BLICK: Anfang Jahr machten Sie auf Instagram öffentlich, dass Sie vor einem Jahr vergewaltigt wurden. Wie geht es Ihnen heute?
Morena Diaz: Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Aber die Situation zehrt an meinen Kräften. Ich arbeite ja auch noch. Zum Glück habe ich ein tolles Netzwerk von Frauen, die mir den Rücken stärken. Dadurch fühle ich mich sehr bekräftigt.
Was ist im Dezember 2018 genau vorgefallen?
Ein Freund – eine Person, der ich vertraute – vergewaltigte mich kurz vor Heiligabend in seiner Wohnung. Ich habe versucht, mich zu wehren, und ihn wegzustossen. Aber ich war körperlich völlig unterlegen. Ich habe die Person beim Namen genannt, habe mehrmals gesagt, dass er aufhören soll. Irgendwann hatte ich keine Kraft mehr. Ich habe meine Arme und Beine nicht mehr gespürt. Ich bekam alles mit, aber konnte nichts machen. Meine Gefühle zerbrachen in jener Nacht in tausend Scherben.
Was taten Sie danach?
Ich bin ins Auto gestiegen und habe versucht, meine Mutter anzurufen. Sie nahm nicht ab, es war ja mitten in der Nacht. Also habe ich es bei meinem Vater probiert. Er hat gefragt, was los sei. Ich habe nur gesagt: «Jemand ist mir zu nah gekommen.»
Sind Sie zur Polizei gegangen?
Damals konnte ich es nicht. Ich hatte Angst, dass man mir nicht glaubt. Ich habe versucht, so zu tun, als sei die Vergewaltigung nicht passiert.
Sie kannten Ihren Vergewaltiger. Sind Sie ihm noch einmal begegnet?
Darüber möchte ich nicht sprechen.
Würden Sie anderen raten, ihre Vergewaltigung auf Social Media zu veröffentlichen?
Nach meinem Post haben es mir viele nachgemacht. Das hat mich sehr berührt. Aber jeder Mensch hat eine andere Geschichte, und jedes Opfer muss für sich selbst entscheiden, wann es wie darüber sprechen möchte.
Wie hat es sich angefühlt, als Sie bei Ihrem Posting auf «Senden» gedrückt haben?
Es hat sich richtig angefühlt. Beim Schreiben habe ich immer wieder geweint. Aber dann war ich unglaublich erleichtert. Das Jahr über habe ich immer wieder Fotos von mir angeschaut, erkannte mich aber nicht. Nach dem Posting wusste ich beim Blick in den Spiegel wieder: Das bin ich.
Sie sind Lehrerin. Haben Ihre Schüler mitbekommen, was passiert ist?
Ich bin Primarlehrerin. Meine Schüler sind noch zu jung und noch nicht auf Social Media unterwegs. Ich habe auch mit den Eltern nicht darüber gesprochen, weil ich Privates und Berufliches, so gut es geht, zu trennen versuche. Sie haben mich bisher nicht darauf angesprochen.
Das ist nun über ein Jahr her. Wie waren die Reaktionen nach Ihrem Instagram-Post?
Es brach eine Liebeswelle über mich herein. Positive Anteilnahme. Empathie. Viele Leute, die etwas Ähnliches erlebt haben, gaben mir Tipps. Viele fragten auch, wie ich damit umgehe. Ich habe mich plötzlich nicht mehr so allein gefühlt. Sondern verstanden. Ich habe immer noch Hunderte von Nachrichten, die ich noch nicht beantwortet habe.
«Feige Lügnerin», «Unglaubhafte Schlampen-Geschichte», «Was hatte sie denn an?». Auch diese Nachrichten haben Sie erhalten.
Ich habe sie alle gelesen. Ich will wissen, was die Leute über mich denken. Und ich habe mit den Kommentaren gerechnet – mit Leuten, die mir als Opfer die Schuld geben. Einzelne taten natürlich weh. Aber ich stehe schon so lange als Bloggerin in der Öffentlichkeit, ich kann inzwischen besser damit umgehen und mich abgrenzen.
Sie sagten, 2019 sei für Sie ein Überleben gewesen. Wie meinen Sie das?
Ich habe lange nicht an mich herangelassen, was passiert ist. Mein Leben sollte ja weitergehen. Und ich bin immer arbeiten gegangen. Mein Körper hat das sehr lange mitgemacht. Dann habe ich Hautausschläge bekommen. Neurodermitis und Psoriasis. Angstzustände kamen dazu. Ich hatte Mühe mit dem Atmen. Und ich hatte zwei oder drei Panikattacken.
Und dann?
Ich ging im Frühling zu einer Therapeutin. Von der Vergewaltigung habe ich ihr aber erst viel später erzählt.
Warum?
Ich musste erst spüren, dass ich ihr vertrauen kann. Mit ihr ist vieles besser geworden. Eines Abends im Sommer sass ich im Auto und habe plötzlich angefangen zu weinen. Alle Tränen, die ich bis dahin zurückgehalten habe, flossen aus mir raus. Danach habe ich oft geweint. Das hat mir beim Heilen geholfen. Aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Was denken Sie über die Gesetzeslage in der Schweiz?
Rechtlich gilt mein Fall in der Schweiz nicht als Vergewaltigung. Dass ich Nein gesagt habe, reicht laut dem Schweizer Gesetz nicht aus. Das Sexualstrafrecht ist absurd, das ist auch der Grund, weshalb es für mich so wichtig ist, dass es überarbeitet und angepasst wird. Deshalb will ich weiter über das Thema sprechen, ich will Mut machen und aufklären. Die nordischen Länder sind da schon viel weiter als wir.
Wie wollen Sie Betroffene unterstützen?
Ich will vermehrt auf die Opferhilfe aufmerksam machen. Viele wissen gar nicht, dass es sie gibt. Sie hat mir sehr geholfen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass sie finanzielle Unterstützung für eine Therapie anbietet. Ganz generell: Man darf die Augen nicht verschliessen und soll den Opfern glauben. Und ich möchte allen raten, direkt zur Polizei zu gehen – mit Unterstützung. Aber ich weiss, wie schwer es ist.
Werden Sie je wieder einem Mann vertrauen können?
Ich will weiterhin an das Gute glauben. Ich will mein Herz wieder öffnen. Auch eine Beziehung und Familie sind ein Thema für mich. Ich habe für mich entschieden: Nein, ich lasse mir mein Leben nicht von diesem Vorfall kaputt machen.
Die Aargauerin Morena Diaz wurde am 26. Januar 1993 geboren. Sie schreibt auf ihrem Blog und auf ihrem Instagram-Account über das Thema Selbstliebe und setzt sich für «Body Positivity» – ein positives Körperbild – ein. Aus diesem Grund war sie für den Prix Courage (2018) und als Aargauerin des Jahres (2019) nominiert. Morena Diaz arbeitete als Primarlehrerin und veröffentlichte 2018 ihr Buch «Love Your Body».
Die Aargauerin Morena Diaz wurde am 26. Januar 1993 geboren. Sie schreibt auf ihrem Blog und auf ihrem Instagram-Account über das Thema Selbstliebe und setzt sich für «Body Positivity» – ein positives Körperbild – ein. Aus diesem Grund war sie für den Prix Courage (2018) und als Aargauerin des Jahres (2019) nominiert. Morena Diaz arbeitete als Primarlehrerin und veröffentlichte 2018 ihr Buch «Love Your Body».
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