Die Pandemie sorgt für mehr Stress in Liebesbeziehungen: Das weiss Paarforscher Guy Bodenmann aus aktuellen Studien, Konflikte verschärfen sich, rund ein Drittel geht auf Covid-19 zurück. Kein Wunder, nimmt auch die Zufriedenheit beim Sex ab. Es gibt aber auch gute Neuigkeiten: Wer seine Liebe vor der Pandemie gut gepflegt hat, konnte sie in diesem Jahr noch vertiefen und festigen. Und: Den Glauben an die grosse Liebe haben die meisten von uns nicht verloren.
Seit einem Jahr verbringen wir wegen Corona mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Wie viel Zweisamkeit verträgt ein Paar?
Guy Bodenmann: Das Bedürfnis nach Nähe oder Distanz ist von Person zu Person unterschiedlich und variiert zudem über den Verlauf von Beziehungen. Es gibt Momente, da wünscht man sich mehr Zeit miteinander und solche, in denen man mehr Freiräume braucht. An der Pandemie und dem Lockdown problematisch ist vor allem, dass einem die Nähe aufgezwungen wird. Wir möchten frei entscheiden, wann wir welchem Bedürfnis nachgeben.
Gibt es Erkenntnisse aus dieser Zeit, führt sie zu mehr Trennungen oder gar mehr Liebe?
Zu Trennungen liegen noch keine Daten vor. Die internationalen Studien zeigen jedoch einheitlich, dass die Pandemie bei vielen Paaren mit einem erhöhten Stressniveau einhergeht. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Paare, die vor der Pandemie glücklich waren, ihre positiven Gefühle zusätzlich stärken konnten. Viele finden mehr Zeit für die Partnerschaft und geniessen dies. Diejenigen, die vorher in einer Krise waren, bei denen findet man zwei Verläufe. Bei den einen verschärften sich die Spannungen und Konflikte, die anderen finden durch die Krise einen neuen Zugang zueinander. Insgesamt geht rund ein Drittel der Beziehungskonflikte auf Covid-19 zurück. Auch die sexuelle Zufriedenheit hat insgesamt abgenommen. So bezeichneten sich vor dem Lockdown 82 Prozent als zufrieden mit ihrem Sexualleben, während des Lockdowns nur noch 63 Prozent.
Ist die Pandemie auch eine Chance für Paare?
Ja, Krisen erhöhen in der Regel zumindest kurzfristig die Verbundenheit. Man besinnt sich wieder auf das, was man aneinander hat. Man sucht Halt und Unterstützung beieinander. Daher zeigen die Studien auch, dass Singles unter der Pandemie stärker leiden als Paare.
Heute sind die Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen dank Onlinedating gross. Was ist schwieriger, sich in jemanden zu verlieben oder die Liebe aufrechtzuerhalten?
Die Antwort ist eindeutig. Die Liebe aufrechtzuerhalten ist die Kunst. Kurzfristig zu lieben fällt den meisten nicht schwer. Anspruchsvoll ist es, die Liebe über Jahre zu erhalten, sie zu nähren und wachsen zu lassen.
Wie schnell vergeht das Verliebtsein, und warum ist das so?
Neuere Studien stellen infrage, ob es die Verliebtheit als eigenes Phänomen tatsächlich gibt, und ob es wirklich Sinn macht, zwischen Verliebtheit, romantischer Liebe und kameradschaftlicher Liebe, den drei klassischerweise unterteilten Phasen der Liebe zu unterscheiden. Die Verliebtheitsphase stellt biologisch vor allem eine Stressphase dar. Man ist in hohem Masse aktiviert, aufgekratzt, vom Neuen überwältigt. Nach rund zwölf Monaten findet man keinen Unterschied mehr zwischen frisch Liebenden und Personen, die bereits länger lieben.
Ist Sex tatsächlich der stärkste Kit für die Liebe?
Sexualität ist wichtig und trägt zur Beziehungszufriedenheit wie zur Stabilität von Partnerschaften bei. Sex ist jedoch nicht der stärkste Kit der Liebe.
Sondern?
Was die Liebe längerfristig aufrechterhält, ist das Engagement beider Partner, die Zeit, die man für die Partnerschaft einbringt, die Qualität der Kommunikation und die Kompromissbereitschaft bei Konflikten, der angenehme und wohlwollende Umgang miteinander im Alltag.
Kann man als Paar auch ohne Sex glücklich sein?
Durchaus, nicht alle haben ein gleich starkes sexuelles Bedürfnis. Die Libido verändert sich zudem in Abhängigkeit von Stress, Stimmung, Phasen der Partnerschaft, deren Dauer und biologischen Veränderungen. Günstig ist, wenn die sexuellen Bedürfnisse der beiden Partner ähnlich sind.
Im März ist Ihr neues Buch «Mit ganzem Herzen lieben» erschienen. Darin geht es um die grosse Liebe, gibt es die überhaupt?
Ja. Ich hatte jüngst bei einem Onlinevortrag zum Thema Liebe das Publikum befragt, wer an die grosse Liebe glaube. Von den über hundert anwesenden Personen gaben 86 Prozent an, dass sie dies täten. Wir finden ähnlich hohe Zustimmungsraten in sämtlichen Studien, bei jüngeren wie älteren Personen. Der Mensch sehnt sich nach der Liebe. Man möchte lieben und geliebt werden. Selbst bei später Geschiedenen fanden wir in einer Untersuchung an rund 800 Personen, dass 88 Prozent zu Beginn eine mittlere bis starke Liebe zur Partnerin empfunden hatten. Das Problem ist, dass die meisten die grosse Liebe suchen, etliche sie auch finden, viele sie jedoch nicht am Leben erhalten können.
Können Sie das erklären?
Die Liebe ist ein Grundbedürfnis. Wir suchen die exklusive Bindung zu einem Menschen, der uns durchs Leben begleitet. Die Ansprüche an diesen Menschen und die Partnerschaft sind dadurch sehr hoch. Zu hohe Erwartungen sind gefährlich. Hinzu kommt, dass viele die Liebe als Selbstverständlichkeit ansehen und dabei nicht beachten, dass sie der täglichen Pflege bedarf, dass es eines konstanten Bemühens um die Liebe bedarf, damit diese bleibt.
Worum geht es in Ihrem Buch?
Es geht um dieses Bemühen um die Liebe, um ein verbindliches Bekenntnis zueinander, um das tägliche Engagement und Investitionen, die man in die Beziehung tätigt – das Bankkonto der Liebe.
Sie sind Paarforscher, wie kann man Liebe intellektuell erforschen und was hilft das für die Romantik?
Die Liebe zu erforschen bedeutet deren Grundlagen und Funktionsweise zu verstehen. Wir wissen bis heute nicht, was Liebe ist, wie sie entsteht und warum sie vergeht. Doch wir wissen sehr viel zu ihren Eigenschaften, ihren Bedürfnissen und ihrer Wirkung. Dieses Wissen hilft, Paaren bei der Pflege der Liebe zu helfen, ihre Romantik zu verlängern.
Muss man Liebe lernen?
Liebe kann man nicht lernen. Sie ist ein Geschenk. Dieses achtsam zu hegen ist die Herausforderung und Aufgabe.
Sie bieten mit Paarlife Coachings und Kurse an, derzeit auch online, wann hat man das nötig?
Die Kurse dienen zur Pflege der Partnerschaft, zum Auffrischen von Kompetenzen bezüglich Kommunikation, gegenseitiger Unterstützung, gemeinsamer Problemlösung als Paar. Sie helfen Paaren glücklich zu bleiben. Die verschiedenen Formate holen die Paare bei ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ab. Das Onlinetraining erlaubt einem gemütlich zu Hause an seiner Beziehung zu arbeiten. In den Trainings in Kleingruppen wird intensiv an den eigenen Partnerschaftsfertigkeiten gearbeitet. Wenn man erste Anzeichen einer Krise realisiert, ist es höchste Zeit, etwas dagegen zu tun.
Was für Erkenntnisse gibt es bisher?
Wir haben die Trainings in mehreren Studien evaluiert und positive Effekte nachweisen können. Neben einer Verbesserung der Kompetenzen führen sie zu einer höheren Beziehungszufriedenheit, einer erfüllenderen Sexualität und günstigen Effekten auf das Wohlbefinden der Kinder.
Das neue Buch von Guy Bodenmann ist im März erschienen: «Mit ganzem Herzen lieben».