Es ist schwül und feucht, es herrschen fast 40 Grad, der bisher heisseste Tag im Jahr. Insekten surren, Vögel zwitschern, grüne Pflanzen wachsen aus dem Boden. Man könnte meinen, man sei mitten im Regenwald von Malaysia. So wie es Bruno Manser – heute wäre er 68 – einmal war. Doch wir sitzen bei Moni Niederberger (59), der Schwester von Bruno Manser, im Garten ihres Zuhauses in Aesch BL und blättern durch ein Tagebuch ihres Bruders.
Immer wieder grinst sie und zeigt mit dem Finger auf ein Bild. «Bruno war ein talentierter Zeichner, und mit der Zeit wurde er immer besser», erklärt sie. 23 Jahre ist es her, dass Niederberger ihren Bruder zuletzt gesehen hatte. Bis heute wird der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist vermisst, und es fehlt immer noch jede Spur.
Es sind nur Vermutungen
23 Jahre hatte Moni Niederberger Zeit, sich mit dem Verschwinden ihres Bruders abzufinden. Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, aber nach zwei Jahrzehnten ist auch bei ihr nicht mehr viel übrig. «Ich weiss nicht, was mit ihm geschehen ist.» Sie habe nur Vermutungen. «Es könnte sein, dass er von einer Schlange gebissen oder von einem Baumstamm erschlagen worden ist.» Im Dschungel sei das nicht ungewöhnlich. Sie hoffe einfach, dass er nicht in Gefangenschaft der malaiischen Regierung umkam.
Bruno sei ein neugieriger, offener Mensch gewesen. «Er war uns 30 Jahre voraus, was den Klimawandel betrifft», sagt Niederberger. Auch sie hat er näher zur Natur gebracht – und sie sehe die Welt anders als zuvor. «Bei uns darf heute alles wachsen.» Kein Wunder, ähnelt ihr Garten in Aesch einem kleinen Urwald.
Moni Niederberger schützt den Regenwald von der Schweiz aus
«Als Bruno verschwunden ist, hat das jeder von uns anders verarbeitet.» Die Familie wandte sich an die Medien und hoffte, ihren Bruder mit deren Hilfe zu finden. Einer ihrer Brüder sei selbst in den Urwald gegangen, um nach Bruno zu suchen. Auch der Bruno Manser Fonds habe die Familie bei der Suche im Urwald Borneos unterstützt.
«Meine Kinder waren noch klein. Ich konnte darum nicht einfach nach Malaysia fliegen, um bei der Suche zu helfen.» Doch sie fand einen anderen Weg, um sich mit dem Verschwinden ihres Bruders auseinanderzusetzen. Moni Niederberger fing an, den Urwald von der Schweiz aus zu schützen. «Ich leitete Seminare zum Thema und machte Workshops in Schulen und Vereinen», sagt Niederberger. Die Grundlage dafür waren die Tagebücher und Geschichten, die ihr Bruno erzählt hatte. Damit versuchte sie, Kindern und Erwachsenen den Dschungel näherzubringen – so wie ihr Bruder es tat.
Verbunden mit dem verschwundenen Bruder
Einen Unterschied gab es allerdings. «Immer, wenn ich in der Schule oder bei einem Seminar gefragt wurde, ob ich auch schon mal im Urwald war, musste ich verneinen», erinnert sich Niederberger. Zehn Jahre dauerte es, bis sie die Reise nachholen konnte. Zusammen mit ihrer Familie begab sie sich auf die Spuren ihres Bruders. «Wir gingen beispielsweise in den Gunung-Mulu-Nationalpark, den Bruno in seinen Tagebüchern beschrieben hatte.» Als Bruno da war, habe man dort keine Touristen getroffen, aber dafür Millionen von Fledermäusen, die sich in der Dämmerung auf Insektenjagd machten. «Das Schauspiel wollte ich unbedingt sehen.»
Auf ihrer Reise habe sie sich ihrem Bruder zum ersten Mal seit seinem Verschwinden wieder nahe gefühlt – und begann zu verstehen, warum er den Urwald so liebte. Nicht zuletzt, weil sie sogar seine Freunde kennenlernen durfte: die Penan. «Vier Häuptlinge des Stammes kamen uns besuchen, tanzten für uns und erzählten uns mehr vom Leben im Urwald.» Das sei unglaublich eindrücklich gewesen.
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Niederberger arbeitet unermüdlich weiter
Moni Niederberger hatte sich über die Jahre ein grosses Wissen über den Regenwald angeeignet. Und nach ihrer Reise konnte sie dann auch sagen, dass sie selbst schon dort war und ihre eigenen Eindrücke schildern. Mittlerweile gibt sie allerdings keine Seminare mehr und besucht auch keine Schulen. Dafür leiht sie Museen heute persönliche Gegenstände aus. Die Tagebücher waren früher in einem Safe und wurden nach einiger Zeit an ein Museum verschenkt. «Es ist viel zu schade, die Sachen wegzusperren. Wir wollen, dass Menschen sie sehen können.» Zudem arbeitet sie mit Verlagen zusammen, um auch seine Tagebücher allen zugänglich zu machen.
«Durch unsere Arbeit und die des Bruno Manser Fonds, der sich auch nach 23 Jahren noch für den Regenwald starkmacht, hoffen wir, den Menschen etwas Offenheit und Nachsicht gegenüber der Natur mitzugeben», sagt Niederberger, blättert weiter durch das Tagebuch in ihrer Hand und zeigt auf ein weiteres Bild. «Bruno hatte ein ganz markantes Lachen. Das war neben seiner Brille sein zweites Markenzeichen.»
Moni Niederberger scheint ihren Bruder nach wie vor schmerzlich zu vermissen. Die Hoffnung stirbt eben doch zuletzt.
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