Auf einen Blick
Herr Marchand, Sie verlassen die SRG mit 62 vorzeitig. Würde die SRG sonst die Halbierungs-Initiative verlieren?
Gilles Marchand: Mein Weggang ist professionell geplant. Von der Amtsdauer her müsste ich kurz vor der Abstimmung aufhören. Es ist sehr viel verantwortungsvoller, den Wechsel jetzt zu vollziehen.
2017 ging Roger de Weck, damit Sie die No-Billag-Abstimmung gewinnen. Nun gehen Sie, damit Susanne Wille die Halbierungs-Initiative bodigt. Ist die SRG-Direktion Sisyphusarbeit?
Service public bedeutet auch: Man ist nie fertig und muss immer wieder neu erklären, was man macht. In gewisser Weise folgen wir der Logik des Sisyphus, ja. Das ist nicht negativ: Sisyphus ist auch eine Metapher für Mut, Durchhaltevermögen und Resilienz.
Warum steht die SRG an einem ähnlichen Punkt wie vor «No Billag»?
Das Verständnis, dass wir dem Gemeinwohl dienen, ist nicht in allen Polit-Kreisen vorhanden. Wir dürfen nicht müde werden, immer und immer wieder aufzuzeigen, dass die SRG für den Zusammenhalt der Schweiz nützlich ist.
Im Blick sagten Sie: «Ein Angriff auf die SRG ist ein Angriff auf die Schweiz»?
Ja, aber ich würde das heute präzisieren.
Weil dieser Satz Ihnen viel Ärger eingebrockt hat?
Nein, weil er sehr verkürzt war. Für mich ist dies ein Angriff auf den Schweizer Journalismus und die Fähigkeit, in der Schweiz hochwertige audiovisuelle Inhalte zu bieten. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, in allen Landessprachen zu produzieren, geht eine wichtige Säule der Schweiz verloren.
Wie wird die Halbierungs-Initiative ausgehen?
Ich bin zuversichtlich. Die Bevölkerung schätzt die Qualität der SRG und weiss, wie wichtig wir sind. Der Abstimmungskampf wird kein Spaziergang. Bei der No-Billag-Initiative haben wir es geschafft, die Umfragewerte von 50 Prozent in Richtung 70 Prozent pro SRG zu verändern. Das muss uns wieder gelingen. Und der internationale Kontext zeigt jeden Tag, wie wichtig zuverlässige Informationen sind.
Es gibt Länder, in denen der Rundfunk durch eine Steuer erhoben wird. SP-Nationalrat Jon Pult bringt eine Mehrwertsteuer wie in Frankreich ins Spiel.
Das muss das Parlament entscheiden. Jedes System hat Vor- und Nachteile.
Die Deutschschweiz ist die Milchkuh der SRG. Ist das solidarisch?
Ja, weil wir dank dieser Umverteilung auch der Westschweiz, dem Tessin und Graubünden Service public bieten können. Es ist zum Beispiel wichtig, dass es Serien auch auf Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch gibt, weil sie die Identität unseres Landes abbilden.
RTS profitiert am meisten von der SRG. Was geben die Welschen zurück?
Innovation und Kreativität. Die RTS-Tagesschau «19h30» zum Beispiel war nach der BBC eine der ersten, die online zu sehen war. RTS hat der SRG im Bereich der digitalen Innovation sehr viel gebracht.
Ausser der SRG-Generaldirektion gibt es regionale Direktoren, die wie Landesfürsten walten. Hinzu kommen Regionalgesellschaften, die mitentscheiden. Ist die SRG überhaupt führbar?
Diese Struktur ist wichtig. Ich weiss von Bundesräten, wie schwierig es ist, die richtige Balance zwischen Bund und Kantonen zu finden. Doch das gehört zur DNA der Schweiz. Es ist richtig, über die SRG-Strukturen nachzudenken – aber das muss man mit Bedacht tun.
Mehr Zentralisierung würde Kosten sparen.
Das bestreitet niemand, das hat auch die Eidgenössische Finanzkontrolle 2006 festgestellt. Man stellte fest, dass die von der Politik vorgegebene Produktion eines dezentralisierten, mehrsprachigen und gleichwertigen Programms 40 Prozent unserer Kosten ausmacht. Wenn wir aber 50 Journalisten von Bern nach Zürich verlegen wollen, haben wir fünf parlamentarische Initiativen. Und wenn wir einen Teil der Produktion aus praktischen Gründen von Genf nach Lausanne verschieben wollen, haben wir den ganzen Kanton Genf gegen uns. In der Theorie können Sie alles anders machen. Praktisch haben wir die Realität der Schweiz vor uns.
Albert Rösti stand für No Billag. Seit letztem Jahr ist er Medienminister. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Professionell, versiert und Dossier-fokussiert.
Das Bundesamt für Kommunikation hat laut der «Schweiz am Wochenende» ein Aufsichtsverfahren gegen die SRG in die Wege geleitet. Sie haben auf dem Wiederholungssender SRF info ein Spiel zwischen einer norwegischen und einer serbischen Mannschaft ausgestrahlt.
Gemäss Konzession können wir auf SRF info Sendungen live ausstrahlen, die von nationaler Bedeutung sind. Das Champions-League-Qualifikationsspiel Roter Stern Belgrad gegen Bodø/Glimt erfüllte dieses Kriterium, weil es nicht lediglich von regionaler Bedeutung war. Das Spiel stiess auch in der Schweiz auf Interesse.
Sportsendungen sind sehr beliebt – aber auch sehr teuer.
Der Sport ist ein Element, das unser Land zusammenbringt. Die SRG muss Nati-Spiele zeigen können. Wir haben bei den Olympischen Spielen gezeigt, dass wir sehr kostenbewusst ein tolles Programm machen können.
Die Fifa treibt die Kosten der Fussball-Übertragungsrechte in die Höhe. Was erwarten Sie von Gianni Infantino?
Ich erwarte von ihm und allen Sportinstanzen, dass sie nicht zulassen, dass Sport hinter Bezahlschranken verschwindet. Der Sport gehört allen.
Widert Sie der Kapitalismus der Fifa an?
Anwidern ist ein zu starkes Wort – wir leben in einer Marktwirtschaft. Aber jeder weiss, dass der Sport ein brutales Geschäft geworden ist, bei dem es um viel Geld geht. Wer den Sport zu exklusiv machen will, läuft Gefahr, an Reichweite zu verlieren. Das dürfte nicht im Interesse des Sports und der Fifa sein.
Sie wären 2020 beinahe über die #MeToo-Debatte gestolpert. Ihnen wurde vorgeworfen, als RTS-Direktor nicht entschlossen gehandelt zu haben. Welche Fehler haben Sie gemacht?
Es war ja nicht persönlich. Aber wir haben das Thema nicht früh genug antizipiert. Wir haben zu spät, dann aber sehr entschlossen gehandelt. Das Thema bleibt aktuell. Und ein Direktor ist dafür verantwortlich.
Woran hoffen Sie, dass man sich unter Ihrer Führung erinnern wird?
Den Sieg gegen die No-Billag-Initiative, die digitale Transformation der SRG, die Lancierung von Play Suisse und die Rettung des audiovisuellen Erbes der SRG. Aufgrund von chemikalischen Prozessen wäre das historische Filmmaterial beinahe für immer futsch gewesen. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass alles digitalisiert wird und der Schweiz erhalten bleibt.
Gilles Marchand (62) wuchs in Paris und Nyon VD auf und studierte an der Universität Genf Soziologie. Seine berufliche Laufbahn begann er 1985 in der Buchbranche, 1988 kam er zur «Tribune de Genève». 1992 wechselte er zu Ringier Romandie, wo er das Marketing und die Marktforschung leitete und 1998 Direktor wurde. 2001 stiess er zur SRG. Bis 2010 war er Direktor von Télévision Suisse Romande (TSR), ab 2010 von Radio Télévision Suisse (RTS). Im Oktober 2017 trat er als Nachfolger von Roger de Weck das Amt des SRG-Generaldirektors an. Am 1. November 2024 wird er von Susanne Wille abgelöst. Marchand wohnt in Bern, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Gilles Marchand (62) wuchs in Paris und Nyon VD auf und studierte an der Universität Genf Soziologie. Seine berufliche Laufbahn begann er 1985 in der Buchbranche, 1988 kam er zur «Tribune de Genève». 1992 wechselte er zu Ringier Romandie, wo er das Marketing und die Marktforschung leitete und 1998 Direktor wurde. 2001 stiess er zur SRG. Bis 2010 war er Direktor von Télévision Suisse Romande (TSR), ab 2010 von Radio Télévision Suisse (RTS). Im Oktober 2017 trat er als Nachfolger von Roger de Weck das Amt des SRG-Generaldirektors an. Am 1. November 2024 wird er von Susanne Wille abgelöst. Marchand wohnt in Bern, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Was machen Sie ab November?
Ich bin neu im Verwaltungsrat des Filmfestivals Locarno, werde mich im kulturellen Bereich engagieren und eine akademische Tätigkeit übernehmen.
Werden Sie Professor an einer Uni?
Das ist noch nicht spruchreif.