Michel Comtes Megaprojekt
«Ich habe die besten und bösesten Menschen getroffen»

In der Türkei an der Grenze zu Syrien lanciert der Schweizer Fotograf sein bisher ambitioniertestes Projekt: Er baut ein gigantisches Kunstwerk, das man nach Vollendung sogar vom Weltall aus sehen kann.
Publiziert: 05.11.2022 um 09:47 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 13:54 Uhr
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In der türkischen Provinz Şanlıurfa in Nordmesopotamien soll in rund zehn Jahren das vollende Kunstwerk stehen.
Dominik Hug

Er ist einer der bekanntesten Fotografen der Schweiz, hatte während Jahrzehnten die ganz grossen Stars vor der Kamera. Ein Unfall verunmöglichte die Weiterführung seiner Karriere: Michel Comte (68) musste umsatteln. Und gehört heute zu den wichtigsten Künstlern des Landes. Sein ehrgeizigstes, vielleicht sogar grössenwahnsinnigstes Projekt: «Ich habe in der Türkei Land gepachtet, das 40 Quadratkilometer gross ist. Darauf errichten wir Kunst, die man eines Tages vom Weltraum aus betrachten kann.» Comtes Traum: eine 120 Kilometer lange Lichtinstallation, die in der Nacht das Sternbild Orion spiegelt.

Das riesige, kaum bevölkerte Grundstück liegt im Norden Mesopotamiens nahe der syrischen Grenze. Die Landschaft ist wüstenartig. «Das Land steht uns von der türkischen Regierung für 50 Jahre zu Verfügung. Der Plan ist, dass wir das karge Gebiet mit unserem Mega-Projekt aufwerten, es beleben und touristisch erschliessen, vielleicht eines Tages in eine Kulturstätte mitsamt Universität verwandeln, die einzigartig auf der Welt ist», erklärt Comte. Finanziert wird das Projekt mit Sponsorengeldern, aber auch vom Initiator selber, der dafür immer wieder eigene Kunst verkauft. Rund zehn Jahre dauere es, bis seine Vision umgesetzt werden dürfte, glaubt Comte.

Zurück in der alten Heimat

Der Zürcher, der jahrzehntelang in den USA wohnte, heute aber wieder in seiner alten Heimat lebt, reiste schon Dutzende Male nach Mesopotamien. Dort nächtigt er im Zelt, arbeitet mit syrischen Flüchtlingen, hofiert lokale Politiker, spannt mit Architekten und anderen Kunstschaffenden zusammen. «Ich stosse überall auf viel Wohlwollen», sagt er. «Die Begeisterung, eine Art grenzenlose Traumwelt zu erschaffen, ist gross.»

Sich keine Grenzen zu setzen, ist seit jeher das Motto von Comte. Nach einer Ausbildung zum Kunstrestaurator arbeitete er in einer Kunstgalerie. Dann widmete er sich der Fotografie – und wurde zum Star der Branche! Seine teils üppig inszenierten Porträts von Filmidolen wie Sophia Loren (88), George Clooney (61) oder Sharon Stone (64) erschienen regelmässig in Modebibeln wie «Vogue» oder «Vanity Fair», später wurden sie in Museen rund um die Welt ausgestellt.

Parallel zur Glitzerwelt besuchte Comte als Fotograf für das Internationale Rote Kreuz aber auch immer wieder Kriegsgebiete. Er war in Afghanistan, Uganda, Jemen, im Irak und im Kosovo. «Ich habe die besten und die bösesten Menschen der Welt getroffen», erinnert er sich an jene Zeit zwischen dem Glamour des Showbusiness und dem Horror des Kriegs.

Hunderte Splitter im Auge

2010 geschah der Unfall. Comte sass in seinem Haus in Los Angeles und wollte gerade ein Paket auspacken. Da schoss ein Metallteil der Verpackung in seine Brille. Das Glas zerbarst in tausend Splitter, viele landeten in seinem rechten Auge. «Ich war sofort blind. Es hat furchtbar geblutet.» Unzählige Augenkliniken habe er während des folgenden Jahres aufgesucht, um seine Sehfähigkeit wiederzuerlangen. Vergeblich. Durch eine spezielle Laserbehandlung in der Schweiz erhielt er schliesslich 90 Prozent seiner Sehkraft zurück.

Da er während jener Zeit nicht fotografieren konnte, begann sich Comte auf seine Arbeit als bildender Künstler zu konzentrieren. «Im Nachhinein hat sich dieser Unfall fast als Glücksfall erwiesen», sagt er. «Durch ihn entflammte in mir eine Leidenschaft, die ich vorher so stark nicht verspürte: Bilder, Skulpturen und Installationen zu schaffen.» Die Leidenschaft wurde vom Publikum prompt erwidert. Comte hatte seither schon Ausstellungen in China, Italien und den USA. Für 2023 stehen Exhibitions in England und dem Vatikan an.

«Ich mag Nein als Antwort nicht»

Besonders stolz macht den Künstler, dass er zeitlebens stets unabhängig war. Sein Erfolgsgeheimnis umschreibt er so: «Ich mag Nein als Antwort nicht.» Allein durch den Willen könne man Berge versetzen, ist Comte überzeugt. Oder eben auch ein Riesenkunstwerk aus der Wüste zu stampfen. «Je unmöglicher mir etwas erscheint, desto mehr treibt mich dessen Realisierung an», sagt er und blickt gedankenversunken in den Himmel. Dorthin, von wo aus seine Kunst dereinst ebenfalls zu sehen sein wird.

«Michel Comte – New Light: Das Porträt eines rastlosen Künstlers» (3Sat, Samstag, 5. November, 21.50 Uhr)

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