Für die Teilnahme an der ersten «Masterchef»-Staffel musste Christian Gruenhut (32) über seinen eigenen Schatten springen: Der Aargauer ist Autist und stellt sich mit der TV-Show einer der grössten Herausforderungen seines Lebens. Als ihm Juror Nenad Mlinarevic (40) die weisse Schürze, ein Symbol für den Sprung in die nächste Runde der 3+-Kochshow, überreicht, überkommen den Informatik-Lehrling die Emotionen. Ihn überfordert die Situation sichtlich, er kämpft mit den Tränen.
«Ich habe extrem Mühe mit neuen Sachen oder Veränderungen», erklärt der 32-Jährige Blick. Sein Alltag ist genau durchgeplant: In seinem rechten Hosensack muss es einen Stift und sein Handy haben, hinten befindet sich das Portemonnaie. «Wenn das nicht so ist, wühlt mich das auf und es kann sein, dass ich die Dinge nicht finde.» Durch klare Strukturen und viel Organisation kann er solche Aufregung aber auf ein Minimum reduzieren.
Was er hingegen nicht kontrollieren kann, sind seine Mitmenschen. Ein Gang zum Bahnhof kann für ihn schnell zur Zerreissprobe werden. «Ich habe dieses natürliche Filtersystem nicht», erklärt er. Was Christian Gruenhut damit meint: Ihm fällt es schwer, Dinge zu ignorieren. Beispielsweise die Gespräche um ihn herum kann er nur schwer ausblenden. «Ich weiss eigentlich genau, zu welchem Gleis ich gehen will, aber weil mir alles zu viel wird, muss ich dann nachfragen.»
Diagnose erst spät erhalten
Bis zur Diagnose Asperger-Autismus war es für den Hobby-Fischer ein langer Weg. Immer wieder gab es für seine psychischen Probleme neue Untersuchungsergebnisse. «Doch sie haben immer nur für einen Teil der Symptome gestimmt und nicht fürs Ganze», sagt er. Die Zeit, in der er mit Depressionen zu kämpfen hatte, sei schwer gewesen. «Ich hatte brutale Abstürze in meinem Leben, aber ich bin immer wieder aufgestanden und habe weitergemacht. Und genau das werde ich auch in Zukunft machen.»
Die endgültige Diagnose bekam er schliesslich erst dank seiner Freundin. «Sie arbeitet mit beeinträchtigten Personen zusammen und meinte, ich soll mich mal auf Autismus checken lassen», erzählt er. Auch wenn es dafür keine Heilung gibt, war die Diagnose für Christian Gruenhut eine riesige Erleichterung. «Für mich hat alles Sinn ergeben. Ich konnte an den Problemen arbeiten und mein Leben auf die Krankheit anpassen.»
Regelmässige Spontan-Gespräche mit seiner Psychologin
Unterstützung bekam er dabei von der IV. Nach einer gescheiterten Kochlehre befindet sich der 31-Jährige nun im Endspurt seiner Informatiker-Ausbildung, für die er eine spezielle Berufsschule besucht, die individuell auf seine Bedürfnisse eingehen kann. Bei der Arbeit steht ihm ein spezieller Jobcoach zur Seite, der zwischen ihm und seinem Chef vermittelt. Regelmässig hat er ausserdem Gespräche mit seiner Psychologin. «Sie ruft mich an, wenn sie gerade Zeit hat. Das ist für mich viel besser, weil ich mich sonst viel zu sehr aufs Gespräch vorbereiten würde.»
Rückhalt gibt ihm seine Familie und sein Umfeld. «Ich habe nicht viele Freunde, aber die, die ich habe, sind immer für mich da», sagt er. Immer hinter ihm steht auch seine Freundin – die bei gewissen Dingen Abstriche machen muss. «Ich kann zum Beispiel nicht 10 Minuten Händchen haltend durch die Stadt laufen oder aneinandergekuschelt einschlafen. Das geht für mich nicht.» Doch seine Partnerin zeige dafür immer wieder grosses Verständnis.
Beim Kochen kann er abschalten
Seine Liebe zeigt er ihr oftmals auch am Herd: Fast täglich verwöhnt er sie zu Hause kulinarisch. «Beim Kochen kann ich abschalten. Es hat klare Regeln und das ist gut für mich als Autist», sagt er. Wenn er es in der Pfanne brutzeln höre, sei das für ihn Entspannung pur – eigentlich.
Der «Masterchef»-Dreh, der aus Kostengründen in Dänemark stattfand, war für ihn hingegen eine riesige psychische Herausforderung. Viele Menschen, ein ungewohntes Umfeld und dann der Dreh brachten Christian Gruenhut ans Limit. «Ich habe mich mit meinem Coach und meiner Psychologin darauf vorbereitet», erzählt er. Denn für ihn sei mit der Teilnahme ein riesiger Traum in Erfüllung gegangen. «Ich habe ‹Masterchef› in fast allen Ländern mitverfolgt. Nun dabei zu sein und für jemanden wie Andreas Caminada zu kochen, ist einfach nur grossartig.» Dafür nehme er auch das ein oder andere Tränli in Kauf.
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