Jesus schaut seinem Betrachter in die Augen. In der linken Hand hält er eine Kristallkugel, zwei Finger der rechten hat er zum segnenden Gruss ausgestreckt. «Salvator mundi» heisst das Gemälde aus dem 16. Jahrhundert. Gefertigt haben soll es kein Geringerer als Leonardo da Vinci (1452–1519). 2017 wurde es darum auch für die Rekordsumme von knapp 407 Millionen Franken versteigert. Für Wolfgang Beltracchi (72) ist das insofern absurd, da er es für höchst unwahrscheinlich hält, dass je ein Pinsel des Malers die Holzfläche dieses Werks berührt hat. «Da Vinci, der Agnostiker und Universalgelehrte, hätte dieses Bild nie im Leben so gemalt», sagt der deutsche Maler zu SonntagsBlick. Wenn jemand Fälschungen erkennt, dann er. Beltracchi hat 40 Jahre lang Bilder im Stil bekannter Maler produziert, sie mit deren Unterschrift versehen und Expertinnen und Experten weltweit an der Nase herumgeführt. Erst 2011 flog er auf und musste für sechs Jahre hinter Gitter.
Der bekannteste Kunstfälscher im deutschsprachigen Raum wollte der Welt zeigen, wie Leonardo da Vinci den «Salvator mundi», den Retter der Welt, angefertigt hätte und wie es Salvador Dalí (1904–1989), Roy Lichtenstein (1923–1997) oder Andy Warhol (1928–1987) getan hätten. Dafür hat er sich bei seinem Schaffensprozess vom weltbekannten Zürcher Fotografen Alberto Venzago (73) begleiten und fotografieren lassen. Diese Bilder haben die beiden in einem Buch verewigt und mit verschiedenen Texten angereichert. Das Werk mit dem Namen «Wolfgang Beltracchi. Die Wiederkehr des Salvator Mundi» ist diese Woche erschienen. Sein Titel lässt erahnen: Der deutsche Meisterfälscher ist wieder da, für die ganze Welt sichtbar. Und er möchte allen zeigen, was er kann. Ganz legal.
«Das ist mein Alter Ego»
Dass sich Venzago und Beltracchi bewundern, wird schnell klar. «Wir kennen uns eigentlich seit ewig», sagt der Zürcher Fotograf. «Wir sind etwa gleich alt, wir schwingen gleich, wir haben die gleichen Drogen genommen.» Als sie sich kennenlernten, habe er sofort gemerkt: «Das ist mein Alter Ego. Wir wollen uns beide ungern einordnen lassen.» Der Maler formuliert es etwas nüchterner, lässt aber trotzdem durchblicken, wie sehr ihm sein Hausfotograf ans künstlerische und private Herz gewachsen ist: «Wir haben beide viel erlebt. Und da treffen wir uns immer wieder.» Laut Beltracchis Frau Helene (65), die beim Gespräch anwesend ist, haben die beiden «immer wahnsinnige Geschichten zu erzählen». Das Paar ist seit 1993 verheiratet und ging durch den Fälscherskandal als eine Art «Bonnie and Clyde» in die Annalen der modernen Kunstgeschichte ein. Im Gegensatz zu Venzago habe er als Maler aber einen «relativ einsamen Job», fällt ihr Wolfgang Beltracchi ins Wort. «Ausserdem dauert alles immer sehr lange.» Bei Venzago gehe alles schnell – und er habe ständig Kontakt mit Menschen. Was das Künstlerduo offensichtlich eint, ist eine Freundschaft voll gegenseitigen Respekts, Herzlichkeit, Schalk und Selbstironie.
Das gemeinsame Buch ist übrigens keine Selbstbeweihräucherung, sondern eine Art Erklärstück darüber, wie der Kunstmarkt heute funktioniert; wie morbide und falsch er geworden ist und wie man ihn revolutionieren könnte. Mit dem heutigen Zirkus kann der Deutsche nicht mehr viel anfangen, wie er in seinem Buch schreibt: «Meine Abneigung gegen den Kunsthandel hat seinen Ursprung auch im professionellen Expertentum.» Warum dem so ist, zeigt er an einem der angeblich grössten künstlerischen Missverständnisse der Gegenwart auf, dem «Salvator mundi». Beltracchi wirft im Buch beispielsweise die Frage auf, wer über die Qualität eines Kunstwerks entscheidet. Und beantwortet sie mithilfe von Essays und Interviews mit renommierten Persönlichkeiten.
Der Blick nach vorn
Der deutsche Maler, der von sich behauptet, «die Gabe zu haben, alles im Stil jedes Künstlers malen zu können», schaut aber nicht nur zurück, sondern vor allem auch nach vorn. Das Duo nimmt sich der künstlerischen Gegenwart an, Alberto Venzago hat aus einer Vielzahl von Beltracchis Werken sogenannte NFTs erstellt, Non-Fungible Tokens. Dank Blockchain-Technologie lässt sich eindeutig bestimmen, wer sie kreiert hat und wem sie gehören. Damit sind die jetzigen Bilder laut dem Zürcher Fotografen «Einzelstücke, keines ist wie das andere». Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die aktuellen Bilder des Fälschers nicht fälschbar sind.
Das Buch «Wolfgang Beltracchi. Die Wiederkehr des Salvator Mundi» ist beim Verlag Scheidegger und Spiess erschienen. Die Vernissage findet am Sonntag, 21. Mai, ab 17-Uhr in Bern statt. Ausserdem stellt das Duo seine Werke in der Galerie Brügger in Bern aus.