Sie ist eine unermüdliche Kämpferin. Sei es für die Gleichberechtigung von Frau und Mann, sei es für die Elternbildung. Vor 20 Jahren gründete die promovierte Juristin Ellen Ringier (69) die Zeitschrift «Fritz+Fränzi», die zum erfolgreichsten Elternmagazin der Schweiz geworden ist. Es war, als ihre beiden Töchter noch nicht in der Pubertät waren – diese bezeichnet sie rückblickend als «die schwierigste und anspruchsvollste Zeit meines Lebens».
Blick: Vor 20 Jahren waren Sie Mutter einer acht- und einer zehnjährigen Tochter. Wie sah damals die Familienwelt für Sie aus? Was war leicht, was schwierig?
Ellen Ringier: Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, so waren beide Töchter damals «auf Kurs». Möglicherweise ahnte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch, dass meine ausschliesslich auf persönlichen Selbsterfahrungen basierenden Erziehungsmethoden verbesserungsfähig wären.
Wie meinen Sie das?
Nun, in den formativen Jahren wurde mein Leben und das meiner beiden Schwestern von einer Gehorsamsregel beherrscht, die wenig Spielraum für individuelle Entfaltung übrig liess. Eine meiner prägenden Erinnerungen an die Primarschule ist die körperliche und seelische Strafe. Unsere Hände waren oft von «Tatzen» mit dem vierkantigen Lineal geschwollen, und meine Ohren hatten kleine Risse, weil ich des Öfteren an den Ohren vor die Wandtafel gezogen wurde. Damit sollte wohl meine Vitalität – vermutlich war ich ein ADHS-Kind –, der Mangel an Sitzfleisch gebrochen werden! Auch wenn ich als Mutter nicht so streng wie mein wunderbarer und liebevoller Vater war und den Befehlston meiner Jugend vermied, so verlangte ich von meinen beiden Töchtern wohl zu viel unbedingten Gehorsam. Die Jüngere konnte damit umgehen, die Ältere nicht.
Es war das Jahr, in dem Sie die Stiftung Elternsein gründeten, die das Elternmagazin «Fritz+Fränzi» herausgibt. Wie kamen Sie auf die Idee?
Promovierte Juristen wie ich neigen vermutlich dazu, die Antworten auf Fragen des Lebens zu kennen! Und so hatte ich, in völliger Verkennung der Schwierigkeit zu erziehen, bis dahin nie ein Erziehungsbuch oder dergleichen in die Hand genommen. Autofahren setzt einen Führerschein voraus, Motorbootfahren eine Lizenz. Elternsein verlangt gar nichts. Das hat mich irritiert. Und so wandelte ich die Volksweisheit «Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr» mit dem Wort «Elternsein» ab, und so entstand die Stiftung Elternsein.
Ursprünglich sollte das Magazin «Saugoofen» oder «Max und Moritz» heissen. Weshalb haben Sie dies verworfen?
Meine damalige Kollegin und Mitbegründerin Sabine Danuser und ich hatten es auf die Erziehung schwieriger, frecher, unangepasster Kinder abgesehen. Es war uns klar, dass Eltern ihre Kinder «Saugoofen» nennen mögen, Dritten jedoch war das unmöglich. Es lag nahe, an «Max und Moritz» zu denken, was aber, da wenig gendergerecht, verworfen werden musste.
Die erste Titelgeschichte war «Armutsrisiko Kind». Das war gewagt …
Gewagt, warum? Wir fanden, Eltern müssten nicht nur wissen, wie anspruchsvoll die Erziehung von Kindern ist, sondern auch wie teuer.
Ihnen war stets wichtig, dass über Erziehung und Kinderprobleme offen geschrieben und gesprochen wird. Gibt es für Sie diesbezüglich wirklich keine Tabus?
Das ist eine gute Frage, gerade in unseren Breitengraden, wo Tabus sich vor allem darin manifestieren, dass Eltern kaum zu den Misserfolgen in der Erziehung stehen. Ich habe zum Beispiel zig Mal erlebt, dass Eltern positiv von den schulischen Leistungen ihrer Zöglinge sprachen, diese aber in Wirklichkeit alles andere als akzeptabel waren. Das ist nicht nur unehrlich, sondern auch schade. Wer nicht offen mit Problemen umgehen kann, vergibt sich die Chance, von anderen Menschen und deren Erfahrungen lernen zu können!
Mit den Jahren wurde «Fritz+Fränzi» immer erfolgreicher. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Die Ehrlichkeit, Offenheit, mit der wir unsere Elternbildung redaktionell erarbeiten, ist ein Merkmal. Ein anderes dürfte die Qualität der Beiträge sein. Unsere Redaktorinnen und Redaktoren, allen voran Chefredaktor Nik Niethammer, lassen ausschliesslich Fachleute zu Wort kommen. Zudem haben wir bewusst auf Kochrezepte, Kreuzworträtsel und Bastelanleitungen verzichtet, was vermutlich wesentlich zu unserem Erfolg beigetragen hat. Das ist alles anstrengend, zeitaufwendig und daher kostenintensiv, aber nicht verhandelbar. Dank unseren treuen Inserenten können wir das stemmen.
Die Stiftung Elternsein bietet, nebst dem Schweizer ElternMagazin «Fritz+Fränzi», ein breites Spektrum an Hilfestellungen für Eltern in Erziehungs- und Schulfragen. Über 60 Elternvideos zu verschiedensten Themen, Podcasts und ein umfassendes Onlineangebot mit über 4000 Beiträgen stehen Eltern zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit zahlreichen Schulen bietet die Stiftung Elternsein zudem Workshops zu aktuellen Themen wie Cybermobbing an und sensibilisiert mit Kampagnen die Öffentlichkeit.
Vor wenigen Tagen wurde mit dem ElternPass ein neues Angebot für Familien gestartet. Mit dem ElternPass sparen Familien bis zu 4000 Franken pro Jahr und erhalten stark vergünstigten Zugang zu vielen Freizeitangeboten inkl. SBB-Tageskarte. Informationen unter schweizer-elternpass.ch
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Ihre Töchter kamen in die Pubertät. Wie haben Sie diese erlebt?
Es war die schwierigste und anspruchsvollste Zeit meines Lebens.
Weshalb?
Die Beantwortung dieser Frage würde ihren Anspruch auf Persönlichkeitsschutz verletzen.
Familien haben in den letzten 20 Jahren einen enormen Wertewandel erlebt. Weg von Disziplin, hin zu Vertrauen. Was waren die ausschlaggebenden Gründe dieses Wechsels?
Ich bin sehr streng erzogen worden. Als die 68er-Jahre mit dem Hinterfragen der gesellschaftlichen Werteordnung kamen, war ich schon 17 und damit mehr oder weniger «erzogen». In meiner Erinnerung fingen junge Eltern damals an, statt per Befehl mit «Sein-Lassen» Kindern eine Erziehung gewissermassen zu verweigern. Das konnte nicht gut gehen. Aber geblieben ist das Bewusstsein, dass Kinder Individuen mit eigenen Rechten sind. Mit Bezug auf Erziehung hat sich im Lauf der Jahre das Prinzip der Achtsamkeit durchgesetzt. Eine enorm wichtige Basis für das Gelingen von Erziehung!
Heute sind Eltern, Kinder und Schulen mit ganz anderen Themen konfrontiert als vor 20 Jahren, als Cybermobbing oder Bodyshaming im Internet kein Thema waren. Wie sollten wir darauf reagieren?
Dieser Ausseneinfluss auf die Erziehung, wie er sich durch die von Ihnen genannten Faktoren täglich manifestiert, allem voran das Internet: Nie hätte ich mir vor 20 Jahren träumen lassen, dass er ein geradezu apokalyptisches Ausmass annehmen würde. Ich kenne nur ein Rezept, und das heisst: Noch näher am Kind dranbleiben.
Psychische Gesundheit, Eltern-Burnout: Probleme einer privilegierten Gesellschaft?
Ja, aber mehr noch Probleme einer den menschlichen Bedürfnissen entfremdeten Gesellschaft. Mit der Industrialisierung setzte schon vor mehr als hundert Jahren eine Aufgabenteilung ein. Sie schloss die Kinder aus einem vorher existierenden agrarischen oder handwerklichen Familienverband aus, es sei denn, man zähle Kinderarbeit in Fabriken oder Verding- und Heimkinder zu einer familienähnlichen Gemeinschaft, was definitiv nicht der Fall war. Die beruflichen Anforderungen an Eltern, der Zwang zu einer existenzsichernden Karriere absorbieren die Ressourcen von Eltern oft derart, dass für die Erziehungsarbeit zusehends weniger Zeit und Kraft bleibt. Die Diskussion um Elternzeit, Kitas, Ganztagesschulen etc. zeigen, dass sich die Gesellschaft zusehends darüber bewusst wird. In Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird sich zukünftig – so hoffe ich zumindest – einiges zum Besseren verändern.
Wie stehen Sie zur Genderthematik, der dadurch veränderten Sprache?
Es ist richtig und wichtig, dass sich diesbezüglich das Bewusstsein verändert. Das darf auch über massvolle sprachliche Anpassungen geschehen. Wenn eine weibliche Brust in Abgrenzung von einer männlichen neu «milchgebende Brust» genannt werden muss, dann haben wir es wie bei so vielen Themen mit Extremismus und nicht mit Vernunft und Augenmass zu tun.
Wie sollte damit umgegangen werden?
Eine Frau Lehrer sagte mir unlängst, dass ein Mensch, der lehre, ein Lehrer sei. Sie lehne die Bezeichnung Lehrerin ab, da damit ausdrücklich und ohne Begründung darauf hingewiesen werde, dass es sich beim Lehrer um eine Frau handle, was sie als diskriminierend empfinde. Ist das nicht auch eine vertretbare Haltung?
Ende Jahr werden Sie 70. Was ist Ihnen heute wichtig und was wollen Sie noch erleben?
Während ich in den letzten 40 Jahren glaubte, mit meinem Einsatz für die Gesellschaft einen klitzekleinen Beitrag an die Verbesserung der Lebensumstände Einzelner zu leisten, bin ich heute desillusioniert. Vielleicht würde ich mich nicht um ein politisches Mandat drücken, wie ich es damals machte. Und so ist mir heute wichtiger als je, dort hilfreich zu wirken, wo ich es kann, nämlich bei meiner Familie und meinem engsten Umfeld. Und so hoffe ich, den Erfolg meiner Töchter als wunderbare Mütter im Wohlergehen meiner Enkel zu erleben.
Einst wollte Ellen Ringier (69) Medizin studieren, entschied sich dann für Rechtswissenschaft, die sie 1980 mit dem Doktorexamen abschloss. Ihren Ehemann, Verleger Michael Ringier (72), der auch den Blick herausgibt, lernte sie vor 48 Jahren an der Fasnacht in Luzern kennen. Seit 45 Jahren ist das Paar verheiratet. Die beiden leben in einer Zürcher Goldküstengemeinde, haben zwei erwachsene Töchter und zwei Enkel im Vorschulalter. Ellen Ringier setzt sich seit Jahrzehnten energisch für Kultur und gegen soziale Missstände ein.
Einst wollte Ellen Ringier (69) Medizin studieren, entschied sich dann für Rechtswissenschaft, die sie 1980 mit dem Doktorexamen abschloss. Ihren Ehemann, Verleger Michael Ringier (72), der auch den Blick herausgibt, lernte sie vor 48 Jahren an der Fasnacht in Luzern kennen. Seit 45 Jahren ist das Paar verheiratet. Die beiden leben in einer Zürcher Goldküstengemeinde, haben zwei erwachsene Töchter und zwei Enkel im Vorschulalter. Ellen Ringier setzt sich seit Jahrzehnten energisch für Kultur und gegen soziale Missstände ein.