der tropischen Wärme hing der Duft von Raclette, vor der aufwendig sanierten Kolonialvilla ertönten Schwyzerörgeli und Alphorn.
Der 2. November 2012 war für die offizielle Schweiz in Myanmar ein Freudentag. Als einer der ersten Staaten nach der demokratischen Öffnung des südostasiatischen Landes richtete man in Yangon eine Botschaft ein. «Die Schweiz ist hier, um zu bleiben», verkündete Botschafter Christoph Burgener. In den Medien war angesichts des burmesischen Frühlings bereits von «Goldgräberstimmung» zu lesen.
Schweiz und Burkhalter als Geburtshelfer
Für die helvetische Offensive gabs Applaus, die «Schweizer Illustrierte» widmete Aussenminister Didier Burkhalter eine Rose.
Diplomat Burgener – seine Frau Christine Schraner Burgener war damals Botschafterin in Thailand, dann Uno-Sondergesandte für Myanmar und ist heute Staatssekretärin für Migration – sagte stolz: «Wir wollen riesige Ergebnisse liefern.»
Die Schweiz sollte Geburtshelferin einer neuen Demokratie werden – und irgendwann einmal vielleicht auch wirtschaftlich profitieren.
Die Demokratie verabschiedet sich nach zehn Jahren
Heute, ein Jahrzehnt später, ist die Bilanz bitter. Das Militär ist zurück an der Macht. Mit harter Hand. Vorletzte Woche wurden Berichte über ein mutmassliches Massaker im Südosten des Landes publik: Soldaten der Junta sollen 30 Zivilisten getötet und verbrannt haben, darunter Frauen und Kinder.
Von den hehren Zielen Bundesberns ist die Realität weiter entfernt denn je. Wie konnte es dazu kommen?
Ende des Hausarrest bringt den Stein ins Rollen
2010 entliess die Militärführung Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi aus 15-jährigem Hausarrest. 2012 gewann sie mit ihrer Partei, der Nationalen Liga für Demokratie, die Wahlen und ergatterte selber einen Parlamentssitz.
Die Ereignisse lösten weltweit Euphorie aus. Ein Schurkenstaat weniger auf der Erde. «Jetzt ist Burma an der Reihe», frohlockte der hochdekorierte Ökonom Joseph E. Stiglitz in der «Handelszeitung». Sanktionen wurden aufgehoben.
Ausbau in Myanmar, Abbau in Europa
Die Rückkehr des Landes der tausend Pagoden in die Weltgemeinschaft wollte auch Bundesbern mitgestalten. Unter dem freisinnigen EDA-Vorsteher Burkhalter wurde Myanmar 2012 zu einem Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungspolitik. 35 Millionen Franken flossen fortan jährlich nach Fernost, insgesamt über 300 Millionen – wie viel davon in die Taschen der Generäle?
Nicht einmal 100 ihrer Staatsbürger lebten in Myanmar, doch beschäftigte die Schweizer Botschaft zu Spitzenzeiten 67 Personen. Das ergab eine Interpellation der ehemaligen CVP-Nationalrätin Kathy Riklin 2017.
Andernorts fuhr man die Präsenz herunter, vor allem in Europa. So wurden die Vertretungen in Kopenhagen, Luxemburg, Dublin, Helsinki und Lissabon zu sogenannten Interessenwahrungsposten degradiert, intern auch «Laptop-Botschaften» genannt. Diese Abkehr vom eigenen Kontinent, von engen politischen und wirtschaftlichen Partnern, sollte sich später in einer zähen europapolitischen Blockade rächen.
Die Hoffnung starb rasch
Bald zeichnete sich ab, dass sich die Hoffnungen in Myanmar zerschlagen. Ein Menetekel war die von der Uno als Völkermord eingestufte Vertreibung der muslimischen Rohingya im Nordwesten des Landes zwischen 2016 und 2018. Dass Aung San Suu Kyi zu den Gräueltaten schwieg, liess den Glanz der Friedensnobelpreisträgerin verblassen, mit der sich Burkhalter 2012 so herzlich ausgetauscht hatte. Vor einem Jahr putschten sich die Unterdrücker zurück an die Macht, nahmen Suu Kyi fest und schlugen Proteste mit Gewalt nieder.
Die Schüsse auf das eigene Volk trafen auch die Ambitionen Bundesberns. Der blutige Backlash am Irrawaddy ist für die Schweiz zum aussenpolitischen Fiasko geworden.
«Die Bemühungen reichten nicht aus»
Wie blickt Burkhalter, der 2017 als Bundesrat zurücktrat, auf die Ereignisse? «Die Entwicklung in Myanmar ist sehr bedauerlich. Vor allem, weil die Öffnung des Landes und dessen Rückkehr in die internationale Gemeinschaft damals eine Welle der Hoffnung ausgelöst haben», sagt der Neuenburger zu SonntagsBlick. Vor diesem Hintergrund habe man sich damals entschlossen, diese Dynamik «rasch, klar und engagiert zu unterstützen». Zumal das Land im südostasiatischen Raum ein «kleiner Riese» sei. Heute müsse man aber feststellen, so der Ex-Magistrat selbstkritisch, «dass die Bemühungen nicht ausreichten».
Auf die Frage, ob er den Kraftakt heute als Fehler sieht, reagiert Burkhalter mit einer Gegenfrage: «War es ein Fehler, sich einzumischen und zu versuchen, zum Aufbau eines Landes beizutragen, das jahrzehntelang vom Radar verschwunden war? Das muss jeder für sich beurteilen.» Er ist überzeugt, dass es zur Verantwortung der Schweiz und ihren guten Diensten gehört, «sich für eine Welt einzusetzen, die ein Licht anzündet, statt in der Dunkelheit zu verharren».
Burkhart gibt sich optimistisch
Und er hält es nach wie vor für richtig, dass die Schweiz in Südostasien stark vertreten ist. «Auch wenn ein Engagement nicht immer das erwartete Ergebnis bringt, wird die Präsenz von den verschiedenen Akteuren in dieser besonders strategischen Region wahrgenommen und geschätzt.» Obwohl Anlass zum Pessimismus bestehe, ist Burkhalter sicher, dass für Myanmar eine zweite Chance kommen wird. Weshalb es gelte, «weiter zu handeln, ohne zuzuwarten, um menschliches Leid zu verringern – und auch, um eine Zukunft für Myanmar auf seinem langen Weg zu etwas mehr Demokratie vorzubereiten».
Dass die Risiken gross waren, räumt Burkhalter angesichts des dramatischen Rückschlags unumwunden ein. «Das erinnert mich daran, was mir in einem afrikanischen Land gesagt wurde, das ebenfalls Schwierigkeiten beim demokratischen Übergang hat: Manchmal muss man fallen, um wieder aufzustehen.»
Kürzungen der Gelder
Nach der Eskalation begann Burkhalters Nachfolger Ignazio Cassis damit, das Kooperationsprogramm unauffällig anzupassen. Entwicklungs- und humanitäre Hilfe sind auf 32 Millionen Franken im laufenden Jahr gekürzt worden. Die technische und finanzielle Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Sektor habe man eingestellt, um eine «Legitimierung der Machtübernahme durch das Militär» zu vermeiden, wie das EDA mitteilt.
In der Vertretung in Myanmar sind noch 48 Personen tätig, davon zwölf Schweizerinnen und Schweizer. Die Alphörner sind verstummt.