Am Mittwoch beginnt das 74. Locarno Film Festival – nach der hybriden Ausgabe vom letzten Jahr wieder physisch mit voller Piazza Grande. Jenem Alleinstellungsmerkmal mit den gelben Stühlen und der Grossleinwand, was das Festival weltweit zur Marke macht.
Während die Verantwortlichen der anfangs September beginnenden Filmfestspiele von Venedig eine erneute Verschärfung ihrer Corona-Massnahmen nicht ausschliessen, hält man im Tessin an den getroffenen Vorkehrungen und Bestimmungen fest. Zutritt auf die Piazza erhalten nur Personen mit einem Covid-Zertifikat, in Palexpo-Nähe steht seit Freitag für die ganze Festivaldauer ein Testzentrum. In Innenräumen herrscht Maskenpflicht, in den Kinos ist eine Sitzplatzreservierung obligatorisch. Das Buchungssystem verhindert, dass ein Platz direkt neben einem einzelnen oder einer Gruppe von Zuschauern reserviert wird. Die Kapazität ist auf Zwei-Drittel-Belegung reduziert.
Keine Angst vor Streaming-Diensten
Auch deshalb rechnet COO Raphaël Brunschwig (37) für 2021 mit einem grösseren Defizit, während die Reserven letztes Jahr dank öffentlicher und privater Unterstützung nicht strapaziert worden sind. Eine ganz besondere Ausgabe ist 2021 auch für Giona A. Nazzaro (56). Bisher kannte der in Zürich aufgewachsene und in Rom lebende Mann Locarno aus der Optik als Kritiker. Nun präsentiert er sein erstes Programm als künstlerischer Direktor und begrüsst die Gäste bei der Eröffnung am 4. August auf der Piazza persönlich. «Ich kann es kaum erwarten und fühle mich wie Romy Schneider als Sissi vor dem grossen Kaiserball», sagt er. Startfilm ist «Beckett» mit John David Washington (37) und Alicia Vikander (32), dessen Rechte Netflix gehören. Das belegt, dass Locarno keine Berührungsängste vor Streaming-Plattformen hat. Blickfang auf dem roten Teppich ist an diesem Abend die französische Schauspielerin Laetitia Casta (43), die den Excellence Award erhält.
Der Ehrenleopard geht heuer an US-Kultregisseur John Landis (70), der am 13. August ans Festival kommt, wenn auf der Piazza «Animal House» läuft. Nazzaro hält Landis schlicht für ein «Genie». Der College-Klamauk von 1978 illustriert auf perfekte Art Nazzaros Credo, «um keinen Preis zu langweilen». So sind auch «Heat» (12. August.) oder «Terminator» (7. August) auf Grossleinwand zu sehen, den Abschluss markiert am 14. August das Aretha-Franklin-Biopic «Respect» mit Jennifer Hudson (39).
Auch Schweizer Filme im Fokus
Der absolute Höhepunkt aus Schweizer Sicht steht nächsten Samstag an: die Weltpremiere von Stefan Jägers (51) Film «Monte Verità» über die berühmte Aussteigerkolonie vor 100 Jahren mit den heimischen Jungstars Max Hubacher (28) und Joel Basman (31) als Hermann Hesse (1877–1962). Gedreht wurde letzten Sommer unter erschwerten Bedingungen bei Locarno, das Festival bietet also den perfekten Rahmen für die Uraufführung.
Ein Schweizer Film könnte auch im internationalen Wettbewerb für Furore sorgen: «Soul of a Beast» von Lorenz Merz (40) mit den beiden Shootingstars Luna Wedler (21) und Ella Rumpf (26). Ins Rennen um den Goldenen Leoparden gehen 17 Filme. Nazzaro will sich punkto persönlicher Präferenz nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und meinte jüngst bei einem Presse-Lunch lediglich, jeder sei «in seiner eigentümlichen Art grossartig». Exemplarisch unterstreicht dies der Thriller «Leynilögga» von Hannes Halldórsson (37). Der Isländer ist nicht nur Filmemacher, sondern auch als Goalie der Fussball-Nationalmannschaft bekannt. Versprochen werden rasante Verfolgungsjagden in Reykjavik und eine verblüffende Erzählstruktur. Langeweile klingt definitiv anders.