Als «10 vor 10»-Moderator gehörte Stephan Klapproth (63) jahrzehntelang zu den bekanntesten TV-Gesichtern der Schweiz. Morgen gibt es ein Wiedersehen mit ihm auf SRF 1. Im Interview fordert er eine klarere Haltung von News-Journalisten auch am Bildschirm.
Herr Klapproth, Sie sind gerade auf dem Bodensee unterwegs. Sie werden sich am Montag die «Retro-Quiz»-Sendung mit Ihnen aber schon anschauen, oder?
Stephan Klapproth: Als ich noch «10 vor 10» moderierte, fragten sich Familie und Freunde, wann ich mal nicht auf dem Sender bin! Heute ist das wieder exklusiv, sodass ich mittags in Bottighofen anlegen werde, um die Aufzeichnung dann zu Hause im trauten Kreis zu inspizieren.
Krieg in Europa, Dürre in Europa, Politkrisen in vielen Staaten. «Quiz today» griff solche wichtigen Themen auf. Bräuchte es nicht gerade jetzt wieder so ein Format?
Schon damals wars knifflig, tragische Aktualität und die heitere Grundstimmung einer Unterhaltungssendung zu vereinen. Aber wir hatten durchaus auch tiefe Momente. Meine Lieblingssendung war eine Weihnachtsausgabe, in der neben Pfarrer Sieber ein Hinduist und ein Jesuit gegeneinander spielten und en passant lachend herausfanden, dass zwischen dem Monotheismus der Christen und dem Vielgötterglaube in Asien gar kein so grosser Unterschied sei.
Die Sendung wurde damals mangels Interesse abgesetzt. Hätte das Quiz heute mehr Zuspruch, weil die Weltlage eine andere ist?
Einspruch, Euer Ehren! «Quiz today» erzielte als wohl anspruchsvollstes Fragespiel Europas bis zum Schluss 30 Prozent Einschaltquote und mehr. Was die Sendung nicht überlebte, war, dass die damals neue Fernsehdirektorin Ingrid Deltenre alte Zöpfe aus dem Regiment ihres Vorgängers abschnitt wie die Mädchen in unserer Lateinklasse bei Langeweile die Haargäbelchen. «Quiz today» wurde ersetzt durch eine gesponserte Kochsendung, die dann mehr Ei- als Kopfzerbrechen im Lande verbreitete.
Sie gehörten zu jenen Moderatoren wie Ingo Zamperoni oder Marietta Slomka, welche die Welt einordneten. Wird das heute beim Moderieren von News-Sendungen nicht zu wenig gemacht?
Fernsehchefs wie Peter Schellenberg setzten auf Saftwurzeln an der Front. Spätere TV-Verantwortliche eher auf Edelziergewächse. Meine letzte grosse News-Sendung war die US-Wahlnacht, als Donald Trump an die Macht kam. Morgens um 6 Uhr hatte ich bereits sieben Klagen beim Ombudsmann wegen Unausgewogenheit herbeimoderiert, weil ich immer wieder – übrigens republikanische – Politologen anführte, die davor warnten, Trump bringe den Faschismus nach Amerika. Bis heute finde ich, auf totalitäre Angriffe auf die Demokratie sollte der Journalismus nicht ausgewogen reagieren – sondern mit klaren Worten. Da ist man heute schon mehrheitlich vorsichtig. Doch Könner wie mein geschätzter Ex-Kollege Florian Inhauser zeigen, dass man mit dem nötigen Sprachwitz selbst in «Tagesschau»-Moderationen Haltung signalisieren kann, ohne einem Messer wetzenden SRF-Feind juristisches Schmierfett für die nächste Klage zu liefern.
Wie dürfen wir uns einen normalen Tag in Ihrem Leben vorstellen?
An manchen Montagen fahre ich mit dem 6-Uhr-Zug los Richtung Romandie, wo ich für die Universitäten Neuenburg und Genf als Dozent für Journalistik und für Kommunikation im öffentlichen Raum arbeite. Freitags und samstags leite ich mitunter Kommunikationsworkshops an der ETH Zürich. Wissen an kommende Berufsgenerationen weiterzugeben, ist herrlich. Doch die Wunderdroge Adrenalin – mein einziger Drogenkonsum, der aber begeistert – würde mir schon fehlen, wenn ich ohne Arbeit vor der Kamera nun nicht viele Kongresse moderieren könnte, für die wir mit unserer «What’s Your Point?»-GmbH auch ganze Narrationskonzepte erstellen.
Wenn man auf die Idee käme, Sie wie gerade den ZDF-Star Claus Kleber für ein Comeback zu begeistern, wie wäre Ihre Reaktion?
Kribbeln würde es mich schon. Aber als ich mal Hans-Dietrich Genscher auf der Bühne fragte, ob er gerne noch Aussenminister wäre, antwortete er mit dem Witz, im Südtiroler Archäologiemuseum sei aus Versehen der Eismann Ötzi aufgetaut worden, und der habe als Erstes gefragt: «Ist Genscher immer noch Aussenminister?» Ähnlich sollte man vielleicht auch hiesigen wiederbelebten Mumien die Frage ersparen: «Moderiert Klapproth noch immer ‹10 vor 10›?»
Sie sind ein ambitionierter Freizeit-Pilot und haben viele Abenteuer bestanden. Haben Sie – Achtung, Kalauer – auf Ihren Ausflügen nie um Ihr Leben gefürchtet?
Für eine Reportage flog ich als Co-Pilot in einem sechsplätzigen Flugzeug durch Afrika. Als über geschlossenem Urwald in Zentralafrika einer von zwei Motoren versagte, dachten wir, wir hätten verschmutztes Benzin getankt und auch der zweite Motor werde bald verstummen. Man fühlt sich wie eine Geisel: Du bist noch putzmunter, weisst aber nicht, ob das Nachtessen für dich noch ein Thema ist. Ich hasste dieses Gefühl – denn ich hänge sehr am Nachtessen.
Und was sagen Sie zur abenteuerlichen Luftreise von Alain Berset? Erstens aus Ihrer Optik als Flieger-«Kollege»? Zweitens aus jener eines kritischen Journalisten?
Fliegerisch ist so etwas schnell passiert. Von der Kommunikation nach dem Zwischenfall her sehe ich – Achtung, Kalauer – noch Luft nach oben.
Wohin geht Ihre nächste grosse Reise über dem Boden? Und welche beruflichen Ziele haben Sie für die nächsten zwei, drei Jahre ins Auge gefasst?
Meine intensivsten Reisen mache ich derzeit im Kopf. Mit mehr Zeit als damals in der News-Hektik versuche ich, die weltweiten Entwicklungen mehr in die Tiefe zu analysieren. Für eine vierstündige historische Vorlesung an der Uni Zürich über die Macht des Storytellings in der Geschichte und heute habe ich wochenlang geforscht. Wenn daraus in den nächsten drei Jahren ein Buch wird, wäre mein Gutenberg’sches Lebensziel endlich auch erreicht.
In einem Jahr bekommen Sie erstmals die AHV. Macht Ihnen das Angst?
Nicht die Bohne. Bewusst bin ich beim Fernsehen ausgestiegen, lange bevor am 65. Geburtstag der Securitaswärter im Büro auftaucht und nach der definitiven Abgabe des Schlüssels fragt. Als Selbständiger kann ich nach Lust und Laune ein «soft landing» planen. Und wenn ich Glück habe, vielleicht bis ins hohe Alter in Bodennähe mit ein oder zwei Kolumnen oder so fast endlos ausschweben.
Auf Wikipedia steht fast nichts über Ihr Privatleben, ausser, Sie hätten 2008 geheiratet. Wie dürfen wir uns Ihre Partnerschaft vorstellen?
Ich bin in zarten festen Händen, und das mit voller Zustimmung!
Sie mussten oder durften Ihr ganzes Leben lang die Welt einordnen. Was geht Ihnen angesichts der aktuell doch vor allem negativen Schlagzeilen durch den Kopf?
Dass man für die Demokratie kämpfen muss. «There is no free lunch» lautet das Kerndogma aller Ökonomen: Keiner offeriert dir einen Gratis-Lunch! Wir feierten die Party der freien Gesellschaft und liessen gleichzeitig mit Autokraten wie Putin wirtschaftlich die Korken knallen. Wir werden uns entscheiden müssen. Und ich hoffe, dass wir an dieser Epochenschwelle, auch wenns hart wird, als Demokraten wie einst Churchill sagen werden: «We shall never surrender!»
Direkt gefragt zur Ukraine: Verhandlungen führen oder noch mehr Waffen liefern? Gibt es Ihrer Meinung nach einen gangbaren Weg aus dieser Tragödie? Welchen?
Waffen liefern, bis der Chef-Pokerer im Kreml versteht: They shall never surrender. Nicht dass mich Kriegsgefahr oder ein Krisenwinter ohne Gas nicht auch schrecken würden. Aber Machtherrscher verachten und überrollen zuerst die Angsthasen. Oder wie in der Liedzeile von Wolf Biermann: «Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um.»
Was bedeutet für Sie persönliches Glück?
An meinem Schreibtisch mit Blick über den Zürichsee in die Glarner Alpen an einem Text feilen, der langsam Gestalt annimmt, und dabei denken: Wir werden sterben, und wir sind die Glücklichen. So beschrieb ja der grosse Evolutionsbiologe Richard Dawkins das Privileg, überhaupt geboren zu sein. Oder wie die grossen C-Dur-Philosophen Anita Hegerland und Roy Black sangen: «Schön ist es, auf der Welt zu sein» – trotz aller Dramen.
Der gebürtige Luzerner Stephan Klapproth studierte an der Uni Genf erst Politologie, Wirtschaft und Zeitgeschichte, später Rechtswissenschaften.
Von 1983 bis 1984 war er Redaktor beim Radio Genève Information, von 1984 bis 1986 beim Schweizer Radio International in Bern. Anschliessend arbeitete er als Moderator und Redaktionsleiter der Radiosendung «Echo der Zeit».
Seit 1993 moderierte er beim Schweizer Fernsehen. Bis 2015 präsentierte er die Nachrichtensendung «10 vor 10», ausserdem das Format «Reporter Spezial». Von 2002 bis 2004 war Klapproth zudem Moderator von «Quiz today». Seit seinem Abschied 2016 tritt er bei Sondersendungen und Kongressen in Erscheinung, zudem ist er Publizistik-Dozent.
Der gebürtige Luzerner Stephan Klapproth studierte an der Uni Genf erst Politologie, Wirtschaft und Zeitgeschichte, später Rechtswissenschaften.
Von 1983 bis 1984 war er Redaktor beim Radio Genève Information, von 1984 bis 1986 beim Schweizer Radio International in Bern. Anschliessend arbeitete er als Moderator und Redaktionsleiter der Radiosendung «Echo der Zeit».
Seit 1993 moderierte er beim Schweizer Fernsehen. Bis 2015 präsentierte er die Nachrichtensendung «10 vor 10», ausserdem das Format «Reporter Spezial». Von 2002 bis 2004 war Klapproth zudem Moderator von «Quiz today». Seit seinem Abschied 2016 tritt er bei Sondersendungen und Kongressen in Erscheinung, zudem ist er Publizistik-Dozent.