Schlangenfrau Nina Burri (42) und ihre Mutter Annemarie Burri (77) stehen im grossen Garten des Elternhauses in Wabern BE und bestaunen eine Tanne. «Schau, die haben wir gepflanzt, als du zur Welt kamst», erzählt die gelernte Gärtnerin ihrer Tochter. Im BLICK-Generationengespräch unterhalten sich die beiden Frauen über ihren höchst unterschiedlichen Werdegang, den aussergewöhnlichen Beruf der Tochter und ihre Aktbilder, die auch in der Familie zu reden gaben.
BLICK: Annemarie Burri, Ihre Tochter ist Kontorsionistin und als Schlangenfrau bekannt. Konnten Sie immer nachvollziehen, was sie tut?
Annemarie Burri: Ja, ich habe mir wirklich gar nie Sorgen gemacht. Denn Nina hat schon als kleines Mädchen so viel Ehrgeiz entwickelt und später nie lockergelassen.
Wann merkten Sie, dass Nina eine künstlerische Laufbahn einschlagen würde?
Annemarie Burri: Ich war keine Mutter, die sie wahnsinnig gepusht hätte. Nina wollte von sich aus ins Ballett, weil sie eine Vorführung gesehen hatte. Mit sechs Jahren begann sie auf der Theaterbühne Bern.
Nina Burri: Zuerst ein Mal in der Woche, später täglich. Mit 13 war ich wie in einer Glaskugel, für mich gab es nur Ballett. Ihr habt mich nicht daran gehindert. Aber richtig unterstützen konntet ihr mich auch nicht, weil ihr gar nicht genau wusstet wie. Eigentlich hätte ich schon früher ins Ausland gehen müssen.
Es geschah also aus eigenem Antrieb?
Nina Burri: Absolut. Meine Mutter hatte ein Trauma wegen der Mütter, die vor dem Ballettsaal warteten und von ihren begabten Töchtern schwärmten – aus denen dann doch nichts wurde (beide lachen).
Hatten Sie selber auch künstlerisches Talent – oder Ihre Vorfahren?
Annemarie Burri: Eigentlich nicht. Aber ich ging gerne tanzen, war in einer Volkstanzgruppe. Meine Urgrossmutter könnte der eigentliche Ursprung sein. Sie gründete in der Innerschweiz einen der allerersten Turnvereine. Ninas Vater hingegen war Polizeikommissar, was ja auch eher kein künstlerischer Beruf ist.
Wie ist Ihr Verhältnis heute?
Nina Burri: Wir sind sehr vertraut und stets in Kontakt. Jetzt hast du sogar Whatsapp entdeckt.
Annemarie Burri. Ich reiste auch regelmässig nach Berlin, als du dort lebtest.
Nina Burri: Du interessiertest dich immer, hast Vorstellungen besucht, ohne penetrant zu sein – eine treue Wegbegleiterin. Und meine Schwester Claudia macht die Kostüme. Wir drei kommen sehr gut miteinander aus, würde ich sagen.
Sind Sie sich vom Typ her ähnlich?
Annemarie Burri: Claudia hat viel mehr vom Charakter des Vaters.
Nina Burri: Sie ist meinem Vater auch optisch ähnlicher. Ich gleiche eher der Mutter. Du warst eine Frau, die Risiken einging. Du hast vor 36 Jahren das Trachtengeschäft gegründet und musstest früh unternehmerisch denken. Und du warst nie ängstlich.
Annemarie Burri: Unsere Ehe ging zwar auseinander, aber ich musste mir finanziell keine Sorgen machen und mich nicht um meine Existenz fürchten. Mein Mann hat mich immer unterstützt.
Was hätten Sie gerne von Ihrer Mutter geerbt? Den grünen Daumen?
(Alle schauen in den Garten hinaus)
Nina Burri: Ach du meine Güte! Ich wäre total überfordert, wenn die Mutter und meine Schwester nicht wären. Ich habe hier dieses Paradies und vermisse es deshalb im Ausland nicht. Kochen kann meine Mutter besser, sie ist praktisch veranlagt.
Welche Eigenschaft hätten Sie gerne von Ihrer Tochter?
Nina Burri: Jetzt musst du sagen, den Spagat, Mama (lacht).
Annemarie Burri: Die Sprachen. Ich kann kaum Französisch. Das würde ich gerne beherrschen. Englisch und Französisch – perfekt, so wie du. Und ich hätte gern studieren wollen. Immerhin durfte ich einen Beruf erlernen in den 1950er-Jahren, da waren meine Eltern schon sehr fortschrittlich. Wir waren bloss zwei Mädchen in der Gärtnerklasse. Üblich war damals, ins Welsche zu gehen, das wollte ich aber wegen dem Heimweh nicht.
Krach haben Sie nie?
Nina Burri: Wir sagen einander schon die Meinung. Wenn wir zu dritt sind, fliegen manchmal die Fetzen. Das Gute aber ist: Wir legen die Probleme auf den Tisch und lösen sie. Wir können miteinander reden. Und du findest immer alles heraus. Ich kann keine Geheimnisse haben vor dir (lacht). Sie fragt jeweils, wie es mit den Männern stehe. Und ich sage: Ach Mama. Das ist jeweils sehr lustig.
Und wie steht es mit den Männern? Wollte die Mutter nie Grossmutter sein?
Nina Burri: Du hast dich daran gewöhnt, dass meine Schwester und ich anders sind, Spätzünder und auch sonst ausserhalb der Norm. Die Schwester will gar keine Kinder. Sie hat dafür sechs Katzen. Und bei mir hat man sich damit abgefunden, dass ich etwas Komisches mache, was nicht der Norm entspricht. Obschon ich eigentlich schon zu alt dafür bin. Ich folgte nie einer Linie. Meine Mutter weiss das am besten.
Annemarie Burri: Für mich ist dieses Aussergewöhnliche alltäglich und enorm liebenswert.
Nina Burri: Der Druck und die Frage nach Kindern kamen eher von aussen. Als ich 2013 heiratete, beruhigte sich das Ganze etwas. Die Leute sagten: Ah, jetzt läuft doch noch alles nach Plan. Aber das zerschlug sich ja wieder, klappte irgendwie nicht (lacht). Auch der Vater fragt übrigens manchmal nach Männern. Aber nicht, wann er Grossvater werde.
Und wie sehen Sie es selber?
Nina Burri: Es ist schon etwas spät dafür. Der Richtige müsste wohl bald kommen … Ich setzte mich nicht unter Druck und bin bisher auch glücklich gewesen. Ich möchte wirklich nur dann noch ein Kind, wenn ich den passenden Partner hätte. (Zur Mutter gewandt): Du hattest mit 34 auch eher spät Kinder, in deiner Generation, nicht? Mit 34? Hast du irgendwann Druck gespürt?
Annemarie Burri: Nein, überhaupt nicht.
Nina Burri: Es gibt ja heute so viele Familienkonstellationen und Modelle fürs Zusammensein, die Zeit wird es zeigen.
Wie haben Sie auf die Aktbilder Ihrer Tochter reagiert?
Annemarie Burri: Ich sah das immer sehr locker.
Nina Burri: Du bist cool. Mein Vater hat eigentlich auch keine Mühe, sein neues Umfeld hingegen eher. Deshalb darf er jeweils nicht hinschauen (beide lachen).
Annemarie Burri: Solche Dinge bereiten mir keine Mühe. Ich versuchte dich auch nie zu beeinflussen oder dir Vorschriften zu machen.
Nina Burri: Ich blieb ja auch immer im seriösen Rahmen und die Bilder sind rein künstlerisch. Alles andere hätte ich mit meinem Beruf als Bühnenmensch auch nie vereinbaren können. Ich mache solche Aufnahmen schon, seit ich 20 bin. Sie waren immer da, aber nie im Hauptfokus. Weil ich in der Schweiz erst spät entdeckt wurde, glaubten die Leute zuerst, das sei nun ein neuer Spleen von mir. Dabei entstanden die ersten Aktbilder lange vor der Schlangenfrau. Ich war auch alt genug, um zu wissen, was solche Bilder bedeuten. Wenn ich 14 gewesen wäre, hätte das vermutlich anders ausgesehen.
Annemarie Burri: Etwas kommt mir jetzt doch noch in den Sinn, was einen furchtbaren Krach auslöste.
Nina Burri: Achtung, was kommt denn jetzt?
Annemarie Burri: Als du in der vierten Klasse warst, hab ich dich in den Flötenunterricht geschickt ...
Nina Burri: Das war der blanke Horror, ich habe es so gehasst. Nur weil alle anderen gingen, musste ich auch. Und weil Claudia Klavier spielte. Ich konnte gar nicht Noten lesen und musste zu dieser komischen Frau in den Unterricht, dabei wäre ich lieber im Ballett gewesen.
Wie endete die Sache?
Nina Burri: Irgendwann konnte ich meiner Mutter beibringen, dass ich kein Talent hatte.
Annemarie Burri: Und ich habs dann aufgegeben und kapituliert.
Hat Nina sonst auch Probleme gemacht während der Schulzeit?
Annemarie Burri: Du warst speziell, sagen wir es so. Du gingst ein halbes Jahr lang mit einem Schirm in den Kindergarten, den dir der Götti zur Weihnacht geschenkt hatte – es konnte regnen oder die Sonne scheinen.
Nina Burri: Der Schirm war hellblau, auf Kindergartenfotos erkennt man ihn. Meine Schwester hatte übrigens auch einen Tick. Sie zeichnete ihrer Kindergärtnerin jeden Tag ein Haus. Und ich hatte diesen Schirm. Weshalb? Wollte ich Charlie Chaplin sein oder sonst eine Rolle spielen? Hauptsache, ein Theater ...
Wurden Sie auch in die Schule zitiert?
Annemarie Burri: Natürlich, am Anfang oft, Nina wollte ein ganzes Jahr lang überhaupt nichts machen in der ersten Klasse und hat sich grundsätzlich verweigert.
Nina Burri: Ich sass dort und sagte: Ich mag nicht. Weshalb? Ich war wohl irgendwie komisch, bis zur vierten Klasse jedenfalls.
Annemarie Burri: Du warst immer aussergewöhnlich. Und deshalb auch meine Tochter.
Annemarie Burri (77) ist in einem kleinen Bauerndorf bei Burgdorf BE aufgewachsen, machte eine Lehre als Gärtnerin und gründete vor 36 Jahren in Wabern BE ein Trachtengeschäft. Ihre jüngere Tochter Nina (42) begann als kleines Mädchen mit Ballett und arbeitete später als Model und Schauspielerin. In der Akrobatikschule China Acrobatic Troupe in Peking erlernte sie mit 30 Jahren die Kunst der Kontorsion und ist seither international als Schlangenfrau erfolgreich. Für Aufsehen sorgte auch der Bildband «Body in Motion» mit Aktaufnahmen von Nina Burri.
Annemarie Burri (77) ist in einem kleinen Bauerndorf bei Burgdorf BE aufgewachsen, machte eine Lehre als Gärtnerin und gründete vor 36 Jahren in Wabern BE ein Trachtengeschäft. Ihre jüngere Tochter Nina (42) begann als kleines Mädchen mit Ballett und arbeitete später als Model und Schauspielerin. In der Akrobatikschule China Acrobatic Troupe in Peking erlernte sie mit 30 Jahren die Kunst der Kontorsion und ist seither international als Schlangenfrau erfolgreich. Für Aufsehen sorgte auch der Bildband «Body in Motion» mit Aktaufnahmen von Nina Burri.