Auf einen Blick
- Corinna Glaus, Schweizer Casterin, bewertet Oscar-Nominierungen für Blick
- Kontroversen um «Emilia Pérez» sorgen für zusätzliche Spannung
- Schweiz mit Tim Fehlbaum und Stefan Berger doppelt bei Oscars vertreten
In der Nacht auf Montag heisst es wieder: «And the Oscar goes to…» Zum bereits 97. Mal findet im Dolby Theatre in Los Angeles (USA) die Oscarverleihung statt. Rund 9500 Filmschaffende aus aller Welt entscheiden mit, wer eines der begehrten Goldmännchen nach Hause nehmen darf – darunter auch Corinna Glaus (67). Die Zürcherin ist die renommierteste Casterin des Landes («Friedas Fall», «Die göttliche Ordnung», «Platzspitzbaby») und seit acht Jahren Academy-Mitglied. «Der Wettbewerb zwischen jungen Talenten und etablierten Grössen bietet dieses Jahr bei den Oscars reichlich Spannung», sagt Glaus zu Blick. «Kontroversen, wie die um ‹Emilia Pérez›, sorgen für zusätzliche Brisanz und Unterhaltung», so die Expertin. Trotz der starken Präsenz von Frauen in vielen Kategorien, bedauert Glaus, die weiterhin geringe Anzahl von Regisseurinnen. «Dafür freue ich mich auf die bevorstehende Einführung eines Oscars für ‹Best Casting›, ab 2026 und natürlich darüber, dass das heimische Filmschaffen dieses Jahr reichlich Beachtung findet. Die Schweiz ist mit Tim Fehlbaum und Edward Berger gleich doppelt vertreten, was mich besonders freut.» Blick verrät die Casting-Direktorin, wie sie ihre Stimmen verteilt hat.
Beste Hauptdarstellerin
«Eine schwierige Entscheidung. Karla Sofía Gascóns Leistung in ‹Emilia Pérez› ist hervorragend, doch ihre rassistischen und diversitätsfeindlichen Äusserungen auf Social Media haben ihr klar geschadet. Demi Moore hat auf der anderen Seite eine beeindruckende Karriere hingelegt und erhielt bisher nie die verdiente Anerkennung. Falls sie den Oscar gewinnt, würde ich mich freuen. Ich entschied mich hier für Fernanda Torres in ‹I’m Still Here›. Obwohl der Film weniger spektakulär ist, als die anderen in dieser Kategorie, trägt Torres die Geschichte eindrucksvoll. Die Rolle einer Frau, die unter einer Diktatur leidet und dagegen kämpft, spielt sie fein und würdevoll.»
Bester Hauptdarsteller
«Meine beiden Favoriten sind hier Ralph Fiennes und Timothée Chalamet. Fiennes beeindruckt in «Konklave» durch seine makellose Schauspielkunst, jede Nuance seines Spiels wirkt bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Chalamet auf der anderen Seite zeichnet sich in ‹Like A Complete Unknown› ebenfalls durch seine aussergewöhnliche Arbeit vor der Kamera aus. Seine Verkörperung von Bob Dylan ist tiefgründig und künstlerisch vielseitig – und das, angesichts dessen, dass er selber noch so jung ist. Für einen Schauspieler ist es nicht einfach, einen noch lebenden Menschen zu verkörpern, der uns allen so präsent ist. Chalamets Leistung als Dylan ist wirklich herausragend.»
Beste Nebendarstellerin
«In dieser Kategorie war ich hin- und hergerissen zwischen Zoe Saldaña und Monica Barbaro. Saldaña ist trotz der Kontroverse um die Besetzung von ‹Emilia Pérez› – keine mexikanische Schauspielerin in einer mexikanischen Produktion – herausragend. Wie eindringlich Saldaña ihre Rolle der hochrangigen Anwältin verkörpert, ist beeindruckend. Ich bewundere zudem schon seit längerem ihre Vielseitigkeit als Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin, die sie in dieser Rolle perfekt zur Schau stellen kann.»
Bester Nebendarsteller
«Alle fünf Nominierten in dieser Kategorie sind herausragend, aber Yura Borisov ist mein Favorit. Ich bewundere seine Vielseitigkeit und Tiefe als Schauspieler und würde jeden Film sehen, in dem er mitspielt. In ‹Anora› verkörpert er eine schräge, komödiantische und gleichzeitig berührende Figur. Die Spannung, in der sich seine Rolle befindet, zwischen Erwartung und Pflichten und wachsendem Mitgefühl, balanciert er meisterhaft aus – ein Genuss.»
Bestes Original-Drehbuch
«Meine Stimme ging hier klar an Tim Fehlbaum für ‹September 5›. Tim ist ein sehr versierter Regisseur, ihm gelingt es, eine hohe Spannung aufzubauen, obwohl das Ende der Geschichte bekannt ist. Das Drehbuch erzeugt von Anfang an eine feine Spannung, die sich im Verlauf der Geschichte immer weiter steigert. Trotz der ruhigen Kammerspiel-Inszenierung gelingt es Tim, die ganze Welt von aussen einzufangen. ‹September 5› ist ein herausragender Film mit einer beeindruckenden Besetzung.»
Beste Regie
«Meine Stimme ging an Coralie Fargeat in ‹The Substance›. Trotz meiner persönlichen Abneigung gegen Horrorfilme erkenne ich Fargeats aussergewöhnlichen Mut und ihre herausragende Leistung an. Regie zu führen bei einem Horrorfilm ist eine besondere Herausforderung, da man aufpassen muss, nicht ins Lächerliche abzudriften. Fargeat meistert das aussergewöhnlich. Sie setzt das Thema Schönheitswahn auf eindrucksvolle Weise um und erforscht dabei tiefgreifende Themen wie Altersdiskriminierung oder die Ausbeutung des weiblichen Körpers. Dabei lässt sie alle filmischen Elemente – Schauspiel, Maske und Kamera – zu einer unvergesslichen Einheit verschmelzen.»
Bester Film
«Diese Wahl fiel mir schwer. Ich schwankte zwischen ‹Like A Complete Unknown› und ‹Konklave›. ‹Like A Complete Unknown› überzeugt vor allem durch Timothée Chalamets darstellerische Leistung, während das spannende Spiel von Intrigen bei ‹Konklave› durch seine herausragende Besetzung besticht. ‹Der Brutalist› könnte aufgrund seiner spektakulären Inszenierung und der tragischen Geschichte eines jüdischen Architekten punkten, ich empfand die Inszenierung jedoch etwas zu eitel. Ich hab meine Stimme schliesslich ‹Konklave› gegeben, nicht zuletzt wegen der Schweizer Beteiligung von Edward Berger. Der Film zeichnet sich durch ein spannendes Machtspiel in einem geschlossenen Kreis, überraschenden Wendungen und feinen Humor aus – ein wahrhaft oscarwürdiger Beitrag.»
Bester internationaler Film
«Der deutsche Beitrag, ein iranischer Film mit dem Titel ‹Die Saat des heiligen Feigenbaums›, ist ein Meisterwerk. Er erzählt eine Familiengeschichte, in der die zerstörerische Wirkung politischer Repression eindringlich dargestellt wird. Die Geschichte des Widerstands einer Mutter mit drei Töchtern ist erschütternd und unbedingt sehenswert.»