«Ich fiel in ein tiefes Loch und hatte Depressionen»
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Nach seinem Turn-Karriereende:«Ich fiel in ein tiefes Loch und hatte Depressionen»

Trotz Silbermedaille fühlte sich Lucas Fischer (31) früher nicht als Goldjunge
«Ich bin endlich stolz auf mich»

Er war sportlich ganz oben, bis Epilepsie seinen Traum beendete. Es brauchte Zeit und viel Arbeit, um sich zu finden und als Sänger neu zu erfinden. Heute ist Lucas Fischer stolz auf sich und möchte anderen auf ihrem Weg dazu helfen.
Publiziert: 04.04.2022 um 13:44 Uhr
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Ex-Kunstturner und Sänger Lucas Fischer lebt mit Epilepsie, von seinen Selbstzweifeln konnte er sich befreien.
Foto: Heiko Roith
Flavia Schlittler

2013 gewann der Aargauer Kunstturner Lucas Fischer (31) in Moskau die Silbermedaille am Barren. Es war die Krönung seiner sportlichen Karriere und der Lohn für seine grösste Leidenschaft, viele Verletzungen und den Anspruch, sich mehr zu perfektionieren, noch mehr zu geben. Doch seine Gedanken und Gefühle standen schon da an einem ganz anderen Punkt. «Ich hätte gerne auch innerlich vollkommen losgelöst und gejubelt. Doch da waren die Stimmen in meinem Kopf, die mir immer wieder sagten, dass es nicht genug war – nicht schön genug, kein Goldjunge eben, weder in meiner Leistung noch in meinem ganzen Wesen», sagt er zu Blick. Obwohl er die Medaille holte, und das trotz der Diagnose Epilepsie, wuchs auch die Angst, dass diese ihm bei einem Wettkampf zum Verhängnis werden könnte.

Vor sieben Jahren trat er deshalb und aufgrund weiterer Verletzungen vom aktiven Sport zurück, der 20 Jahre lang sein Leben bestimmte. Doch die erhoffte Befreiung vom Erwartungsdruck verwandelte sich in eine nicht enden wollende Spirale: Depressionen, Sinnlosigkeit und Essstörungen ersetzten sein früheres Programm, das aus Training bestand. «Ich hatte Angst, dick zu werden. Also ass ich über eine längere Zeit nur einmal am Tag eine kleine Portion Gemüse und mageres Fleisch, bis ich fast zusammenbrach», so Fischer. «Selbstzweifel haben mich fast aufgefressen.»

Dieter Bohlen gab ihm für seine Show den goldenen Buzzer

Mit Therapien, Gesprächen von Freunden und Selbstreflexion hat er sich davon befreit und sich seiner zweiten Leidenschaft gewidmet, dem Gesang. Öffentlich kombinierte er diese mit Akrobatik, Entertainment und Tanz. Dies war einmalig, begeisterte 2017 auch den damaligen «Das Supertalent»-Chef-Juroren Dieter Bohlen (68), der ihn mit dem goldenen Buzzer direkt ins Finale schickte. «Das war für mich so schön und wertvoll, wie damals die Silbermedaille», sagt Fischer lachend.

Mittlerweile waren seine Gedanken und Gefühle heller, seine Lebensfreude kehrte zurück. Ein weitere, wichtiger Befreiungsschlag war sein Outing, das er Ende September im Blick machte. «Homosexualität ist im Spitzensport nach wie vor tabu, also habe ich meine Gefühle für Männer verdrängt, hatte auch Freundinnen.» Bis er sich in einen Mann verliebte und schliesslich zu seiner Homosexualität stand.

Keine Selbstverliebtheit, sondern Dankbarkeit

Heute sagt Lucas Fischer, er sei «stolz auf mich». Und so heisst auch die neue Single, die eben auf den Markt gekommen ist. «Damit möchte ich allen – egal, in welchen Situationen sie sind, egal, wie sie sich fühlen oder welche Zweifel sie plagen – sagen: Es gibt immer einen Grund, stolz auf sich zu sein. Das macht stark und glücklich. Und vor allem ist es sehr befreiend.»


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