Eigentlich wäre Gardi Hutter (68) jetzt auf Jubiläums-Tournee. Ihre Bühnenfigur «Hanna» feiert dieses Jahr einen runden Geburtstag: Seit 40 Jahren begeistert die Clownin mit Wuschelperücke und Lumpenkleid das Publikum. Die auferlegte Auszeit verbringt Hutter im Tessin, ihr Haus im Dörfchen Arzo ist seit Jahrzehnten ihr Lebensmittelpunkt.
«Hier war ich eigentlich schon immer in einer Art Quarantäne, es ist mein Rückzugsort zwischen Auftritten überall auf der Welt, zugleich ist es meine Denkfabrik und Werkstatt», sagt sie. Ihre beiden Kinder Juri (35) und Neda (31) hat Hutter hier aufgezogen. «Als ich mit Juri im neunten Monat schwanger war, habe ich den Kaufvertrag unterschrieben.» Damals lebte die Künstlerin noch in Mailand, aber eine Grossstadt sei nicht das Richtige für Kinder gewesen.
Allein, aber nicht einsam
Heute lebt Hutter allein im Haus, einsam ist sie aber nicht, in der Dorfgemeinschaft ist sie gut vernetzt: «Und der Küchentisch ist gross genug, um auch in diesen Zeiten Besuch zu haben. Der Wald ist nur drei Minuten entfernt. Und wenn es einfach mal still ist, geniesse ich das.» Die Pause sei gut, sie hatte Zeit für ihre Biografie und auch auszuprobieren, wie das wäre, pensioniert zu sein. «So schön das Innehalten auch ist, so weit bin ich aber noch nicht. Ich vermisse den Austausch mit dem Publikum. Wenn man mit ein paar Hundert Leuten im Saal spielt, hat das etwas Magisches und sehr Lebendiges. Man begibt sich gemeinsam auf eine Reise, es ist wie ein Ritual.»
Dazu gehört auch der Tod, in ihrer Rolle als «Hanna» ist Hutter auf der Bühne schon Hunderte Male gestorben. «Ich bin Expertin für fröhliches Sterben. Das ist die Urfunktion der Komik, sie hilft dabei, uns die Angst vor dem Tod zu nehmen. Durch ihn werden wir uns verstärkt unserer Verletzlichkeit und Lebendigkeit bewusst.» In der Komik gehe es ums Scheitern und um die Aussenseiter – so wie Hanna, die vergeblich nach Glückseligkeit strampelt und der keine Widrigkeit erspart bleibt. «Darüber darf man lachen, denn Hanna wird nie Opfer, sie ist ein Aufstehweibchen und ein Spiegel unserer selbst.»
Hanna soll nicht ganz sterben
Ganz sterben lassen möchte sie Hanna nicht. Der Gedanke, dass die Figur endgültig von der Bühne verschwinden könnte, stimmt die Künstlerin nachdenklich. «Es war nicht einfach, eine solche Kultfigur zu schaffen und über so viele Jahre zu etablieren.» Hutter kann sich durchaus vorstellen, dass einmal jemand anders in die Lumpenkleider steigt, etwa ihre Tochter Neda. «Das ist aber ganz ihre Entscheidung. Und momentan ist sie mit ihrem Bruder auf Wanderschaft, das gehört zum Leben als selbstbestimmte Künstler.»
Mit 100 noch auf der Bühne?
Enkel hat Hutter noch keine. Doch sie freut sich darauf, wenns mal so weit ist. Im oberen Stock befinden sich zwei Ferienwohnungen – «geeignet als mein Stöckli». Sie kann sich gut vorstellen, 100 Jahre alt zu werden. «Wenn ich geistig fit bin und nicht von Rheuma geknickt, kann ich sogar noch die Hanna spielen.» Als Clown werde man mit dem Alter besser, das Spielen werde zu einer zweiten Natur. «Es ist weniger Machen und mehr Sein.» Wenn die Pandemie es zulässt, ist Hanna schon bald wieder unterwegs – 2022 sogar in Neuseeland.
Gardi Hutters Biografie «Trotz allem» erscheint im März im Hier und Jetzt Verlag.