Als Junger verdiente Tim Krohn (59) seine Brötchen als Saxofonist. Er spielte mit einigen Kollegen an namhaften Jazzfestivals in Willisau LU und Zürich, trat im Radio auf, veröffentlichte zwei Platten – und ging während zehn Jahren auf Tournee.
Krohn beerdigte dieses Musikerleben, auch weil er davon nicht leben konnte und das Schreiben die volle Konzentration erforderte. Die Kultromane «Vrenelis Gärtli», «Quatemberkinder» sowie «Die heilige Henni der Hinterhöfe» machten ihn als Schriftsteller berühmt. Und die Krimireihe um den Engadiner Kommissar Massimo Capaul, die er unter dem Pseudonym Gian Maria Calonder schreibt, bescherte ihm eine treue Fangemeinde. Doch die Leidenschaft für Musik ist in ihm nie erloschen. So steuerte Krohn unter anderem Librettos bei zu Opern wie «Eiger» oder «Heidi feiert Weihnachten». Letztere basiert auf seinem jüngsten Kinderbuch «Heidi und das Weihnachtswunder», das im Herbst 2023 erschien.
Jetzt aber will der Schriftsteller dem Musiker Krohn neues Leben einhauchen. «Für mich ist das erst mal eine ganz kleine Form, verglichen mit den Romanen und Romanreihen, die ich bisher geschrieben habe.» In seinen Songs gibt er neu auch viel von sich selbst preis. Den Anstoss dazu erhielt Krohn von seiner Frau Micha, 42. «Sie meinte eines Tages: ‹Es ist an der Zeit, dich mit dir selbst zu beschäftigen.›» Das sei etwas völlig Neues gewesen und ihm nicht leichtgefallen. Bei einem Winterspaziergang kamen ihm erste Zeilen in den Sinn. «Daheim setzte ich mich hin und schrieb den ersten Song – auf Englisch.» Das war 2023.
Wo das Leben noch menschelt
Zu erzählen hat Krohn einiges: Als er und Micha vor zehn Jahren aus dem hektischen Zürich ins abgelegene Val Müstair zügeln, orakelt manch Einheimischer, dass die junge Familie wegen der langen Winter in Depressionen verfallen und bald wieder weg sein werde. Doch die Krohns bauen sich mit ihren Kindern Milo (11), Zilla (9), Carlotta (6) und Nesthäkchen Liv (4) in Santa Maria ein Zuhause auf. «Einen Ort, den wir hegen, pflegen und irgendwann gern den Kindern übergeben möchten», hält Micha fest. Und Tim ergänzt: «Ich wagte hier erstmals Dinge, für die es einen langen Atem und einen weiten Horizont braucht.» Dazu zählt auch der Nussbaum, den die Familie im Garten pflanzte und der wohl erst in 30 Jahren richtig Früchte tragen wird.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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«Angekommen» seien sie heute im hintersten Zipfel der Schweiz. Die Grenze zu Italien liegt fünf Autominuten entfernt. Mit den Nachbarn im knapp über 300 Einwohner zählenden Dorf sei man jeden Tag auf irgendeine Art konfrontiert. Man helfe sich gegenseitig, schaue zueinander. Oder wie es Krohn liebevoll formuliert: «Das Leben hier menschelt noch.»
Zudem sorgen die Zugezogenen mit ihrer sorgfältig restaurierten «Chasa Parli» im Dorfkern dafür, dass immer wieder Kulturschaffende wie Schriftsteller, Malerinnen, Fotografen und Musikerinnen ins Münstertal kommen, hier Unterkunft und einen Ort finden, wo sie sich inspirieren lassen oder kreativ arbeiten können.
Sogar Bundesrat Ignazio Cassis war begeistert und hinterliess auf der Website der Chasa die Worte: «Tim Krohn zog mit seiner Familie nach Sta. Maria, baute einen 400 Jahre alten Palazzo um und bietet Aufenthalte für Schreibende und Nachdenkliche an … ‹Stille› als neues touristisches Label. Das täte sicher auch vielen Politikern gut, mal innehalten zu können in der Stille … Die stille, intakte Landschaft, man muss sie nicht in Kanada suchen, wenn sie auch in der Schweiz zu finden ist. Sie ist prädestiniert für Slow Travel, weit weg von der Hektik des Alltags. Krohns haben einen Anfang gemacht. Das Val Müstair hat Charisma. Und das hat in allen Jahreszeiten grosse Anziehungskraft!»
Musisches Talent in der Familie
Die Stille und Strahlkraft des Ortes fasziniert auch die Musikerin Martina Linn (32). Für die gebürtige Engadinerin schreibt Krohn Texte, die manchmal sie, manchmal er selber vertont. Gemeinsam planen die beiden auch Bühnenauftritte.
Die Musik hat aber nicht nur Tim gepackt. Auch Milo, ältestes der Krohn-Kinder, zeigt Talent: Mit der geschenkten Geige brachte er sich in zwei Wochen selbst das Stück «Maria durch ein' Dornwald ging» bei. Eine Geigenlehrerin gibt es im Tal nicht. Renate Steinmann, Konzertmeisterin des Zürcher Barockorchesters, die oft in Santa Maria zu Besuch ist, erkannte Milos Talent und gibt ihm jetzt Unterricht. Vater Tim tut sich da an der Gitarre ein bisschen schwerer. «Ich muss intensiv üben, mache ‹Fingerpicking›.»
Ob und wie die Musik den Schriftsteller nun weiterbringt, lässt Tim Krohn offen. «Ich bin ja kein eigentlicher Sänger, sondern ein Erzähler. Meine Gesangskünste sind bescheiden, aber die Fähigkeit, Geschichten so zu erzählen, dass sie fühlbar werden, habe ich jetzt über sehr viele Jahre geschult.»
Das Schreiben lässt Krohn natürlich auch nicht ganz bleiben. Demnächst erscheint bei Kampa ein neuer Krimi; kein Calonder zwar, aber sein Kommissar Capaul wird eine Rolle spielen. Eine neue Rolle, so wie Tim Krohn in eine neue alte Rolle zurückschlüpft – als Künstler, der seine Wörter nun auch zum Klingen bringen möchte.