Locarno-Präsident Marco Solari zur Jubiläums-Ausgabe
«Ein Festival, das stehen bleibt, ist tot»

Marco Solari ist der bekannteste und wohl leidenschaftlichste Botschafter für das Locarno Film Festival. Die Geschicke der Grossveranstaltung beschäftigen ihn auch mit 77 Jahren fast rund um die Uhr. «Das ist ein 365-Tage-Wettkampf.»
Publiziert: 31.07.2022 um 18:04 Uhr
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Marco Solari beim Treffen mit SonntagsBlick in Bern: «Sie müssen voll auf die Zukunft fokussiert sein, sonst verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit. Und ein Festival, dem die Glaubwürdigkeit fehlt, hat plötzlich keine schützende Hand der Politik und keine Unterstützung der Wirtschaft mehr.»
Foto: KARL-HEINZ HUG
Jean-Claude Galli

Marco Solari (77) ist seit 22 Jahren Präsident des Locarno Film Festival. SonntagsBlick hat mit dem charismatischen Manager und Tourismus-Experten gesprochen, der am Montag auch die offizielle 1.-August-Rede auf dem Rütli UR hält.

Über den Anspruch von Locarno sagt Solari:

«Ein Festival, das stehen bleibt, ist ein totes Festival. Es gibt weltweit 6000 Filmfestivals, davon entwickeln sich 5500 keinen Schritt weiter. Und dann gibt es ganz wenige, die kämpfen ständig um ihren Platz unter den zehn wichtigsten. Locarno kann gar nicht anders als vorwärtszuschauen. Nicht nur der künstlerische Direktor ist für die Handschrift des Festivals zentral. Auch der operationelle Leiter ist in seiner Art ein Künstler. Das ist ein 365-Tage-Wettkampf. Aber mit Giona A. Nazzaro und Raphaël Brunschwig haben wir die zwei richtigen Besetzungen.»

Über seine Rolle:

«Braucht es überhaupt noch einen Präsidenten? Ich sage Ja, weil ich meine Rolle kenne. Gerade im Festivalgeschäft läuft vieles über persönliche Kontakte und nicht über Institutionen. Solange ich noch Glaubwürdigkeit besitze und mich die Leute noch durch meine Stärken kennen, mache ich weiter. Doch muss ich Rigorosität, Disziplin, Begeisterung und Leidenschaft in gleichem Mass besitzen und beweisen. Ohne Leidenschaft geht alles schief. Dazu kommt ein Mix aus Erfahrung, Sicherheit, Garantien und Beziehungen. Das Allerwichtigste ist: Leben Sie Ihre Emotionen – zeigen Sie sie. Und interpretieren Sie jene der anderen Menschen richtig. Sonst scheitern Sie immer. Noch etwas: Als Präsident muss man auch lernen, schweigen zu können. Und im nötigen Moment dreinzufahren wie eine Furie.»

Über die Piazza:

«Solange wir da sind und einen exzellenten künstlerischen Direktor haben, wird die Piazza immer das Herzstück des Festivals bleiben. Als sie 1970 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion als Schauplatz lanciert wurde, konnte man auch nicht vorhersehen, welchen Stellenwert sie später einmal haben würde. Und heute ist sie mit der Festivalleinwand auf der 20-Franken-Note verewigt.»

Über den Standort im Tessin:

«Jedes Festival hat eine Geschichte, jedes Festival reift in einem bestimmten Umfeld. Die ersten relevanten Filmfestivals entwickelten sich spannenderweise alle am Wasser, in einer relaxten Atmosphäre: Cannes, Venedig, San Sebastian oder Locarno. Ein Festival muss eine Geschichte und eine Atmosphäre haben. Ständig auf der Suche nach Qualität sein, möglichst frei und unabhängig. Ein Festival, das von wirtschaftlichen Sonderinteressen beeinflusst wird, von politischem Druck, ist kein Festival, sondern reine Schau.»


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