Mona Vetsch und Barbara Bleisch suchen Antworten
Macht Arbeit glücklich?

In der Sommerreihe «Reporter Spezial» machen sich Moderatorin Mona Vetsch und Philosophin Barbara Bleisch auf die Suche nach dem Glück. Findet man es im Job?
Publiziert: 25.07.2021 um 22:33 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2021 um 21:44 Uhr
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Mona Vetsch (l.) und Barbara Bleisch auf der Suche nach dem Glück in der «Reporter Spezial»-Sommerreihe. Die Themen sind: Macht Arbeit glücklich? (25. Juli); Macht Landleben glücklich? (8. August); Macht Verzicht glücklich? (15. August); Macht Risiko glücklich? (22. August).
Foto: SRF/Miriam Künzli
Jean-Claude Galli

Heute Abend startet die SRF-Sommerreihe «Reporter Spezial». In der ersten Folge gehen Moderatorin Mona Vetsch (46) und «Sternstunde»-Philosophin Barbara Bleisch (48) ab 20.05 Uhr auf SRF 1 der Frage nach, ob und wann Arbeit glücklich macht. Im SonntagsBlick-Interview geben sie erste Antworten.

SonntagsBlick: Wie finden eine Reporterin und eine Philosophin zueinander?
Mona Vetsch: Wir machten bereits 2020 eine Serie zum Glück. Letztes Jahr näherten wir uns dem Thema von der volkswirtschaftlichen Seite, diesmal von der philosophischen. Wir ergänzen uns sehr gut. In den Reportagen zeigen uns Menschen, was sie an der Arbeit glücklich oder unglücklich macht. Barbara hebt das Ganze auf eine neue Ebene. Sie ist eine enorme Bereicherung.
Barbara Bleisch: Ich schaue Mona sehr gerne zu, wie sie Gespräche führt – unnachgiebig bleibt und doch immer feinfühlig. Was mir mehrfach auffiel: Sie interessiert sich wie wir in der «Sternstunde Philosophie» für die grossen Fragen unseres Lebens. Sie hat einfach andere Gäste. Mona philosophiert mit den Leuten draussen in der Welt. Wir haben eher Expertinnen, Wissenschaftler und Autorinnen zu Gast. Die Anfrage des «Reporter»-Teams freute mich deshalb sehr.

Wie definieren Sie den Begriff Arbeit?
Bleisch:
Die meisten verstehen unter Arbeit nur die existenzsichernde, bezahlte Lohnarbeit. Dabei fällt ganz viel Arbeit nicht unter diese Definition. Im Moment zeigt uns das gerade die Care-Bewegung, die nicht nur fordert, professionelle Pflege besser zu honorieren, sondern auch aufzeigt, wie viel Familien- und Hausarbeit umsonst geleistet wird, wie viel Freiwilligenarbeit wir in der Schweiz leisten. Diese Arbeit wird von der Gesellschaft nicht als solche wahrgenommen. Die Idee ist vermutlich, dass die Leute sie ja freiwillig machen – Kinderbetreuung zum Beispiel. Aber was wie entlohnt wird, ist eine gesellschaftliche Entscheidung und oft auch eine Wertung: Wirklich wichtig scheint nur zu sein, was bezahlt wird. Das stimmt aber sicher nicht. Nicht nur brauchen wir Menschen, die die ganze Care-Arbeit machen, für viele hat sie auch eine sinnstiftende Dimension.
Vetsch: Ich definierte Arbeit selber lange als Erwerbsarbeit. Und empfand das Haushalten nicht als «richtige» Arbeit. Weil sie irgendwie selbstverständlich ist und man nichts dafür bekommt. Daran krankt unsere Gesellschaft: Nur was kostet, hat einen Wert. Später habe ich mich dann mit Glücksforschung beschäftigt. Und gesehen: In jenen Dingen, die du für Menschen machst, die du gerne hast, liegt das wahre Glück. Ob du dafür Geld erhältst, ist zweitrangig.

Mona Vetsch & Barbara Bleisch

Mona Vetsch (46) startet ihre Medienkarriere nach abgebrochenem Wirtschaftsstudium im Thurgau und wechselt 1997 zur SRF-Jugendsendung «Oops!». 17 Jahre lang morderiert sie die Morgensendung auf Radio SRF 3, parallel führt sie durch die unterschiedlichsten SRF-TV-Formate, aktuell «Mona mittendrin» und «Reporter Spezial». Die zweifache Mutter lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Die gebürtige Baslerin Barbara Bleisch (48) moderiert die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» seit über zehn Jahren. Sie ist Dozentin für Ethik in verschiedenen universitären Nachdiplomstudiengängen und Buchautorin. Die Philosophin ist Mutter zweier Töchter und wohnt mit ihrer Familie in Zürich.

Mona Vetsch (46) startet ihre Medienkarriere nach abgebrochenem Wirtschaftsstudium im Thurgau und wechselt 1997 zur SRF-Jugendsendung «Oops!». 17 Jahre lang morderiert sie die Morgensendung auf Radio SRF 3, parallel führt sie durch die unterschiedlichsten SRF-TV-Formate, aktuell «Mona mittendrin» und «Reporter Spezial». Die zweifache Mutter lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Die gebürtige Baslerin Barbara Bleisch (48) moderiert die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» seit über zehn Jahren. Sie ist Dozentin für Ethik in verschiedenen universitären Nachdiplomstudiengängen und Buchautorin. Die Philosophin ist Mutter zweier Töchter und wohnt mit ihrer Familie in Zürich.

Sie arbeiten beide vor allem geistig und nicht körperlich. Wurden Sie deshalb je gering geschätzt?
Bleisch:
Ich habe eher das Gefühl, manche «Büezer» hätten den Eindruck, wir «Schreibtischtäterinnen» schauten auf sie herab. Und das schmerzt mich ungemein, weil ich gutes Handwerk extrem bewundere. Wie oft bin ich darauf angewiesen, dass jemand kommt und etwas flickt. Und ich schätze es sehr, ein feines Brot beim Bäcker zu kaufen oder mich in einem Fachgeschäft beraten zu lassen. Unsere Gesellschaft braucht Expertise auf den unterschiedlichsten Gebieten. Dass wir sie so unterschiedlich bewerten, finde ich nicht fair. Mir gefällt die Geschichte der Maus Frederick aus dem Kinderbuch von Leo Lionni. Frederick hilft nicht mit beim Sammeln von Wintervorräten, packt aber, als alle Mäuse frieren und sich langweilen, seine Geschichten aus, die er den Sommer über gesammelt hat. In einer idealen Gesellschaft hätte jeder mit seinen Talenten einen Platz.
Vetsch: Gerade Corona hat gezeigt, welche Aufgaben wichtig sind für uns als Gemeinschaft. Zum Beispiel Pflege, Verkauf, Logistik. Ich war für eine Sendung mit dem Team von Entsorgung + Recycling Zürich unterwegs. Der Berufsstolz dieser Menschen hat mich begeistert. Was es alles braucht, damit die Abfallentsorgung funktioniert. Aber wie viel verdienen diese Menschen im Vergleich mit anderen Branchen? Da müssten wir uns Fragen stellen.

Muss uns Arbeit überhaupt glücklich machen?
Vetsch:
Eine gute Frage. Sie sollte zumindest nicht unglücklich machen. Wenn man Menschen fragt: «Macht deine Arbeit immer Freude?», würden die meisten wohl sagen: «Nein, ständig nicht.» Es gibt eine Definition von Glück: das Erleben von Freude und Sinnhaftigkeit im Verlauf der Zeit. Ohne diese Definition hätte ich nie für meine Maturaprüfung gelernt. Lernen macht ja selten Spass. Auch Menschen zu pflegen, kann anstrengend und belastend sein. Aber viele Angehörige machen es trotzdem. Auch das Gefühl, gebraucht zu werden, ist ein Teil des Arbeitsglücks. Kurz gesagt: Arbeit muss nicht immer Freude machen, aber am Schluss Sinn ergeben.
Bleisch: Würde Arbeit zumindest nicht unglücklich machen, wäre schon viel gewonnen. Wenn Menschen ausgebeutet werden, zu Hungerlöhnen schuften oder ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, stellt sich die Frage nicht, ob Arbeit glücklich macht. Bei uns hat Arbeit zumindest in einem Teil unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert: Für viele geht es neben dem Lebensunterhalt auch um Selbstverwirklichung, um soziale Anerkennung. Und darum, eine Aufgabe zu haben und eine Tagesstruktur. Was passiert, wenn fixe Zeitpläne wegfallen, sieht man im Homeoffice.

Kann man den Anspruch nach Glück bei der Arbeit auch überdrehen?
Bleisch:
Arbeitgeber sind natürlich froh, wenn wir uns über die Arbeit definieren und sie als Teil unseres Lebensglücks sehen. So entstehen aber auch Workaholics: Wenn die Arbeit zum eigentlichen Sinn des Lebens wird, warum soll man dann noch Pause machen? Die deutsche Philosophin Svenja Flasspöhler spricht in diesem Zusammenhang von Genussarbeitern. Solche Menschen identifizieren sich übertrieben mit ihrem Job und sind jederzeit erreichbar. Sich einzugestehen, dass der Job einen stresst, liegt nicht mehr drin. Im Gegenteil: Der wirklich gute Mitarbeiter ist bereit, sich ganz der Arbeit zu verschreiben. Burn-out ist auch die Folge einer zu hohen Erwartung an uns selbst und an unseren Job. Wenn Leute an einer Party fragen: «Was machst du so im Leben?», wollen sie meist wissen, was man arbeitet. Für Hobbys haben sowieso viele keine Zeit mehr. So leiden Vereine – und letztlich vertrocknet der Gemeinsinn, der Kitt unserer Gesellschaft.
Vetsch: Am unglücklichsten aber macht Arbeit, wenn man keine hat. Ich habe Menschen getroffen, die wegen Arbeitslosigkeit Sozialhilfe beziehen mussten. Die haben gesagt, das Schlimme sei, aus allen Strukturen zu fallen. Und das Gefühl, gesellschaftlich nichts mehr wert zu sein – aussortiert zu werden.
Bleisch: Arbeit ist zweifelsohne wichtig – weil es eben um gesellschaftliche Anerkennung geht. Würden wir Care-Arbeit und freiwilliges Engagement mehr wertschätzen, wäre eben schon einiges gewonnen. Immer mehr Menschen haben aber Jobs, die ihnen selbst komplett nutzlos erscheinen. Der letzthin verstorbene Kulturanthropologe David Graeber umschrieb das mit dem Begriff «Bullshit Jobs». Sinnentleerte Arbeit, vor allem im Verwaltungsbereich. Die meisten Menschen sehnen sich aber danach, zu einem grossen Ganzen beizutragen. Das symbolisiert die Geschichte der drei Steinmetze. Der erste sagt: «Ich haue Stein.» Der zweite: «Ich haue Stein, um Geld zu verdienen.» Der dritte: «Ich baue mit an einer Kathedrale.» Wer ist wohl der Glücklichste? Teil eines grossen Ganzen zu sein, gibt uns allen Sinn, und viele suchen diesen Sinn auch in der Arbeit.

Ist dieses Sinnsuchen aber nicht ein reines Privileg westlicher Gesellschaften?
Bleisch:
Wir sind enorm privilegiert. Das ist so. Andererseits wehre ich mich gegen die Rede von «Luxusproblemen». Viele Probleme, mit denen Menschen bei uns zu kämpfen haben, mögen das Resultat unseres Wohlstands sein, sie sind aber dennoch real. Das zeigt schon der Umstand, wie oft hier Menschen an psychischen Problemen leiden. Es nützt uns wenig, als Gesellschaft zu sagen: «Schaut doch mal in die Slums nach Indien!» Wir leben in der Schweiz und müssen dafür sorgen, dass es auch den Menschen in diesem Land gut geht und jeder seinen Platz findet. Ganz abgesehen davon, dass es auch in der Schweiz Menschen gibt, die keine «Luxusprobleme» haben, sondern mehreren Jobs gleichzeitig nachgehen müssen, weil das Gehalt sonst nicht reicht.

Viele Menschen werden heute Abend wieder vom Sonntagsblues gepackt, wenn sie an die kommende Woche denken. Müssen sie sich Sorgen machen, tiefer gehende Problem zu haben?
Vetsch:
Das glaube ich nicht, diesen Blues kennen viele, er hat mit dem Rollenwechsel zu tun. Der Familien- und Wochenendmensch ist ein anderer als jener, der am Montag auf der Matte stehen muss. Arbeit wird dann gefährlich fürs Seelenheil, wenn sie alles andere überschattet. Wenn es nicht mehr möglich ist, gut zu schlafen. Wenn du dich von allen Seiten angegriffen fühlst.
Bleisch: Die entscheidende Formel für Glück am Arbeitsplatz scheint, dass man sich herausgefordert fühlt, ohne überfordert zu sein. Ich kann noch etwas dazulernen und habe noch Aha-Erlebnisse, fühle mich aber nicht erschlagen von Neuem, sondern kann auf dem Gelernten aufbauen. Arbeitgeber sollten nach Möglichkeit jeden Einzelnen fordern, ohne ihn zu überfordern. Ein anderer wichtiger Punkt sind Auszeiten. Uns alle macht es glücklich, Träume zu verwirklichen und eine Weile den eigenen Sehnsüchten nachzugehen. Ich würde zum Beispiel gerne mal zwei Monate durch Lappland wandern – irgendwann, wenn die Kinder grösser sind. Gute Arbeitgeber ermöglichen Auszeiten. Vielleicht kommt nicht jeder zurück, die meisten aber schon. Und zwar hoch motiviert.
Vetsch: Man bereut jene Dinge, die man nicht gemacht hat. Viel eher als die Risiken, die man eingegangen ist. Egal, was dabei herauskommt. Man kann daran wachsen, statt stehen zu bleiben und sich vorwerfen zu müssen, nichts versucht zu haben. Jeder von uns ist ein kleiner Entdecker und Abenteurer. Auch wenn er mal in der Brombeerhecke landet.

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