«Es ist viel passiert in der Gesellschaft»
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Transfrau Nadia Brönnimann:«Es ist viel passiert in der Gesellschaft»

Transfrau Nadia Brönimann
«Ich würde mich heute nicht mehr operieren lassen»

In den 90er-Jahren liess Transfrau Nadia Brönimann ihr Geschlecht anpassen. Seither hat sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in ihrem Leben viel verändert.
Publiziert: 18.06.2022 um 13:07 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2024 um 13:04 Uhr
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Sie ist die bekannteste trans Frau der Schweiz: Nadia Brönimann.
Foto: Thomas Meier
Interview: Patricia Broder

Sie ist die wohl bekannteste Transfrau der Schweiz: Nadia Brönimann (53). Bereits vor 27 Jahren stand sie im Fokus der Öffentlichkeit, als sie, begleitet von einem SRF-Team, ihr biologisches Geschlecht anpassen liess. Im Gespräch mit Blick schaut die Schwyzerin auf ihr bewegtes Leben zurück und erklärt, was sie jungen Transmenschen weitergeben möchte, was ihr selbst durch ihre dunkelsten Stunden geholfen hat, warum sie sich heute zwar nicht mehr unters Messer legen würde, aber dennoch glücklicher denn je ist.

Blick: Nadia Brönimann, die Zurich Pride steht dieses Jahr zum ersten Mal im Zeichen von Trans. Was bedeutet das für Sie?
Nadia Brönimann: Ich freue mich sehr und bin unglaublich dankbar. Ich hätte früher nie zu träumen gewagt, dass Trans mal so in der Mitte der Gesellschaft ankommt, und wir uns in allen Facetten zeigen können. Denn Trans ist viel abwechslungsreicher, als viele meinen. Es gibt unterschiedlichste Transmenschen. Progressiv bis konservativ, binär und non-binär. Jeder Mensch mit Trans-Hintergrund hat seine eigene individuelle Biografie. Man findet uns überall in der Gesellschaft.

Sie hatten Ihre Geschlechtsangleichung vor 27 Jahren – wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Diese 27 Jahre kommen mir vor wie 100 Jahre (lacht). Es war wirklich eine andere Zeit damals. Trans war in den 90ern noch ein Tabu und wurde gerne mit Sensation und Voyeurismus behandelt. Man hat uns Transmenschen als schräg und ausgefallen angesehen, aufs Sexuelle reduziert und im Milieu angesiedelt. Heute geht man mit diesem Thema zum Glück viel differenzierter um. Die Gesellschaft hat seit den 90er-Jahren einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Trotz des Tabus gingen Sie schon damals mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit – bewusst?
Jein, ich habe als Ende Zwanzigjährige nicht viel über diesen Schritt nachgedacht, sondern es war für mich spannend und aufregend, bei Fernsehprojekten dabei zu sein oder Bücher zu schreiben. Aber ich blicke auch selbstkritisch auf diese Zeit zurück. Denn im Gegensatz zu heute war ich damals auch noch nicht an Aufklärungsarbeit interessiert.

Dennoch haben Sie mit Ihrer Geschichte vielen anderen Transmenschen geholfen.
Ja, und das wird mir erst jetzt bewusst. Ich habe mich in all den Jahren bloss als schrille Nadia wahrgenommen. Umso schöner ist es, heute Rückmeldungen zu erhalten, dass ich trotz meinem turbulenten Leben Menschen wirklich geholfen habe. Das spornt mich als Aktivistin nur noch mehr an. Ich möchte, dass für junge Transmenschen auch in Zukunft ein umsichtiger, besserer Weg geebnet ist.

Wie meinen Sie das?
Mein Leben als junge Transfrau war früher einsam, es gab kaum Vorbilder in der Öffentlichkeit oder im Alltag. Heute ist das zum Glück anders, und es fällt dadurch auch leichter, das Positive an der Thematik zu sehen. Ich möchte mit meiner Erfahrung anderen helfen und vermitteln. Ich möchte aufzeigen, dass ein Leben als Trans nicht Absturz oder Sackgasse bedeutet, sondern dass dieser Weg auch kraftvoll und schön sein kann.

In einem früheren Blick-Interview sagten Sie, dass Sie Ihre Geschlechtsanpassung bereuen – ist das immer noch so?
Sagen wir es so: Ich würde mich heute nicht mehr operieren lassen, ich würde einen anderen Weg wählen. Wahrscheinlich wäre ich non-binär, also zwischen den Geschlechtern. Aber meine weibliche Lebensform bereue ich nicht. Das hat auch damit zu tun, dass ich meine Weiblichkeit nicht mehr über meine Geschlechtsmerkmale definiere. Heute gibt es unzählige Möglichkeiten an Identitätszuordnungen, einen ganzen Trans-Kosmos. Ich hatte damals diese Chancen nicht. Früher war alles schwarz oder weiss, Mann oder Frau. 

Studien zeigen, dass rund die Hälfte junger Transmenschen einen Suizidversuch unternimmt. Sie selber hatten 2004 versucht, sich das Leben zu nehmen. Was half Ihnen durch diese dunkle Zeit?
Ich hatte viele Schutzengel, wenn ich das so sagen darf. Und ich bin sehr dankbar und demütig dafür, dass ich immer heil aus jeder vermeintlichen Sackgasse herausgefunden habe. Ob es Gott ist oder das Leben selber, das mir in diesen Zeiten geholfen hat, darüber kann man philosophieren. Ich sage: Danke, Leben, hast du es so gut gemeint mit mir. 

Nachdem Sie in Zürich jahrelang im Nachtleben und in der Öffentlichkeit anzutreffen waren, zogen sie sich 2006 plötzlich nach Einsiedeln SZ zurück – warum?
Ich hatte den Boden unter den Füssen verloren und musste dem bunten schrillen Partyleben Tschüss sagen. Ich wollte in die Natur gehen, um mich wieder als Mensch zu spüren. Das waren gute stille Jahre, die ich gebraucht habe. Ansonsten hätte ich heute nicht die Kraft, wieder zurück an die Öffentlichkeit zu gehen.

Sie haben in früheren Interviews gesagt, sie hätten gerne eine Familie, einen Partner. Gibt es aktuell eine Liebe in Ihrem Leben?
Nein, ich bin glückliche Singlefrau. Früher hatte ich immer das Gefühl, es brauche eine Partnerschaft zum Glück. Aber das sehe ich unterdessen anders. Heute kann ich sagen: Ich bin allein sehr glücklich, und ich bin richtig so, wie ich bin. Ich habe trotz der Chaos-Nadia von früher eine grosse Zufriedenheit und den Sinn in meinem Leben gefunden. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Was ist trans und non-binär?

Trans: Vom Begriff Transgender oder trans spricht man, wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Transfrauen wurden bei ihrer Geburt aufgrund ihrer körperlichen Merkmale als Jungen eingeordnet, Transmänner als Mädchen.
Non-binär: Non-binäre Menschen leben jenseits der Unterteilung in die zwei Kategorien von «Frau» und «Mann». Sie können dabei eine geschlechtslose, zweigeschlechtliche oder eine fliessende Geschlechtsidentität haben.

Trans: Vom Begriff Transgender oder trans spricht man, wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Transfrauen wurden bei ihrer Geburt aufgrund ihrer körperlichen Merkmale als Jungen eingeordnet, Transmänner als Mädchen.
Non-binär: Non-binäre Menschen leben jenseits der Unterteilung in die zwei Kategorien von «Frau» und «Mann». Sie können dabei eine geschlechtslose, zweigeschlechtliche oder eine fliessende Geschlechtsidentität haben.


 

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