«Wetten, dass...?», Abba und alte Serien
Warum früher alles besser war

Wir blicken gerne zurück – und benutzen dabei eine rosarote Brille. Dafür gibt es überraschende Gründe.
Publiziert: 14.11.2021 um 13:07 Uhr
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Es lebe der Glitzer: Abba erleben ein grandioses Comeback.
Foto: AFP
Peter Padrutt

«Früecher isch aues besser gsi», schwärmte «Gumi-Hansli» einst in der SRF-Sendung «Unser Dorf». Das Video mit dem verstorbenen Original aus Sigriswil BE wurde zum Youtube-Hit.

Tatsächlich ist der sehnsuchtsvolle Blick in die Vergangenheit gerade schwer in Mode. Letzten Samstag versammelte Thomas Gottschalk (71) fast 14 Millionen Deutsche ums Lagerfeuer. In der Schweiz holte sein Revival von «Wetten, dass ..?» satte 43 Prozent Marktanteil – und das mit einer Sendung, die gemächlich wie früher daherkam. Während die Jungen die Show wohl als etwas «cringe» – «schauderhaft» – beschreiben würden, fanden es die Älteren toll.

Höhepunkt des Abends war der Auftritt von Björn Ulvaeus (76) und Benny Andersson (74), die derzeit mit Abba Erinnerungen an glückselige Zeiten wecken. Auch musikalisch schauen wir gerne zurück in eine Welt, in der scheinbar alles noch besser war. Und kein Waterloo in Sicht.

Die Zeit der ersten Male

Verschiedene Mechanismen würden dazu führen, dass vor allem die 50- bis 70-Jährigen gerne in die Vergangenheit blicken, erklärt Hennric Jokeit, Titularprofessor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. «Das Leben zwischen zehn und dreissig ist die Zeitspanne der ersten Male, die wir besonders intensiv erleben: Wir verlieben uns zum ersten Mal, haben unseren ersten Job, kaufen unser erstes Auto.» Das führe zu einem «Erinnerungs-Hügel». Heisst: Wir haben an diese Zeit viele gute Erinnerungen.

Und das ist wohl der Grund, warum wir so viel aus früheren Zeiten mögen: Im Winter werden wieder Tausende ins Queen-Musical «We Will Rock You» nach Zürich und Basel strömen. Aber wir kaufen uns auch gerne Artikel von früher: Vinyl-Plattenspieler, «Stan Smith»-Turnschuhe von Adidas. Schlaghosen sind plötzlich wieder ein schlagender Erfolg, aber auch Sportbekleidungs-Labels wie Ellesse oder Fila boomen.

Blick durch rosarote Brille

Dabei blicken wir gerne durch eine rosarote Erinnerungsbrille, sagt Jokeit, der auch Leiter des Instituts für Neuropsychologische Diagnostik und Bildgebung am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum ist. «Wir erinnern uns vor allem an positive Erlebnisse, an Highlights, die uns gut dastehen lassen. Indem wir sie wiederholen, stärkt sich das Gedächtnis, was wiederum zu einer Verklärung der Vergangenheit führt.» Negative Erinnerungen würde das Gehirn gerne ausblenden.

Die Unterhaltungsindustrie macht sich diese wonnigen Glücksgefühle rege zunutze: Alte Serien wie «Mad Men» (spielt in den 1960er-Jahren), «Friends», «Gilmore Girls» oder «Sex and the City» sind wieder der Knaller. Und auch James Bond hat nach fast 60 Jahren keine Zeit zu sterben. Millionen strömen gerade wieder ins Kino und lassen dabei auch ihre Jugend Revue passieren.

Die Rolle der Pandemie

Das «kollektive Hungern nach der Vergangenheit, in der wir jung und verliebt waren», verstärke sich in entbehrungsreichen Zeiten – wie der Pandemie – besonders, stellt Jokeit dabei fest.

Bitterböse mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft geht der Arzt, Politiker und Schriftsteller Lukas Fierz (80) ins Gericht: «Junge und expandierende Kulturen schauen nach vorn, abbröckelnde zurück.» Er sei gerade am Klimagipfel in Glasgow gewesen, wo wieder einmal nichts Ernsthaftes beschlossen wurde. «Abba entführen uns in eine Welt, in der man noch an Fortschritt und Zukunft glauben durfte.»

Einem hingegen ist der Retro-Blick suspekt: TV-Legende Kurt Aeschbacher (73). «Gerne verklären wir die Vergangenheit, reichern sie unbewusst mit neuen Geschichten an und schaffen damit in unserem Kopf eine neue Wirklichkeit der Vergangenheit», meint er. «Deshalb misstraue ich meinen Erinnerungen und geniesse lieber die Gegenwart und schaue voller Neugier in die Zukunft.»

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