Vicky Leandros (72) hätte es an diesem Abend nicht mehr nach Lodz geschafft. Es wurde 23.15 Uhr, ehe die Schlagerkönigin vergangenen Samstag ihren Evergreen «Theo, wir fahr’n nach Lodz» in der «Giovanni Zarrella Show» schmettern durfte. Das Publikum brauchte viel Sitzleder, wenn es ihren Auftritt noch in wachem Zustand erleben wollte.
Der Moderator mit italienischen Wurzeln erzielte in Deutschland eine Quote von 3,96 Millionen Zuschauern, verlor also eine Million im Vergleich zur Ausgabe im letzten November. Das lässt erahnen, dass Leandros viele wieder aufrütteln musste, die beim über dreistündigen TV-Marathon bis zu diesem Zeitpunkt durchgehalten hatten. In der Schweiz holte Zarrella weniger als 200'000 Zuschauer. Von «Felicità» (Glück) kann da keine Rede sein.
SRF-Showchef Yves Schifferle (46) hat sich die Sendung am Sonntag zeitversetzt angeschaut. «Ich fühlte mich prächtig unterhalten und bügelte zeitgleich ein paar Hemden», sagt er. Einen Grund, sich zu freuen, hat er jedenfalls: Indem sich SRF an internationale Produktionen hängt, spart der Sender eine Stange Geld. Und es ist jedes Mal möglich, noch ein bis zwei Schweizer Stars zu platzieren. Auch um dem Vorwurf zu begegnen, SRF biete den einheimischen Gesangsgrössen zu wenige Plattformen. Werber und TV-Profi Frank Baumann (64) hingegen sind solche Marathonshows ein Graus. «Mir schläft das Gesicht bereits ein, wenn ich nur schon ahne, dass eine Sendung Überlänge hat.»
Finanzielle Anreize
Tatsache ist: Am Samstagabend brauchts viel Sitzfleisch, XXL-Shows boomen. Egal, ob «DSDS» mit Florian Silbereisen (40), «Quiz ohne Grenzen» mit Jörg Pilawa (56) oder wie gestern die Dreiländer-Spielshow «Klein gegen Gross» mit Kai Pflaume (54), in der junge Leute arrivierte Stars zum Duell herausfordern – TV-Shows ziehen sich inzwischen immer öfter bis zur Geisterstunde hin, ungeachtet der Gefahren im Kampf gegen das Sandmännchen.
Warum ist dem so? Der Markt in Deutschland sei hart umkämpft. «ZDF und ARD setzen deshalb auf lange Shows, um zusätzlich Publikum nach 21.45 Uhr zu gewinnen», erklärt Schifferle. Durch die Länge sinkt zudem der Preis pro Minute für eine Show. «Ein anderer wichtiger Grund ist, dass fiktionale Formate auf anderen Sendern meist um 21.45 Uhr zu Ende gehen und dieser Moment ein wichtiger Umschaltzeitpunkt ist», ergänzt er. «So können längere Shows nochmals kräftig Publikum dazugewinnen, was auf die Gesamtquote einen positiven Einfluss hat.»
Die gute alte Zeit
Früher galten 90 Minuten als Höchstgrenze, inklusive damals gängiger Toleranz. Als die deutsche Showlegende Hans-Joachim Kulenkampff (1921–1998) 1961 mit der Sendung «Kleine Stadt – ganz gross» 75 Minuten überzog, nahm man das dem eloquenten, gelegentlich etwas anzüglichen «Kuli» nicht übel. Über 46 Jahre hielt er damit den Rekord im Überziehen. Auch Thomas Gottschalk (71) verzieh man später, wenn er sich über Zeitvorgaben hinwegsetzte. Sein «Wetten, dass..?»-Überlängen-Rekord von 73 Minuten stammt von 1996.
Das Gesamtpaket aus Gastgeber und Konzept müsse stimmen – sonst werde eine Sendung zum Risiko, glaubt der ehemalige «Benissimo»-Regisseur Max Sieber (79). «Ich bin nach wie vor überzeugt, dass nach zwei Stunden die Aufmerksamkeit des Publikums generell zu sinken beginnt.» Inzwischen hat man auch gemerkt, dass neue und noch wenig etablierte Shows floppen können, wenn die Sendezeit zu üppig bemessen ist. Die «Giovanni Zarrella Show» zeigt das gerade deutlich: Zwar ist der Römer ein toller Sänger, aber ihm fehlen die Sicherheit in der Gesprächsführung, der Sinn für das richtige Tempo und die emotionale Dringlichkeit. «Die Leute wollen nicht nur lachen, die wollen auch gerührt sein», umschrieb Rudi Carrell (1934–2006) sein Showrezept. Im Gegensatz zu solchen Vorbildern fühlt sich das Publikum bei Zarrella nicht vollständig aufgehoben, es mangelt ihm an Gastgeber-Qualitäten.
Doch kann man nicht grundsätzlich behaupten, dass die Gunst der Zuschauer durch solche Shows überstrapaziert wird. «Ein grosser Live-Event darf auch mal länger sein, das hat etwas Nostalgisches», meint Nik Hartmann (49), der bei CH Media für TV-Formate zuständig ist. «Wir planen zum Beispiel gerade die ‹Swiss Music Awards›-Show – da zünden wir auch ein Feuerwerk, das ein bisschen dauern darf.» Auf der anderen Seite würden gleichzeitig kompakte Formate wie «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» funktionieren. Hier bleibt man garantiert dran. Ist der Grundstoff gut, hält das Interesse. Und auch der beste Moderator ist immer nur ein «Diener und Dolmetscher» eines möglichst anregenden Inhalts, wie Joachim «Blacky» Fuchsberger (1927–2014) einst weise bemerkte.