Michael von der Heide über seinen Job, Corona und 30 Jahre als Chansonnier
Der pflegende Sänger

Als Krankenpfleger kämpft Michael von der Heide in der Corona-Krise an vorderster Front. Der Chansonnier verrät uns, warum ihm der Pflegeberuf den nötigen Ausgleich gibt, wie Patienten auf ihn reagieren und was sie von der Impfung halten.
Publiziert: 07.03.2021 um 16:11 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2021 um 11:15 Uhr
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Chansonnier Michael von der Heide arbeitet nachts wieder in seinem angestammten Beruf – als Pfleger in einem Alters- und Pflegeheim am Zürichsee.
Foto: Patrick Mettraux
Interview: Patricia Broder

Michael von der Heide ist einer der erfolgreichsten Sänger unseres Landes. Was viele nicht wissen: Nachts arbeitet der Chansonnier wieder in seinem angestammten Beruf als Pfleger in einem Alters- und Pflegeheim am Zürichsee. Als wir ihn für das Interview am Telefon erreichen, hat er gerade eine Nachtschicht hinter sich, klingt aber trotz Schlafmangels äusserst fit und munter. Kein Zweifel, die Tätigkeit als Pfleger scheint ihm genauso gut zu liegen wie die als Sänger.

SonntagsBlick: Herr von der Heide, Sie sind zu Beginn der Corona-Krise wieder zu Ihrem gelernten Beruf des Krankenpflegers zurückgekehrt. Wie kam es dazu?
Michael von der Heide: Vielleicht war es Intuition (lacht). Nein, im Ernst: Obwohl ich mit Leib und Seele Sänger bin, hatte ich trotzdem schon länger Sehnsucht nach meinem alten Beruf. Als mir eine frühere Kollegin das Angebot machte, eine 40-Prozent-Stelle bei ihr im Altersheim zu übernehmen, musste ich nicht lange überlegen.

Was lieben Sie am Beruf des Pflegers?
Die Tätigkeit im Heim bereichert mein Leben, gibt mir so viele verschiedene Inputs. Ich liebe den Austausch mit den Bewohnern, wie wir unsere Patienten nennen. Und ich kann den Leuten heute auch mehr geben als früher, als ich noch so jung war.

Als diplomierter Pflegefachmann sind Sie seit Beginn der Pandemie an vorderster Front dabei. Wie blicken Sie auf das letzte Jahr zurück?
Es war ein äusserst spannendes Jahr. Für die älteren Menschen bei uns im Heim, die alle zwischen 75 und 100 Jahre alt sind, war es eine grosse Belastung. Doch das Schöne ist, dass die meisten gut mit der Situation umgehen können. Gerade letzte Nacht sagte eine Dame zu mir: «Ich bin 95. Wenn ich gehen muss, muss ich halt gehen.»

Das überrascht. Gerade Menschen in Altersheimen, heisst es immer wieder, sollen besonders unter der Krise leiden.
Es ist unterschiedlich: Einige nehmen es locker, andere hängen noch sehr am Leben. Natürlich gibt es Bewohner, die einsam sind. Aber viele von ihnen sind es nicht wegen Corona, sondern weil sie niemanden mehr haben im Leben. Die meisten älteren Menschen, die ich kenne, sind sehr hoffnungsvoll und optimistisch.

Wie stehen Ihre älteren Patienten zum Thema Impfung?
Äusserst positiv. Die meisten haben sich impfen lassen. Die 80- und 90-Jährigen scheinen eine Generation zu sein, die grosses Vertrauen in die Ärzte und die Medizin hat. Und natürlich freuen sich viele darauf, endlich ihre Enkel wieder sehen zu dürfen.

Haben Sie sich selber auch impfen lassen?
Ja. Ich habe die erste Dosis sehr gut vertragen. Keinerlei Nebenwirkungen. Nächste Woche gibts die zweite.

Wie haben die Bewohner darauf reagiert, plötzlich einen berühmten Sänger als Pfleger zu haben?
Sehr positiv. Ich bin seit 25 Jahren in den Schweizer Medien und im Fernsehen präsent. Deshalb hegen die meisten familiäre Gefühle mir gegenüber, ich bin Teil ihrer Kultur. Sie freuen sich besonders darüber, wenn ich mit ihnen alte Schlager und Chansons singe. Was ich vor dem Singverbot gerne und oft getan habe.

Und wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, dass Sie in Ihren alten Beruf zurückkehren?
Fast niemand wusste davon. Ich erzählte es nur ganz wenigen Leuten. Die meisten waren überrascht – doch alle fanden es toll.

Sind Sie mehr Pflegefachmann oder mehr Sänger?
Ich bin mehr Sänger. Früher schrieb man, ich sei der singende Pfleger. Heute bin ich der pflegende Sänger (lacht). Musik ist meine grosse Liebe.

Gibt es Schwierigkeiten, diese beiden sehr unterschiedlichen Berufe miteinander zu vereinbaren?
Nein, die lassen sich wunderbar verbinden. Die Arbeit im Heim entspannt meine Kunst. Einer meiner Musiker bedankte sich sogar bei meiner Heimleiterin und sagte, ich sei als Bandleader nun viel relaxter (lacht). Der Alltag im Heim inspiriert und erdet mich. Im Showbusiness läuft man Gefahr, sich zu sehr mit sich selber zu beschäftigen und sich zu wichtig zu nehmen. Der Beruf des Pflegers bringt das wieder ins Gleichgewicht.

Hat Ihr Zweitjob Sie im Krisenjahr davor bewahrt, Existenzängste zu haben, wie sie viele Künstler hatten?
Die Pandemie traf auch mich finanziell, Existenzängste hatte ich aber glücklicherweise keine. Doch es tat weh, im Frühling und Herbst alle Konzerte absagen zu müssen, nicht zu wissen, wann und wie es weitergeht. Es ist zermürbend. Für Veranstalter, Tontechniker, für alle. Es nagt nun mehr als zu Beginn der Krise. Da waren wir alle positiv gestimmt, gaben online Wohnzimmer-Konzerte. Diese Euphorie ist verflogen. Jetzt gilt es durchzuhalten.

Was ist Ihr Durchhalte-Rezept?
Ich schiebe in meinem Privatleben das Thema Corona bewusst weg und bin bemüht, positiv zu bleiben und auch mal Spass zu haben. So haben mein Partner Willi Spiess und ich uns zu Silvester chic angezogen und Champagner getrunken, auch wenn wir bloss zu zweit daheim waren. Man muss sich was gönnen, aktiv bleiben und darf sich nicht gehen lassen. Zurzeit bin ich auch wieder im Studio, arbeite an neuen Songs und bereite meine Jubiläumstournee vor, die im Herbst dann hoffentlich stattfindet.

Sie feiern dieses Jahr Ihr 30-Jahr-Bühnenjubiläum. Wie blicken Sie auf drei Jahrzehnte als erfolgreicher Sänger zurück?
Mit grosser Freude und Stolz. Seit 1991 hat sich viel verändert. Ich hatte damals gerade meine Ausbildung zum Pflegefachmann am Kantonsspital Winterthur abgeschlossen, war Pfleger und Sänger – wie heute. Der Kreis schliesst sich.

Was waren die persönlichen Highlights Ihrer Karriere?
Ganz klar, als ich 1996 mein erstes Album in meinen Händen hielt. Da bin ich in Tränen ausgebrochen. Und der Moment, als ich 1998 zum ersten Mal mit meinem Jugendidol Paola auf der Bühne stand und als ich 2010 am Eurovision Song Contest teilnehmen durfte. Das waren alles grosse Kindheitsträume, die in Erfüllung gingen. Und dass ich mit meinem Gesang von London, Paris, Moskau über Jerusalem bis nach Chile komme und kam – dafür bin ich besonders dankbar.

Musikalischer Tausendsassa

Michael von der Heide (49) wächst als Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin im Bergdorf Amden SG auf. Mit 16 Jahren geht er als Au-pair in die Romandie, entdeckt dort seine Liebe für Chansons und nimmt bei der Opernsängerin Ginette Girardier Gesangsstunden. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger veröffentlicht er 1996 sein erstes Album, «Michael von der Heide» – das ein grosser Erfolg wird. 2010 vertritt der Sänger die Schweiz am Eurovision Song Contest in Oslo. Nach zwölf Alben, zahlreichen Singles und unzähligen Auftritten auf der ganzen Welt gehört von der Heide heute zu den erfolgreichsten Künstlern in der Schweiz. Er lebt mit seinem Partner Willi Spiess in Zürich.

Michael von der Heide (49) wächst als Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin im Bergdorf Amden SG auf. Mit 16 Jahren geht er als Au-pair in die Romandie, entdeckt dort seine Liebe für Chansons und nimmt bei der Opernsängerin Ginette Girardier Gesangsstunden. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger veröffentlicht er 1996 sein erstes Album, «Michael von der Heide» – das ein grosser Erfolg wird. 2010 vertritt der Sänger die Schweiz am Eurovision Song Contest in Oslo. Nach zwölf Alben, zahlreichen Singles und unzähligen Auftritten auf der ganzen Welt gehört von der Heide heute zu den erfolgreichsten Künstlern in der Schweiz. Er lebt mit seinem Partner Willi Spiess in Zürich.

Sie sagen, Ihre grösste Liebe sei die Musik – hat sich diese Liebe im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Ja, die ist ständig im Wandel und ist auch reifer geworden. Heute geniesse ich Jazz, mit dem ich früher nichts anfangen konnte. Beim Singen hat sich hingegen nichts verändert: Ich spüre denselben Zauber wie eh und je.

Werden Sie auch nach der Corona-Krise Sänger und Pfleger bleiben?
Unbedingt. Das 40-Prozent-Pensum in der Pflege passt mir wunderbar. Ich habe ausreichenden Kontakt zu meinen Heimbewohnern und trotzdem genügend Zeit für meine Musik, die Raum für Inspiration braucht.

Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?
Darauf, dass ich hoffentlich bald wieder zu Live-Konzerten gehen und auch selber Konzerte geben kann. Ich bin gerne im Studio, aber der direkte Austausch mit dem Publikum fehlt mir wirklich sehr.

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