«Ich drohte später mehrmals, mir das Leben zu nehmen!»
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Wegen qualvoller Kindheit:«Ich drohte später mehrmals, mir das Leben zu nehmen!»

Divertimento-Star und Sektenkind Jonny Fischer
«Ich schrie: Ich bringe mich um! … Es kümmerte niemanden»

Jonny Fischer geht erbarmungslos mit sich ins Gericht. Als Sektenkind getrieben von der Angst, vor Gott nicht zu genügen, stürzte er sich in Alkohol und Selbstzerstörung. Über die Versöhnung mit der Vergangenheit erzählt er in seinem Buch «Ich bin auch Jonathan».
Publiziert: 16.09.2021 um 01:33 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2021 um 09:24 Uhr
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Comedy-Star Jonny Fischer hat sich mit seiner Vergangenheit versöhnt. Blick traf ihn am Dienstag dieser Woche am Zugersee.
Foto: Thomas Meier
Flavia Schlittler

Im Scheinwerferlicht vergisst er, wie dunkel es in ihm aussieht. Da erlebt Jonny Fischer (41), Teil von Divertimento, dem erfolgreichsten Comedy-Duo der Schweiz, nicht enden wollenden Applaus. Während der 20 gemeinsamen Bühnenjahre haben er und Manu Burkart (43) mehr als eine Million Tickets verkauft, sie sind die Lachgaranten schlechthin.

Doch welche Qualen Jonny Fischer in seiner Kindheit erlitt, behielt er für sich. Bis jetzt. In seinem Buch «Ich bin auch Jonathan – Jonny Fischer: Die Geschichte einer Versöhnung» geht er hart ins Gericht mit sich und Mustern, die sein Leben prägten.

Er wollte einfach dazugehören

Ihren zweitgeborenen Sohn nannten Erich und Helen Fischer Jonathan, «Geschenk Gottes». Doch sein Vater hatte weder die Zeit noch die Kraft für ihn – und schon gar keine Liebe. In Läufelfingen BL, einer Gemeinde mit damals rund tausend Einwohnern, lernte Jonathan schnell, sich eine zweite Identität aufzubauen.

Obwohl die Familie keinen Fernseher hatte, wusste er über die angesagteste TV-Serie «Knight Rider» alles. Informationen, die er sich bei Kollegen besorgte. «Ich wollte dazugehören, nicht anders sein», sagt er zu Blick. Und hoffte, dass es sich nicht herumspricht, dass bei Fischers alles anders ist.

Dass seine Eltern ihr Leben Gott gewidmet haben, die Kinder sich ihrem Glaubensdiktat fügen mussten. Für ihn hiess dies, stets ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er böse Gedanken hatte, wenn er sich als angehender Teenager unter der Decke befriedigte.

Schläge und Nichtbeachtung des Vaters

Doch Jonathan war auch ein Rebell, hinterfragte Vaters Glauben. Vater Erich, der unter bipolarer Störung und nicht behandelter Schizophrenie litt, bestrafte ihn. «Mehr als seine Schläge verletzten mich seine Passivität und Nichtbeachtung.»

Aus der Bewunderung für den Vater sei schon mit sechs Jahren eine immer grösser werdende Ablehnung geworden. Doch entkommen konnte er dem furchteinflössenden Glaubensmantra nicht. «Wir glaubten, dass das Ende der Welt bevorsteht. Dass nur wer glaubt und ohne Sünde ist, zu Jesus in den Himmel kommt, Ungläubige und Sünder müssen auf der Erde dem Antichristen gegenübertreten.»

Aus Panik entschuldigte sich Jonathan permanent für alles. Die kleine Lüge, die Lustlosigkeit, Gartenarbeit zu verrichten, unkeusche Gedanken. Dabei wurde er zunehmend wütend. Auf sich, auf Gott, auf seinen Vater, auf sein Leben.

«Als mich mein Vater wieder einmal in die Ecke gedrängt und kleingemacht hatte, stapfte ich in die Küche, holte ein Messer und rannte damit in mein Zimmer.» Auf der Treppe habe er geschrien. «Ich bringe mich um!» Es kümmerte niemanden. Keiner sei ihm, dem verzweifelten Kind, gefolgt. «Ich fühlte mich alleingelassen und ungeliebt.» Für ihn war klar: «Es war allen egal, ob ich lebe oder sterbe.» Jonathan überlebt dank seiner Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen, was er auf der Schulbühne bewies.

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Zu Hause stiess der Rebell auf Ignoranz

Mit 15 trifft er eine Entscheidung, die sein Leben verändert. Sein Vater, da schon seit fünf Jahren selbsternanntes Oberhaupt einer radikalen Glaubensrichtung, lud zum sonntäglichen Gottesdienst im Familienhaus. Auch Jonathan war anwesend und erhob seine Stimme. «Ich muss euch etwas sagen», begann er. «Was wir machen, passt nicht in mein Leben. Ich gehöre hier nicht dazu.» Weinend rannte er in sein Zimmer, ihm niemand hinterher.

Im Gegenteil. Die Familie machte weiter wie bisher, nur einfach ohne ihn. Nicht einmal mehr zum Essen wurde er gerufen. Jonathan war inexistent. Sein Vater, von dem er geliebt und verstanden werden wollte, bestrafte ihn mit Verachtung und Beleidigungen. Der robuste Junge bekam höchstens zu hören: «In deinem Alter sah ich aus wie du, und alle nannten mich Fettarsch.» Jonathan begann zu trinken, liess sich die Haare wachsen, ihm gefiel die Rebellion, zu Hause stiess er damit auf Ignoranz.

Mit 17 Jahren begann er das Lehrerseminar in Zug. Sein altes Leben, das radikale Elternhaus, liess er hinter sich. Ab da nannte er sich nur noch Jonny. Er lernte Manuel Burkart kennen, der zwei Klassen über ihm war. Beide sorgten gerne für gute Stimmung, taten sich zusammen und hatten bald erste Auftritte. Das sprach sich herum, und sie wurden engagiert. Für Hochzeiten, Geburtstage, Firmenanlässe. Jonny war der Kopf, der die Stücke schrieb, das Organisieren an sich riss, bis hin zu den Bühnenkostümen. Manu war der, der mit seiner Spontaneität humorvoll auf Situationen eingehen konnte. Sie waren die perfekte Kombination. Fünf Jahre später begann ihre Erfolgsreise als Divertimento.

Zwei Lehrer füllen das Hallenstadion

Im Lehrerseminar lernten sich Jonny Fischer (41) und Manuel «Manu» Burkart (43) kennen. Schnell merkten sie, dass sie sich als Komiker perfekt ergänzen. Fischer, der analytische Schreiber, Burkart, der Stand-up-Comedian. Was auf Geburtstagsfeten und Hochzeitsfeiern Fahrt aufnahm, entwickelte sich zu Divertimento, dem erfolgreichsten Comedy-Duo der Schweiz. Nie hat es vor ihnen jemand aus diesem Bereich geschafft, zweimal das Hallenstadion zu füllen. Mit ihrem Programm «Gate 10» schafften sie es, die Tickets gingen in Rekordzeit weg. 16-mal wurde Divertimento während ihrer 20 gemeinsamen Bühnenjahre ausgezeichnet. Trotz Erfolg drohte dem Duo durch einen Streit der beiden das Aus. Sie rauften sich zusammen, machen weiter und touren nun mit ihrem aktuellen Programm «Sabbatical» durch die Schweiz.

2010 wurden Manuel Burkart und Jonny Fischer (r.) mit dem Prix Walo als Publikumsliebling ausgezeichnet.
Goran Basic

Im Lehrerseminar lernten sich Jonny Fischer (41) und Manuel «Manu» Burkart (43) kennen. Schnell merkten sie, dass sie sich als Komiker perfekt ergänzen. Fischer, der analytische Schreiber, Burkart, der Stand-up-Comedian. Was auf Geburtstagsfeten und Hochzeitsfeiern Fahrt aufnahm, entwickelte sich zu Divertimento, dem erfolgreichsten Comedy-Duo der Schweiz. Nie hat es vor ihnen jemand aus diesem Bereich geschafft, zweimal das Hallenstadion zu füllen. Mit ihrem Programm «Gate 10» schafften sie es, die Tickets gingen in Rekordzeit weg. 16-mal wurde Divertimento während ihrer 20 gemeinsamen Bühnenjahre ausgezeichnet. Trotz Erfolg drohte dem Duo durch einen Streit der beiden das Aus. Sie rauften sich zusammen, machen weiter und touren nun mit ihrem aktuellen Programm «Sabbatical» durch die Schweiz.

Jonny Fischer drohte damit, sich umzubringen

Zu seinen Eltern hatte Jonny nur noch wenig Kontakt. Als er 22 Jahre alt war, ihm der Sex mit seiner Freundin nicht gefiel, gestand er sich ein, was er schon jahrelang fühlte: dass er schwul ist. Dies eröffnete er seinen Eltern. Doch auch da schwiegen sie. Liessen ihn im Glauben, die Homosexualität bedrohe ihn wie eine Krankheit, und die Strafe Gottes würde folgen. Er selber war überzeugt, Männer zu lieben, sei die Strafe dafür, dass er aus der Kirche seines Vaters ausgetreten war. Sein verinnerlichtes Credo: Leben ist Leiden.

Die Folgejahre wurden für Jonny Fischer zum Spagat zwischen Bühnenapplaus, emotionaler Selbstkasteiung, Wut und noch mehr Einsamkeit. Er stürzte im Alkohol ab, nahm mal zehn Kilo zu, dann wieder ab, powerte sich beim Sport so aus, dass er mit einem Riss der Achillessehne im Spital landete. 2011 wurde er mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert. Freundinnen gegenüber drohte er mit Suizid. Sie liessen ihn damit nicht alleine, fuhren zu ihm und harrten vor seiner Türe aus, auch wenn er diese stundenlang nicht öffnete, bis sie ihn sahen.

Doch Jonny fiel immer wieder in alte Muster zurück. «Ich machte alles für jeden, half beim Zügeln, machte Geschenke, fuhr dreihundert Kilometer, um einen Freund zu trösten. Auch wenn ich selbst kaum Kraft dazu hatte, war ich überzeugt: Wenn ich das nicht mache, liebt man mich nicht.»

2012 liefert er sich in eine Klinik ein

Ein Jahr später, im Juni 2012, lieferte er sich im deutschen Bad Birnbach in eine Burnout-Klinik ein, spezialisiert auf Alkoholiker. «Dich muss man umarmen», sagte der Psychologe Helmut Schmidbauer zu ihm und tat dies bei jeder Gelegenheit. Er merkte schnell, dass Jonny nicht an der Alkoholsucht krankte, sondern an fehlender Selbstliebe. «Ich habe gelernt, dass ein positiver Blick auf mich und mein Leben auch mein Grundgefühl positiv verändert.»

Er habe da für sich ein – wie er es nennt – wichtiges Werkzeug erhalten, das er täglich anwendet. «Ich stehe morgens vor den Spiegel und lächle mir zu, sitze danach eine halbe Stunde an den Zugersee, lasse die Stimmung auf mich wirken und versuche, an nichts zu denken.»

Das Wichtigste sei, dass er seinem Vater nach dessen Tod 2016 mit 74 Jahren verziehen hat. Auch wenn dieser bis zuletzt der Überzeugung war, Jonathan würde nur glücklich, wenn er eine Frau heiratet. «Die wichtigste Änderung im Denken für mich war, dass ich keine Schuldzuweisungen mehr mache, nicht die Entschuldigung von ihm vermisse, die nie kam, sondern Dankbarkeit zulasse.» So danke auch er ihm für sein Talent, andere zu unterhalten, denn auch dies habe sein Vater verstanden. «Und die vollen Lippen habe ich auch von ihm», sagt Jonny Fischer, der sich jeden Abend für 50 Dinge beim Universum bedankt, und sei es einfach für das Cordon bleu.

So ist es ihm auch gelungen, sich mit seiner schwerkranken Mutter Helen (81) auszusöhnen. «Ich weiss heute, wie sehr sie darunter gelitten hat, sich täglich nicht für ihre Kinder, sondern für ihren Mann und seinen Gott zu entscheiden. Sie war genauso gefangen im radikalen Gedankengut wie mein Vater», sagt Jonny Fischer. «Heute geniessen wir die beschränkte Zeit, die uns zusammen noch bleibt.» Seine Mutter, die ihren Sohn heute Jonny nennt, habe mittlerweile auch seine Homosexualität akzeptiert. «Wir konnten uns beide je aus unserem Hamsterrad befreien.»

Divertimento stand vor dem Ende

Ausgerüstet mit diesem Gedankengut, das immer grösseren Platz in seinem Leben einnahm, versöhnte er sich auch mit Bühnenpartner Manu, der stark unter Jonnys Wutausbrüchen litt. «Ich hasse dich» waren nicht selten die Worte, mit denen er ihn anschrie. Jonny war eifersüchtig, dass Manu beim Publikum beliebter war, sich einzelne Fans nur mit ihm ablichten lassen wollten, dabei war er doch der Kopf, der Schreiber hinter dem Erfolgsduo. Burkart war so weit, mit Divertimento Schluss zu machen. All diese Wut ertrug er nicht länger. Mit einem klärenden Gespräch in der Zürcher Purpur-Bar vor drei Jahren schenkten sie sich einen Neuanfang.

Heute fühlt sich Jonny Fischer geliebt. Von seinem Mann, dem Foodscout Michi Angehrn (32), der ihn mit all seinen Ecken und Kanten liebt. Von Manu, von seiner Familie und vom Universum. «Gott kann ich dazu nicht sagen. Aber das Wichtigste ist, sich mit seiner Geschichte, mit allen Haupt- und Nebendarstellern zu versöhnen. Vor allem mit sich selbst.»

Das Buch «Ich bin auch Jonathan: Jonny Fischer – Die Geschichte einer Versöhnung», herausgegeben vom Wörterseh-Verlag, ist ab sofort im Handel für 36.90 Franken erhältlich.

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